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Berlin: Freuds Erben

Ab auf die Couch – aber auf welche? Seit der Erfinder der Psychoanalyse starb, wird die Seele des Menschen immer kleinteiliger untersucht. Ein Überblick über die wichtigsten Therapieformen und was sie wem zu bieten haben

Am sechsten Mai wäre Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, 150 Jahre alt geworden. Wäre er noch am Leben, er würde sicher staunen über die Vielzahl an psychotherapeutischen Angeboten heute.

Dass Bedarf besteht, belegt das Bundesgesundheitssurvey von 2004: Jeder dritte Deutsche entwickelt dieser Studie zufolge im Beobachtungszeitraum von einem Jahr eine psychische Störung. Besonders häufig sind Depressionen, Angststörungen und Abhängigkeitserkrankungen. Laut Andreas Heinz, Psychiater und Klinikdirektor an der Charité, bleiben viele dieser Fälle jedoch unbehandelt. Nicht zuletzt liege das an der wirtschaftlichen Situation: „Aus Angst vor Arbeitslosigkeit verheimlichen viele ihre Beschwerden“, sagt Heinz. Seiner Meinung nach ist das ein Fehler: Sobald die Alltagsfunktionen über einen längeren Zeitraum beeinträchtigt seien und sich auch Probleme in Beruf und Familie ergäben, sei eine Psychotherapie anzuraten – bleibt nur noch die Frage, welche. Grundsätzlich gilt für den einzelnen Patienten: Die eine Schule kann durchaus besser zu ihm als Individuum passen als eine andere.

Ein Überblick über die wichtigsten Therapieformen mit Kassenzulassung.

DIE PSYCHOANALYSE

„Das Ich ist nicht Herr im eigenen Haus“, so lautet eine der bekanntesten Aussagen von Sigmund Freud. Er meinte: Nicht unser erwachsenes Bewusstsein führt das Regiment, sondern die Vergangenheit und vor allem traumatische Kindheitserlebnisse geben den Ton an.

Doch manche dieser Erfahrungen sind im buchstäblichen Sinne so unsagbar qualvoll, dass sie ins Unbewusste verdrängt werden – laut Freud der Ort in unserem Inneren, der den unerledigten Schmerz birgt. Und von dort meldet er sich in immer neuen Verkleidungen wie Depressionen oder Beziehungsstörungen, Zwangs- oder Abhängigkeitserkrankungen zu Wort.

Grundsätzlich eignet sich dieses Verfahren für jeden, der in seinem Leben unter stetig wiederkehrenden für ihn schädlichen Mustern leidet. Zu bedenken ist aber: Eine Psychoanalyse ist mühselig. Dreimal die Woche über Jahre hinweg liegt der Analysand auf der Couch und assoziiert frei – eine von Freud entwickelte Methode, deren Grundregel lautet: „Sagen Sie alles, was Ihnen in den Kopf kommt.“ Der Hintergedanke: Unsere scheinbar spontanen Einfälle sind nicht spontan, sie werden vom Unbewussten gelenkt und liefern dem Analytiker so das Material, das er braucht, um den verborgenen Seelentext zu lesen. Er „dechiffriert“ die Zeichen, bietet dem Klienten Deutungen an und bahnt ihm so einen Weg zu den verdrängten Erfahrungen. Denn nur ihre Anerkennung verspricht, so Freud, Befreiung von den Symptomen – unter einer Voraussetzung: Das Erinnern darf nicht nur Kopfsache sein, sondern muss die verschütteten Emotionen wachrufen.

Dies geschieht innerhalb der so genannten Übertragung, dem Hauptvehikel einer jeden Psychoanalyse. Die Übertragung stellt, wie Freud schreibt, das „Zwischenreich“ dar, in der sich die drei Phasen einer Analyse – das „Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten“ – vollziehen. Zunächst werden die konfliktträchtigen Kindheitsgefühle wiedererweckt – und dann auf den Analytiker projiziert, ein Beispiel: Erlebte man früher die Mutter als kalt, klagt man nun den Analytiker als herzlos an, war man eifersüchtig auf die Geschwister, glaubt man jetzt, der Analytiker verbringe zu viel Zeit mit anderen Patienten. Dann hilft der Analytiker beim dritten Schritt, dem Durcharbeiten. Hier geht es darum, den Schmerz auszuhalten und einzuordnen. Die bisher unterdrückten Persönlichkeitsanteile sollen „nachreifen“ und integriert werden.

Mehr: Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft, 030/84 31 61 52. Oder: www.dpg-psa.de.

DIE VERHALTENSTHERAPIE

Von Johann Wolfgang von Goethe ist überliefert, dass er seine Höhenangst besiegte, indem er den Münsterturm bestieg. Dafür würde ihm jeder Verhaltenstherapeut applaudieren, denn ein Grundsatz dieser Schule lautet: Das wirksamste Mittel gegen Ängste ist die direkte Konfrontation.

Verhaltenstherapeuten sind die Pragmatiker unter den Psychologen. Mit verdrängten Wünschen und unbewussten Trieben halten sie sich nicht auf; für sie zählt das, was man beobachten, messen und quantifizieren kann. Ihre Annahme: Jedes Verhalten, ob normal oder auffällig, ist gelernt und kann auch wieder verlernt werden. Und für diesen Prozess halten sie verschiedene Methoden bereit:

Bei der systematischen Desensibilisierung bringt der Therapeut dem Patienten zuerst ein Entspannungsverfahren wie Progressive Muskelrelaxation bei und gewöhnt ihn dann Schritt für Schritt an die Angst auslösende Situation. Im Falle von Höhenangst muss der Klient also nicht gleich einen Turm besteigen, sondern sich zunächst Bilder von hohen Gebäuden ansehen und dabei mit Muskelrelaxation seiner Furcht entgegenwirken.

Mit den neueren verhaltenstherapeutischen Verfahren lassen sich außer Phobien auch komplexere Krankheitsbilder wie Depressionen und Essstörungen behandeln. Auch hier liegt der Schwerpunkt nicht – wie in einer Psychoanalyse – auf der Erforschung der Ursachen, sondern auf der unmittelbaren Korrektur von störenden Verhaltensweisen.

Mehr: Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie, 07071/943 40. Oder: www.dgvt.de.

DIE TIEFENPSYCHOLOGISCH FUNDIERTE PSYCHOTHERAPIE

Neben der Psychoanalyse und der Verhaltenstherapie ist die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie das dritte Verfahren mit Kassenzulassung und stellt gewissermaßen einen Zwitter dar: Mit der Lehre Freuds teilt sie die Annahme, dass seelische Leiden frühkindlichen Erfahrungen entspringen, doch beschäftigt sie sich weniger als die Analyse mit dem Dort und Damals, sondern konzentriert sich wie die Verhaltenstherapie auf das Hier und Jetzt und die aktuellen Probleme des Klienten. Anders als in der klassischen Psychoanalyse zeigt sich der Therapeut aktiver und greift strukturierend in den Gesprächsverlauf ein. Als wirksam hat sich die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie für eine Vielzahl von Störungen wie Depressionen, Essstörungen und psychosomatische Erkrankungen erwiesen.

Für ausführliche Informationen kann man sich unter 040/22 75 75 00 oder unter www.dft-online.de an die Deutsche Fachgesellschaft für Tiefenpsychologisch Fundierte Psychotherapie e.V. wenden.

GESPRÄCHSPSYCHOTHERAPIE

Gesprächstherapeuten gehören zu den Vertretern der Humanistischen Psychologie – die so genannte „Dritte Kraft“ neben Psychoanalyse und Verhaltenstherapie. Ihr zentraler Gedanke: Jeder Mensch hat einen guten Wesenskern und will sich entwickeln, doch dafür ist er auf eine wohlmeinende Umgebung angewiesen. Nach Auffassung dieser therapeutischen Schule weiß der Ratsuchende selbst am besten, was er braucht, oder wird es, wenn der Therapeut ihm empathisch begegnet, allmählich herausfinden. Auf ein detailliertes Behandlungskonzept wird bewusst verzichtet: Im Zentrum steht stets der Einzelfall, auf den sich der Therapeut flexibel einlässt.

Mehr: Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie e.V., 0221/925 90 80. Oder: www.gwg-ev.org.

SYSTEMISCHE THERAPIE

Eine Frau sucht einen Therapeuten auf, da sie aufgrund einer Agoraphobie – der Angst vor öffentlichen Plätzen und Menschenmengen – kaum noch das Haus verlassen kann. Zunächst schwinden die Symptome, doch nach heftigen Konflikten mit ihrem rasend eifersüchtigen Ehemann wird sie wieder krank. Unbewusst scheinen die Ängste der Patientin dazu zu dienen, ihren Mann vor seiner Verlustangst zu schützen. Deshalb wird er in die Behandlung einbezogen.

Dieser fiktive Fall zeigt deutlich den Kern der systemischen Arbeit: Krank ist nie der Einzelne, sondern stets das soziale Gefüge, in dem er sich bewegt, und der Patient ist nur Symptomträger eines Systems. Dessen Muster und wechselseitige Abhängigkeiten entwirrt die systemische Therapie – ein Verfahren, das sich besonders bei Kindern und Jugendlichen als sinnvoll erweist.

Mehr: Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie, 0221/61 31 33. Oder: www.dgsf.org.

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