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Kommt sie oder kommt sie nicht? Es bleibt spannend mit dem Mailverkehr.

© dpa

Freunde sind Mailschlunzen: Bitte melde dich!

Mail nicht gelesen, keine Antwort, keine Ahnung: Wieso ist es in Berlin so schwer geworden, sich zu verabreden? Liebe Freunde, das ist Mist. Ein dringender Vorschlag für 2015: mehr Verbindlichkeit.

Toll, es ist Januar, endlich wieder ein neues, noch ungelebtes Jahr, das sich glitzernd vor einem ausbreitet wie eine unbetretene Schneefläche. Diesmal wird alles anders, besser, schöner. Satte 362 Tage voller Möglichkeiten. Diesmal lassen wir es nicht zu, dass sich der Ranz der Routine über unsere Leben, unsere Lieben, unseren Mailverkehr legt.

Damit langt’s mir nämlich, Freunde! Und wenn ich Freunde sage, meine ich sowohl meine privaten als auch alle anderen Mailschlunzen da draußen in der großen Stadt Berlin. Solche nämlich die, wie gleich mehrere meiner Bekannten, in der terminschwangeren Zeit vor dem Jahresende per Mail um eine Verabredung baten, Treffvorschläge gemailt bekamen – und daraufhin rein gar nichts mehr von sich lesen ließen. An die zwei Wochen lang! Bis ran an die hoffnungsfroh unterbreiteten Termine! Bis ich mich genervt, aber trotzdem weiter um einen verbindlichen Ton bemüht, per Mail erkundigte, wann denn mit der Güte und Gnade einer Antwort zu rechnen sei, zumal die meisten freien Abende inzwischen dahingeschmolzen waren wie Schnee in der Sonne.

Ist Freundschaft dicker als Blut?

So was, Ihr Lieben, gehört sich nicht! Das killt die Begeisterung, hemmt den Übermut, macht aus der Alltagsfreude Verabredung eine Plage mühevoller Anbahnung. Kurz gefragt: Was soll der Mist? So ein liebloser Umgang kann doch unter uns toleranten Städtern nicht sein, über die es angesichts der Lebensentwürfe Patchwork-Familie, Hausprojekt, Single oder gleichgeschlechtliche Partnerschaft immer zu lesen steht, dass für sie, dass für uns, Freundschaft dicker ist als Blut.

Was also ist da los? Oder – um Die Sterne zu zitieren –: Was hat dich bloß so ruiniert? Liegt es womöglich am Medium? Ist der schnell angeklickte, schnell weggeklickte, also flüchtige Charakter der Mail an sich der Grund für diese Nachlässigkeit? Außer der NSA liest die ja niemand richtig. Sonst käme es nicht dauernd vor, dass Leute nach der Telefonnummer fragen, obwohl sie untendrunter steht. Tschuldigung, mir auch schon passiert!

E-Mail-Knigges jedenfalls raten, dass man versuchen soll, eine Mail innerhalb eines Tages zu beantworten, auch wenn es sich nur um einen kurzen Zwischenbescheid handelt. Aber: Diese für Geschäftsbeziehungen geltende Latte lege ich für Freunde gar nicht an! Die können sich von mir aus gerne zwei, drei Tage überlegen oder mit Mann wahlweise Maus beraten, ob dieser oder jener Abend günstiger wäre. Gleichzeitig akzeptiere ich anstandslos Zwischenbescheide der Sorte „Weiß noch nicht hundert Pro, wahrscheinlich Samstag, melde mich“. Das sind ja keine lästigen Bittsteller oder abgrundtief üble Bösewichte, das sind ja Freunde! Und für die gilt das Wort „Mailschwemme“ nicht. Oder bekommen Sie etwa jeden Tag zwanzig nette Mails von nahestehenden Menschen, die vielleicht winzige, kleine Entscheidungen erfordern? Ich jedenfalls nicht.

Mein Leben ist zu voll für mich

Was ist es dann? Aufschieberitis, allgemeine Unsortiertheit, menschliche Überforderung, das zugleich wahre und stolz gepflegte urbane Grundgefühl „Oh weh, mein Leben ist zu voll für mich“? Oder doch die Bindungsangst des Individuums, die sogar die besten Menschen daran hindert, frank und frei für eine Party in zwei Monaten zuzusagen („Weiß ich doch jetzt noch nicht. Könnte ja noch was Besseres reinkommen“)? So viele von euch haben schon Therapien gemacht: Könntet ihr dieses Jahr bitte, bitte endlich von solchen Gaga-Mechanismen loskommen?

Bliebe noch das bei den Terminzusageverweigerern womöglich spontan erwachte Bewusstsein eigener Unwürdigkeit. So nach dem gerne von Frauen gepflegten Komplexmuster: „Wie ich gerade drauf bin, das kann ich keinem zumuten.“ Da sage ich: Doch, Freund oder Freundin! Denn das bist du! Ich spreche auch privat gern mit Menschen. Besonders wenn dazu Alkohol mit lustig perlenden Bläschen gereicht wird. Spätestens nach zwei Gläsern weiß dann auch ein Soziopath wieder: Geteiltes Leid ist halbes Leid, und geteilte Freud’ ist doppelte Freud’. Also, Freunde, abgemacht: 2015 findet ihr euren Enthusiasmus wieder! Ich freu mich drauf. Die Mailadresse habt ihr ja.

Dieser Text erschien als Rant in unserer Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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