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Berlin: Frieden mit Berlin

Vom Umzugsgegner zum Sympathisanten: Friedel Drautzburg, Chef der „StäV“, ist – beinahe – bekehrt

In der Herrentoilette zeigt er auf ein großes Foto über den Pissoirs, dann streicht er sich über den weiß gewordenen Schnauzer, rückt die blaue Schiebermütze zurecht und schmunzelt. „Hier sehen Sie mich im Frühjahr 1991 vor dem Bonner Rathaus mit unserem ,Ja zu Bonn’-Plakat.“ Friedel Drautzburg (73), Mitinhaber des legendären Lokals „StäV“, der „Ständigen Vertretung“ am Schiffbauerdamm in Mitte, war damals ein entschiedener Gegner des Regierungsumzugs nach Berlin.

Heute, 20 Jahre nach dem Hauptstadtbeschluss des Bundestags am 20.  Juni 1991, will er zwar nicht unbedingt sagen, dass der Wechsel zur Spree richtig war, doch mit Berlin hat er mehr als seinen Frieden geschlossen: „Für einen politisch und kulturell interessierten Menschen ist es doch ein Traum, hier zu leben“, sagt er.

Friedel Drautzburg, Bonner Urgestein, wohnt in dem Gründerzeit-Haus direkt neben seinem Lokal, mitten im Trubel zwischen Bahnhof Friedrichstraße und Theaterviertel. Dort hat er seit 1997, als er die StäV mit seinem Kompagnon Harald Grunert in Berlin eröffnete, „das Aufblühen“ der Stadt erlebt und ist überzeugt: „Ohne den Umzug hätte sich Berlin niemals zu einer so tollen, modernen, anziehungskräftigen Stadt entwickelt.“

Die StäV allerdings, und das ist dem Lokalchef mit den vielen Lachfältchen „ganz wichtig“, hält die Bonner Jahre davor, die Wendezeit und die rheinländische Lebensart höchst lebendig – und zwar für alle Sinne. Über dem Tresen baumeln hunderte Kölner Karnevalsorden. An den Wänden eine fotografische Zeitreise zurück zu Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger, Willy Brandt, Helmut Schmidt & Co. Holländische Berlin-Besucher trinken am Sonntag Kölsch unter einem Plakat mit Gorbatschow, der 1989 in der Bundeshauptstadt eine kleine Bonnerin auf dem Arm hält. Ein japanisches Trio testet „Himmel un Äd“ aus der rheinischen Küche, gebratene Blutwurst mit Püree, und versucht dabei, einstige DDR-Hetzplakate gegen die „Bonner Kapitalisten“ zu entziffern.

Doch auch viele einstige Kölner und Bonner, die mit der Regierung nach Berlin kamen, gönnen sich den sonntäglichen Sauerbraten. Wegen ihnen nahm Drautzburg von Bonn Abschied, schuf für sie erst ein Asyl, das sich längst zur Heimstatt für die große Gemeinde vom Rhein und zur Touristenattraktion entwickelt hat.

Schon bald nach der Wende blieben etliche Stammgäste seiner früheren Szenekneipe weg, die er in Bonn betrieb. Er zog ihnen nach – und macht sich seither einen Spaß daraus, „so manchen Berlinern ihre provinzielle Kiezigkeit vorzuführen“. 2003 beispielsweise, da feierten die StäV-Gäste einen stummen Karneval mit Kopfhörern, weil der Bezirk Mitte zu Rosenmontag wegen des Lärmschutzes „lautes Singen und Grölen“ untersagt hatte. Und die aktuellen Kreuzberger Hetzparolen gegen Touristen findet Drautzburg „ganz unmöglich“. Bei ihm ist die Speisekarte sechssprachig.

Besucht haben ihn am Schiffbauerdamm schon Kanzler, Bundespräsidenten und Promis jeder Couleur. Auch deshalb hat Friedel Drautzburg über den Pissoirs neben dem Ja zu Bonn-Plakat ein zweites historisches Foto, diesmal aus Berlin, aufgehängt. Es zeigt Schmierereien auf den StäV-Fenstern, kurz nach der Eröffnung 1997: „Bonner verpisst Euch!“ Wie sich die Zeiten ändern. Christoph Stollowsky

Seiten 10 und 11

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