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Berlin: Friedliche Demo: Mit Nelken und feuchten Augen zu Karl und Rosa

Mehrere Zehntausend Menschen haben gestern der vor 82 Jahren ermordeten Sozialistenführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gedacht. Die Gedenkstätte war überhäuft mit roten Nelken.

Mehrere Zehntausend Menschen haben gestern der vor 82 Jahren ermordeten Sozialistenführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gedacht. Die Gedenkstätte war überhäuft mit roten Nelken. Trauermusik erklang, und manche Besucher hatten feuchte Augen. Die PDS, deren Parteispitze schon am frühen Morgen den Friedhof in Friedrichsfelde besuchte, sprach von rund 100 000 Teilnehmern. Die traditionelle Demonstration linker Gruppen bis zur Gedenkstätte verlief ohne größere Zwischenfälle.

Im vergangenen Jahr musste das Gedenken um eine Woche verschoben werden und konnte nur unter starken Sicherheitsvorkehrungen stattfinden, weil der Drohbriefschreiber Olaf Staps einen Anschlag angekündigt hatte. Diesmal saß Staps in Untersuchungshaft, und alles war wie in den Jahren zuvor: Ab 9 Uhr morgens, als die PDS die Gedenkstätte öffnete, strömten zuerst ältere, dann auch jüngere Besucher auf den Friedhof. Um 9.30 Uhr legten die PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer und die Berliner Landeschefin Petra Pau einen Kranz nieder. Pau freute sich später, "dass im Laufe des Tages auffällig viele junge Leute da waren."

Die Gedenkveranstaltung vereint seit Jahren die unterschiedlichsten Menschen: PDS-Mitglieder, alte Widerstandskämpfer, Anhänger linker Sekten wie der MLPD, Jusos, junge Autonome, Anhänger linker türkischer Parteien und vor allem viele Ost-Berliner, die der Gedanke an den Sozialismus noch immer wärmt. Das Gedenken habe mittlerweile eine "eigene Tradition entwickelt, die nicht totzukriegen ist", sagte Pau. "Jeder gedenkt jenseits aller Parteigrenzen auf seine Art und Weise."

Der Weg vom U-Bahnhof Lichtenberg zur Gedenkstätte war gesäumt von Nelkenverkäufern (eine Mark das Stück) sowie Ständen linker Splittergruppen (für den Sozialismus). Auf dem Vorplatz spielte eine Schalmeien-Kapelle.

Gegen 10 Uhr hatten sich etwa 8000 Teilnehmer am Frankfurter Tor zur "Liebknecht-Luxemburg-Demonstration" versammelt. Bevor der Zug in Richtung Gedenkstätte los ging, schossen drei Vermummte vom Dach eines Hauses Leuchtspurmunition in den Himmel. Auf der Demonstration war es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen - diesmal blieb bis auf eine kurze Rangelei alles friedlich. Türkische Demonstranten führten Sarg-Attrappen mit, um an die blutige Gefängnisrevolte in der Türkei zu erinnern. Eine mobile Rockband sang "nimm die Zukunft in die Hand", eine Antifa-Gruppe trug ein Transparent mit der Aufschrift: "Liebe Polizei, bitte haut uns nicht, wir könnten Eure späteren Außenminister sein!"

Bereits zu DDR-Zeiten hatte die SED Kundgebungen an der Gedenkstätte für die am 15. Januar 1919 von rechtsradikalen Freikorpssoldaten ermordeten Kommunisten veranstaltet - damals allerdings als reine Parteiveranstaltung. Seit dem Mauerfall ist die Disziplin weniger ausgeprägt. Weil so viele Leute so spät kamen, musste eigens die Öffnungszeit verlängert werden. Erst um 13.30 Uhr konnte die PDS das Friedhofstor schließen. Auch die SPD gedachte Liebknechts und Luxemburgs - wie jedes Jahr separat, mit einer Kranzniederlegung im Tiergarten.

Holger Stark

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