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Frühere Koalitionen in Berlin: Das rot-schwarze Trauma

Mit einer knappen Mehrheit von SPD und Grünen wird es sich nicht leicht regieren. Doch die Angst vor einer großen Koalition ist noch größer - das Trauma der 90er Jahre wirkt nach.

Harry Ristocks Worte werden sie nie vergessen. Von „Mehltau“ des Stillstands, der sich über die Stadt legen würde, sprach der damalige Wortführers der linken Sozialdemokraten und warnte 1990 seine Genossen vor einer Koalition mit der CDU. Vergeblich, aber für viele immer noch sehr hellsichtig. Am Ende standen ein zwölfjähriges Martyrium der Sozialdemokraten, die in der Wählergunst immer mehr dahinsiechten, während der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen zum populären Berlin-Versteher reifte.

Alles, bloß keine rot-schwarze Koalition. Das Trauma wirkt bei der SPD bis heute nach; zu tief waren die empfundenen Kränkungen, zu fremd waren sich die ungleichen Partner in ihrer politischen Kultur, zu abschätzig redeten die Parteifreunde übereinander, zu wenig vertrauten sich die Protagonisten. Auch zehn Jahre nach dem Bruch der CDU-SPD-Koalition gibt es noch unverheilte Wunden und das Gefühl, dass man „eigentlich nicht miteinander kann“. Und das, obwohl die heute führenden Personen der CDU, wie Parteichef Frank Henkel und seine Stellvertreter Monika Grütters und der Unternehmer Thomas Heilmann, damals teilweise nicht einmal Mitglied waren. Das Unbehagen vieler Sozialdemokraten macht sich eher fest an den Kreisvorsitzenden Frank Steffel und Michael Braun oder dem Kreuzberger Urgestein Kurt Wansner, die in der SPD als Strippenzieher einer konservativen Klientelpartei gelten, denen noch der West-Berliner Filzmief anhaftet.

Dabei wären die Voraussichten für eine erneute große Koalition diesmal anders. Denn es sind die Sozialdemokraten, die den Regierenden Bürgermeister und die stärkste Fraktion stellen. Nach der verheerenden Niederlage Ende 1990, als die SPD abgestraft wurde für das chaotische Ende der rot-grünen Koalition, führte nichts an einer Koalition mit dem Wahlsieger CDU vorbei. Es war die Zeit der großen Herausforderung nach dem Mauerfall, als die einst geteilte Stadt die vorhandenen Doppelstrukturen der „Hauptstadt der DDR“ und „West-Berlin“ innerhalb kürzester Zeit wieder zu einer Einheit zusammenfügen musste: vom Stromnetz bis zum Nahverkehr, von den Krankenhäusern bis zu Opernhäusern, dem Öffentlichen Dienst bis zu den Universitäten.

Die titanische Aufgabe erledigte die große Koalition in bemerkenswert streitloser Effizienz. Obwohl auch viele Verwaltungen neu installiert werden mussten, während Investoren die ungefestigten Strukturen zugleich ausnutzten, um im boomenden Berlin ihre Projekte durchzusetzen. Vor allem musste die Stadt verkraften, dass Bundeskanzler Helmut Kohl viel zu abrupt die Zuschüsse für den Berliner Landeshaushalt einstellte. Es waren Eberhard Diepgen und der CDU-Finanzsenator Elmar Pieroth, die wegen der kritischen Stimmungslage im gebeutelten Berlin keinen abrupten Sparkurs wollten und dafür sehenden Auges den Schuldenberg aufhäuften, mit der die Stadt jetzt zu kämpfen hat. Schließlich hatten die Westberliner nach der Einheit schon fast zehn Prozent ihres Gehalts verloren, der von der Bundesregierung gezahlten sogenannten „Zitterprämie“. Und weil Diepgen durchsetzte, dass wegen der inneren Einheit im öffentlichen Dienst auch Ostberliner West-Tarif erhalten, gab man weitere Milliarden aus, die die Stadt nicht hatte.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wer damals die Zeche bezahlen musste.

Die Zeche zahlte nicht Eberhard Diepgen, sondern die im Schatten der dominierenden CDU dahinsiechenden Sozialdemokraten. Die stolze SPD, die bis in die achtziger Jahre mit Werten um die 50 Prozent geglänzt hatte, sackte in der Wählergunst immer weiter ab. „SPD klar über fünf Prozent“, ätzte die „taz“, als 1996 die SPD mit der Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer auf 22, 6 Prozent abstürzte – was der nächste Kandidat, der „Mann mit dem roten Schal“ Walter Momper 1999 sogar noch unterbot.

Vor allem dem Multifunktionär – Banker, Lotto-Stiftungs-Vorstand, Kulturmäzen – und starken Mann der CDU, Klaus-Rüdiger Landowsky, gelang es, die SPD strategisch ins Abseits zu drücken. Selbst bei den Mitarbeitern der landeseigenen Betriebe, traditionell eine Domäne der SPD, schaffte es Landowsky, sich als der bessere Arbeitnehmervertreter darzustellen. Dem CDU-Mastermind Landowsky gelang es auch, die aus Jahrzehnten der Insellage herrührenden West-Berliner Ressentiments zu mobilisieren. Sein Spruch, man müsse mit „eisernem Besen ... sozialistische Wärmestube auskehren“ verhinderte die von der SPD unterstützte Fusion von Berlin und Brandenburg. Die heute umstrittene stadtnahe Lage des neuen Großflughafens wurde ebenfalls gegen den Willen der SPD durchgesetzt. Das Ende kam 2001 mit leichtfertig vergebenen Krediten an CDU-Parteifreunde und der Übergabe von 20 000 Mark an CDU-Fraktionschef Landowsky. Damit platzte die Koalition ausgerechnet über die skandalösen Machenschaften der Landesbank, die CDU und SPD 1994 als Instrument der Finanzierung für das neue Berlin gegründet hatten: Ein Skandal, eiskalt genutzt von Klaus Wowereit, dessen Karriere mit dem Bruch der großen Koalition erst richtig startete.

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