zum Hauptinhalt

Berlin: Früheres jüdisches Waisenhaus: Blumenmuster als Spuren der Vergangenheit - Gebäude in Pankow wird Bibliothek des Bezirks

Ein jüdisches Waisenhaus, eine Behörde der nationalsozialistischen SS und zwei Botschaften hat das neobarocke Gebäude an der Berliner Straße in Pankow in den vergangenen 87 Jahren beherbergt. Nun wird in das dreistöckige Bauwerk die Pankower Bezirksbibliothek, eine Schwesternschule und eine Suchtberatungsstelle einziehen.

Ein jüdisches Waisenhaus, eine Behörde der nationalsozialistischen SS und zwei Botschaften hat das neobarocke Gebäude an der Berliner Straße in Pankow in den vergangenen 87 Jahren beherbergt. Nun wird in das dreistöckige Bauwerk die Pankower Bezirksbibliothek, eine Schwesternschule und eine Suchtberatungsstelle einziehen. Entsprechende Pläne gab gestern die Walter-und-Margarete-Cajewitz-Stiftung bekannt, die das Haus 1999 für knapp vier Millionen Mark vom Staat Israel gekauft hatte. Weitere vier Millionen Mark will die Stiftung für die Sanierung ausgeben. Anfang 2001 sollen die neuen Mieter einziehen.

Noch ist das Haus Nummer 120/21 eingerüstet, außen und innen mit einer dicken Staubschicht überzogen. Farbe bröckelt von den Decken der Räume, das Parkett ist aufgerissen. Mit Kunstleder überzogene Türen und alte Neon-Lampen zeugen vom letzten Mieter zu DDR-Zeiten: der kubanischen Botschaft. Nur der in Schlafsäle gegliederte Grundriss und eine durchlöcherte Kassettendecke in einem früheren Betsaal erinnern an die Nutzung als jüdisches Waisenhaus. Die mit Blumenornamenten verzierte Decke hatte der jüdische Zigarettenfabrikant Josef Garbáty-Rosenthal Anfang des Jahrhunderts gestiftet.

1943 ließen die Nazis das Waisenhaus räumen, die Kinder wurden deportiert und ermordet. Nach dem Krieg kamen dort für kurze Zeit die Pankower Bezirksverwaltung und der Deutsche Sportbund unter, bevor 1949 die polnische und dann in den 70er Jahren die kubanische Botschaft einzog. Nach der Wende wurde das Gebäude der Jewish Claim Conference übertragen und dann Eigentum des Staates Israel. Vergangenes Jahr brachte der Bezirk die Cajewitz-Stiftung als Käufer ins Spiel. Diese unterstützt Altenprojekte und finanziert sich durch Vermietungen. In Pankow erwarb sie bereits die Villen am Amalienpark.

Auf drei Etagen wird künftig die Bezirksbibliothek von Pankow Platz finden, nach Angaben des Bildungsstadtrats Alex Lubawinski werden dafür die Standorte in der Harzgeroder und in der Mühlenstraße geschlossen. Die Cajewitz-Stiftung hat zudem vor, an die jüdische Geschichte des Hauses zu erinnern. Allein 300 000 Mark wird die Restaurierung der Kassettendecke kosten, im Foyer sollen auf einem Stadtplan die Namen ermordeter Pankower Juden verzeichnet werden. Das Gedenkkonzept erarbeitet die Stiftung mit dem Centrum Judaicum.

"Ideal" findet Thomas Garbáty die künftige Nutzung. Der 1938 als Kind in die USA emigrierte Enkel des Deckenstifters ist auf Berlinreise und nahm das Haus gestern in Augenschein. Der 70-Jährige ist Anglistikprofessor und bezeichnet sich als "Buchmensch". Sein Großvater besaß hinter dem Waisenhaus eine berühmte Tabakfabrik. Ein weiteres Pankower Haus, das der Tabakfamilie früher gehörte, geriet unlängst in die Schlagzeilen. Die Republikaner richteten dort ihre Bundeszentrale ein.

tob

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false