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Frühpensionierung: Kaum Beamter, schon krank

Ein frühpensionierter Polizist kam mit der "vielen freien Zeit" nicht klar und überfiel einen Supermarkt. Nicht erst dieser Fall wirft die Frage auf, warum viele Staatsdiener vorzeitig in den Ruhestand gehen - manche schon mit 30 Jahren.

Von Sandra Dassler

Mit 42 ging er wegen gesundheitlicher Probleme in den Ruhestand. Weil der ehemalige Polizeirat mit der „vielen freien Zeit“ nicht zurechtkam, überfiel er einen Supermarkt und muss jetzt für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis.

Nicht erst der Fall des am vergangenen Mittwoch verurteilten Thomas G. wirft die Frage auf, weshalb viele Berliner Beamte vorzeitig in den Ruhestand gehen: Fast ein Drittel von ihnen wird wegen Dienstunfähigkeit frühpensioniert, rund 2000 Beamte gehen jedes Jahr in den Ruhestand, mehr als 100 davon sind unter 45 Jahre alt. Vor allem Polizisten, Justizvollzugsbeamte und Feuerwehrleute fallen oft lange vor dem Rentenalter aus. Hier gehen die Bediensteten im Durchschnitt schon mit 57 Jahren in den Ruhestand.

Die Liste von Beamten, die in den letzten Jahren mit fragwürdigen Begründungen in Frühpension geschickt wurden, ist lang: Ein Polizist, der ausgerechnet eine Phobie gegen die Farbe Grün entwickelt hat, war ebenso dabei wie ein Justizbeamter, der plötzlich keine Gitter mehr sehen konnte. Beiden wurde eine psychische Erkrankung bescheinigt. Ein krankgeschriebener Lehrer blieb bei vollem Verdienst jahrelang zu Hause und schrieb dort seine Doktorarbeit, weil sich die Verwaltung mit unklaren amtsärztlichen Attesten zufrieden gab. Eine Sachbearbeiterin wurde mit 32 Jahren auf Kosten des Landes in Frühpension geschickt, obwohl sie noch gut halbtags hätte arbeiten können. Ein Justizvollzugsbeamter wurde mit 29 Jahren dienstunfähig, obwohl sein mangelndes Engagement und hohe Fehlzeiten schon während der Probezeit erkennbar waren. Einen Monat nach der Verbeamtung wurde er krank. Vor dem plötzlichen Siechtum hatte er „bereits deutlich zu verstehen gegeben, dass nach Aushändigung der Urkunde mit ihm nicht mehr zu rechnen sei“, wie es 2000 in einem Bericht des Landesrechnungshofes hieß.

Am Donnerstag beschäftigt sich das Verwaltungsgericht mit mehreren Beamten, die vor ihrer Pensionierung wegen Dienstunfähigkeit lange Zeit krank geschrieben waren und auf Entschädigung für ihren entgangenen Erholungsurlaub geklagt haben. Nach dem Berliner Beamtenrecht verfällt bisher ein nicht genommener Jahresurlaub mit Ablauf des Folgejahres.

Als Grund für frühe Dienstunfähigkeit bei Polizei, Feuerwehr und in den Haftanstalten sieht die Innenverwaltung „erhöhte körperliche Anforderungen und gefahrengeneigtere Tätigkeiten“. Seit zweieinhalb Jahren versucht die Innenverwaltung mit einem neuen Gesundheitsmanagement der hohen Zahl von Frühpensionierungen entgegenzuwirken. Trotzdem sind laut der Gewerkschaft der Polizei (GdP) weit über 1000 Polizisten, die noch im Dienst sind, bereits wegen Gesundheitsproblemen nur noch „modifiziert einsetzbar“. „Früher wurden Polizisten und Feuerwehrleute, die nicht mehr einsatzfähig waren, noch weitergebildet und konnten dann beispielsweise in der Verwaltung arbeiten“, sagt GdP-Sprecher Klaus Eisenreich. Heute aber fehle ein Konzept, um Beamte mit gesundheitlichen Problemen weiter zu beschäftigen.

„Gerade für Polizisten muss es mehr Hilfe geben“, sagt der CDU-Innenexperte Peter Trapp. Nicht nur nach Schusswaffengebrauch, sondern auch nach schwierigen Einsätzen müsse psychologische Betreuung beispielsweise einem Burn-out-Syndrom vorbeugen. „Das kostet zwar Geld, aber es ist gut angelegt.“ Trapp fordert, über eine Erhöhung der nach dem Beamtenrecht vorgeschriebenen Abschläge auf die Altersversorgung bei Frühpensionierungen nachzudenken. Dagegen findet der Landeschef des Deutschen Beamtenbundes, Joachim Jetschmann: „Die Abschläge gehören abgeschafft. Es ist extrem ungerecht, wenn jemand bis 64 unter extrem belastenden Bedingungen arbeitet, dann ausgebrannt ist, pensioniert werden muss und dafür auch noch bestraft wird.“

Seit die Abschläge bei Frühpensionierungen vor zehn Jahren erhöht wurden, blieb deren Zahl bei Berliner Polizeibeamten gleich, bei Lehrern ging sie stetig zurück. Vor zehn Jahren erreichte in Berlin kaum ein Pädagoge das normale Rentenalter. Heute wehren sich immer mehr gegen eine Frühpensionierung, weil ihnen die Abschläge zu hoch sind, sagt Renée Wirtmüller, Leiterin der Zentralen Medizinischen Gutachtenstelle (ZMGA). Hier begutachten Ärzte die Lehrer, Justizvollzugsbeamten, Richter und andere Beamte – außer Polizisten – und analysieren, ob jemand simuliert oder übertreibt.

„Außerdem erfolgt bei einer Frühpensionierung in der Regel nach zwei Jahren eine Nachuntersuchung“, sagt Renée Wirtmüller. „Es ist nicht so, dass ein Gutachten für alle Zeiten Gültigkeit behält.“

Arbeitgeber können also einschreiten, wenn eine Pensionierung ungerechtfertigt scheint. Ein frühpensionierter Beamter bleibe Beamter und könne jederzeit wieder reaktiviert werden, sagt die Sprecherin der Innenverwaltung, Kristina Tschenett: „Bei nachgewiesenem Betrug kann er außerdem strafrechtlich oder durch ein Disziplinarverfahren zur Verantwortung gezogen werden.“ Und wenn beispielsweise ein Polizist nicht mehr die Kriterien der sogenannten qualifizierten Diensttauglichkeit erfülle, werde erst einmal versucht, ihm einen anderen Arbeitsplatz innerhalb der Polizei oder der Verwaltung anzubieten. das/jra

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