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Berlin: FU-Präsident an die Kette gelegt

Amtsübergabe jetzt mit Traditionsschmuck. Eine Rezension

Schwer und golden schimmernd hängt sie am Hals ihres Trägers: die Amtskette. Die erste, die die Gäste bei der festlichen Übergabe des Präsidentenamts der Freien Universität am Freitag zu Gesicht bekamen, war die des Rektors der Technischen Universität Dresden. Der spazierte damit in den Dahlemer Henry-Ford-Bau, als sei es die natürlichste Sache der Welt. Ist es aber nicht. An der FU hat man seit 30 Jahren aus politischen Gründen dergleichen nicht gesehen.

Wissenschaftssenator Thomas Flierl sprach aus, was alle dachten: „Wir sind gespannt, wie Sie das nachher mit der Kette machen werden“, sagte er zum neuen Präsidenten Dieter Lenzen. Der hatte im Vorfeld einige seiner Alt-68er Kollegen verärgert. Schlimm genug, dass die FU wieder dazu übergeht, die Amtsübergabe mit einem Fest zu feiern. Aber nun auch noch mit dem Amtsschmuck, den die Revolutionäre einst im Archiv eingemottet haben? Dutschke bewahre!

Die Freie Universität ist also mit dem Feiern reichlich aus der Übung. Wie groß die Entbehrungen in all den Jahren gewesen sein müssen, zeigte der enthusiastische Griff des Protokoll-Chefs in die Berliner Künstlerszene. Zwei junge Frauen in Röcken und Blusen mit Kuh-Muster bliesen auf Alphörnern Töne, die im Programm als „heitere Fahne“ angekündigt waren, sich aber auf dem Weg durchs lange Horn öfter verkanteten – „dergleichen hört man sonst nur auf der Spitze Schweizer Berge“, sagte Alt-Präsident Gaehtgens stolz. In der Schweiz gibt es aber dazu keine Pantomime. An der FU schon. Im Rhythmus der Hornmusik verneigten sich neben der Bühne drei weiß geschminkte und in die Mode des 18. Jahrhunderts gekleidete Mimen galant in Zeitlupe, lächelten mechanisch in alle Richtungen und bewegten die Luft im Saal mit einem überdimensionierten roséfarbenen Fächer. Schon jetzt dürfte Kultursenator Flierl auf seine Kosten gekommen sein, der gesagt hatte, er beobachte die „gemäßigte Re-Ritualisierung“ an der FU mit großem kulturwissenschaftlichen Interesse. Angetan war sicher auch der amerikanische Botschafter Daniel R. Coats, der im Namen von Präsident Bush versprach, Amerika werde die FU – „ein Symbol der Freiheit“ – weiterhin unterstützen.

Dann war es soweit: „Ich bekenne mich freimütig dazu, dass eine Amtskette nicht nur in den Safe gehört“, sagte Alt-Präsident Gaehtgens. „Lieber Herr Lenzen, jetzt sind Sie dran.“ Sprach’s und legte die Amtskette um den schlipslosen Hals seines Nachfolgers. Da zuckten die Blitzlichter der Fotografen, die Gäste erhoben sich zum Applaus: eine echte Ketten-Reaktion.

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