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Das Rauschen den Stadt. Christina Kubisch hört Dinge, die andere nicht hören.

© Markus Hüttmann

Führung durch Berlin: "Electrical Walks" macht unsichtbare Schwingungen hörbar

Künstlerin Christina Kubisch führt auf „Electrical Walks“ durch die Stadt. Mit speziellen Kopfhörern kann man elektromagnetische Felder akustisch wahrnehmen.

Die Stadt rauscht. Sie knarrt und fiept, sie schnarrt, sie brummt und sie dröhnt. Normalerweise aber ist nichts davon für das menschliche Gehör wahrnehmbar – außer, man begleitet die Künstlerin Christina Kubisch auf einem ihrer „Electrical Walks“ und trägt einen speziell für diesen Zweck angefertigten Kopfhörer.

Nun mag der ein oder andere berechtigterweise fragen, warum man sich in der ohnehin schon lauten Stadt freiwillig noch mehr Lärm aussetzen sollte. Kreischende S-Bahnen, hupende Autos und lautes Stimmengewirr gehören für jeden Berliner zum mehr oder weniger stoisch ertragenen Klangalltag. Auf einem Electrical Walk dagegen gibt es Ungewöhnlicheres auf die Ohren: Da kann man sich schon mal mitten in der Stadt auf die piepende Brücke eines Raumschiffs aus einem Science-Fiction-Film der 80er Jahre oder auf das Gelände eines intensiv brummenden Umspannwerks versetzt fühlen.

Kabellose Kopfhörer machen elektromagnetische Felder hörbar

Die gebürtige Bremerin Christina Kubisch beschäftigte sich bereits während ihres Studiums mit dem Thema Elektroakustik und elektronische Musik. Seit den späten 70er Jahren kreiert Kubisch, die heute in Hoppegarten wohnt, Soundinstallationen mithilfe von elektromagnetischer Induktion. Im Laufe der Jahre stellte die Klangkünstlerin und Komponistin fest, dass die Arbeit mit ihren elektronischen Klangkunstwerken immer schwieriger wurde, weil Störungen durch elektromagnetisches Hintergrundrauschen vor allem in urbanen Gebieten immer stärker zunahmen. 2003 beschloss sie schließlich, den Spieß einfach umzudrehen: Statt die ungewollt erzeugten Geräusche zu dämpfen und zu filtern, verstärkt Kubisch seitdem das elektronische Hintergrundrauschen durch speziell dafür hergestellte Technik. Mit Kupferspulen ausgestattete, kabellose Kopfhörer nehmen die Schwingungen elektromagnetischer Felder in der Umgebung auf und machen sie für das menschliche Ohr hörbar.

Jede Stadt hat ihren eigenen Sound

Im Rahmen der Medienkunstausstellung Ars Electronica aus dem österreichischen Linz, die noch bis zum 26. Oktober in den Räumen des Drive-Forums der Volkswagen Group in Mitte stattfindet, bietet Christina Kubisch derzeit Electrical Walks in Berlin an. Ausgerüstet mit den Kopfhörern und selbst erstellten Stadtkarten mit besonderen Klangorten, bietet Kubisch seit fast 15 Jahren akustisch orientierte Spaziergänge durch verschiedene Städte der Welt an. Ihre ersten Electrical Walks lief sie in Tokio, viele andere in der russischen Stadt Jekaterinburg. „Jede Stadt klingt unterschiedlich und ist für mich immer wieder eine Entdeckung“, sagt die Künstlerin. In Jekaterinburg etwa sei der Sound des Straßenbahnsystems aus den 30er Jahren unverwechselbar. Aber auch Berlin habe eine einzigartige elektronische Klangkulisse. Gleichzeitig gebe es aber auch vermehrt Klänge, die Christina Kubisch immer wieder antrifft: Die Globalisierung mache sich eben auch in elektromagnetischen Klangfarben bemerkbar.

Eine neue Klangwelt

Mitunter gibt es für die Künstlerin auf ihren Spaziergängen auch schon mal Probleme: Vor allem in den USA und Frankreich werden die Gruppen mit ihren seltsamen Kopfhörern von Sicherheitsleuten etwa in Kaufhäusern äußerst misstrauisch beäugt, auch das Wachpersonal der US-amerikanischen Botschaft in Berlin war über die Präsenz ihrer Truppe not amused, erzählt sie lachend. Das kann ihre Begeisterung für das Thema aber nicht schmälern: „Diese Klänge können sehr schön, sehr laut, auch sehr unheimlich sein“, sagt Kubisch.

Die Kopfhörer eröffnen jedem, der sie trägt, auch in Berlin eine ganz neue Klangwelt mit einer vielfältigen Geräuschpalette: Von Leuchtreklamen über Diebstahlsicherungen, Geld- und Bankautomaten bis hin zu U-Bahnen hat jedes elektrische Gerät seinen ganz eigenen elektromagnetischen Klang. Da wird die im U-Bahnhof Friedrichsstraße einfahrende U6 zu einem startenden Raumschiff, elektronische Reklametafeln in der nahen Mercedes-Niederlassung piepen wie eine futuristische Konsole und Sicherheitsschleusen von Kaufhäusern brummen lauter als eine Trafostation aus nächster Nähe. Vor Letzteren warnt Christina Kubisch dann auch ausdrücklich, denn manche elektronische Geräuschquellen sind so intensiv, dass sie nicht nur die Kopfhörer, sondern auch die Ohren schädigen können.

Weitere Electrical Walks gibt es am 18. Oktober um 13, 15 und 18 Uhr, Startpunkt ist das Volkswagen-Forum, Friedrichstraße 84 / Ecke Unter den Linden, Mitte. Jeweils eine Stunde vorher können interessierte Besucher zudem an einer von einem Kurator begleiteten Führung durch die Ausstellung teilnehmen. Beides ist kostenlos.

Markus Hüttmann

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