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FÜNF  MINUTEN  STADT: Berlin Rosa-Luxemburg-Platz

In Mitte, unweit des Rosa-Luxemburg-Platzes, an einem Dienstagabend um acht. Die U2 spuckt Menschen aus, als wären sie ihr auf den Magen geschlagen.

In Mitte, unweit des Rosa-Luxemburg-Platzes, an einem Dienstagabend um acht. Die U2 spuckt Menschen aus, als wären sie ihr auf den Magen geschlagen. Die Ausgespieenen, sie strömen zur Volksbühne, in Nachtcafés, ein paar von ihnen dürften es sogar ins Soho House an der Torstraße schaffen, so beschissen schick haben sie sich gemacht. Es muss Stunden, Tage, ihr ganzes jämmerliches Leben gedauert haben. Zum Beispiel die da! Die mit dem toten Fuchs um den Hals! Traurig sieht es aus, das arme Tier, und das wohl nicht nur, weil es tot ist. Wenn Alfred Döblin das wüsste. Wenn Gott das wüsste. Ist das noch Berlin? Sie wälzen sich die Rosa-Luxemburg-Straße hinauf, Spanier, Schweden, Osnabrücker. Dann das: Am Kiosk, gleich neben der U-Bahn-Treppe, stehen zwei ganz andere Pflanzen. Sie sind echt. Berliner! Um diese Uhrzeit, hier! Ballonseide und Pulloverstrick: Ihre Kleidung gleicht dem Schick der absichtlich Schlechtangezogenen, bei ihnen allerdings passt sie zu den Gesichtern: Auch die sind secondhand. Die Frau trinkt harten Schnaps, der Mann raucht Schwarzer Krauser, die Stimmung ist im Keller. „Ick bin ja so wat von enttäuscht von dir“, sagt sie. „Echt jetzt?“, sagt er. „Ohne Ende“, sagt sie und rotzt etwas Braunes, Zähes auf den Gehsteig. Und plötzlich, ganz plötzlich, ist das hier nicht mehr Mitte und auch nicht mehr 2011. Es riecht nach Fahne, Sputum, Hunger und Franz Biberkopf: „Rechts und links sind Straßen. In den Straßen steht Haus bei Haus. Die sind vom Keller bis zum Boden mit Menschen voll.“ Die mit dem toten Fuchs um den Hals ist längst weg. Die Frau am Kiosk trinkt harten Schnaps, der Mann raucht Schwarzer Krauser, die Stimmung ist immer noch im Keller. „Ohne Ende“, sagt sie. Und schließlich er: „Det is natürlich blöd jetzt.“ Dirk Gieselmann

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