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Fünf Minuten Stadt: Graulila

Von der Ignoranz der Provinzjugend: Fünf Minuten zwischen Pizzaservice und Poesie.

Von Maris Hubschmid

In der U2 Richtung Pankow, ein Mittwochabend. Eine Gruppe Schüler um die 16 räkelt sich auf einer Bank, demonstrativ erschöpft. „Ich will nur noch was essen und ins Hostel“, sagt ein Mädchen. „Kann man hier nicht Pizza bestellen?“, fragt eine andere. „Ich habe genug Berlin gesehen.“ „Ich freu mich auf zu Hause, echt“, mischt eine Dritte sich ein. „Was bitte ist so mega-besonders an Berlin? Ich finde, es ist wie unser Parkplatz am Bahnhof.“ Allgemeines Gelächter. Die Sprecherin, ermutigt, fährt fort: „Grau und schmutzig und es stinkt. Oder habt ihr schon irgendwas Schönes gesehen?“ Nächster Halt: Alexanderplatz. Raus aus dem Zug und gen Ausgang, während die Jugendlichen sich noch um ihre Lehrerin versammeln. Am Fuß der Treppe nach oben spielt jemand Keyboard. Schumann, die Träumerei. Der Pianist hat sich einen Pferdekopf aus Plüsch aufgesetzt. Auf einem Pappschild neben einem Becher steht: „Für einen Verlobungsring.“ Am oberen Ende der Treppe tut sich ein lilafarbener Himmel auf. Über die Menschen, die aus dem Untergrund emporsteigen, schwebt eine riesige Seifenblase hinweg. Ein älterer Mann auf dem Platz entlockt weitere einem langen Seil mit fantastischer Leichtigkeit. „Berlin ist voller Poesie“, sagt eine Frau um die vierzig auf Englisch, schmiegt sich zärtlich an ihren Begleiter. Ein Blick zurück: Die Schülergruppe ist nicht mehr zu sehen. Sie hat einen anderen Ausgang genommen.

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