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FÜNF  MINUTEN  STADT: In der Schlange

Vor dem Französischen Dom an einem Samstagnachmittag gegen 17 Uhr. Wer auf dem Weihnachtsmarkt Geld ausgeben will, muss erst einmal Geld ausgeben.

Vor dem Französischen Dom an einem Samstagnachmittag gegen 17 Uhr. Wer auf dem Weihnachtsmarkt Geld ausgeben will, muss erst einmal Geld ausgeben. Vor dem Kassenhäuschen an allen vier Ecken des Platzes haben sich Schlangen gebildet. Die Fenster in den Plastikplanen gewähren einen Blick ins Innere, auf Holzpyramiden, Duftöle und Tontassen mit Vornamen darauf. Den Wartenden steht etwas ins Gesicht geschrieben, man kann es nur schwer entziffern. Haben sie Angst, dass die Tontassen mit ihrem Vornamen ausverkauft sein könnten, wenn sie endlich zu ihnen vorgedrungen sind? Oder vor dem Schnapspanscher, der dieser Tage sein Unwesen treibt? Würden sie gern frieren und sind nun enttäuscht, dass es dafür noch nicht kalt genug ist? „Scheiß Berlin“, faucht ein Mann. Er steht nicht mehr ganz am Ende der Schlange, aber noch weit entfernt vom Eingang. Neben ihm verzieht seine Frau ihren Mund zum Strich. Wenn das die schönste Zeit des Jahres sein soll, was ist dann erst die hässlichste? „Scheiß Berlin“, faucht der Mann noch einmal, dann fragt er, den Kopf leicht zu seiner Frau gedreht, ohne sie anzuschauen: „Oder?“ Was und ob die Frau antwortet, bleibt unklar. Denn in diesem Moment brüllt ein Ordner, verkleidet als Berliner Gendarm der vorletzten Jahrhundertwende, eine Anweisung. Man solle doch bitte eine gerade Schlange bilden. Es könne doch nicht so schwer sein. Dirk Gieselmann

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