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Berlin: Für den "Notplan Schalensitz" reicht die Zeit nicht mehr

Berlin und Hertha BSC können sich kaum noch Hoffnungen machen, das Olympiastadion rechtzeitig zum Start der Champions League mit den von der Europäischen Fußball-Union (Uefa) geforderten Schalensitzen auszurüsten. Nach Informationen des Tagesspiegels ist der Einbau von 70 000 Einzelsitzen mit Rückenlehne aus logistischen Gründen bis zum ersten Europa-Einsatz des Vereins am 10.

Berlin und Hertha BSC können sich kaum noch Hoffnungen machen, das Olympiastadion rechtzeitig zum Start der Champions League mit den von der Europäischen Fußball-Union (Uefa) geforderten Schalensitzen auszurüsten. Nach Informationen des Tagesspiegels ist der Einbau von 70 000 Einzelsitzen mit Rückenlehne aus logistischen Gründen bis zum ersten Europa-Einsatz des Vereins am 10. oder 11. August nicht zu leisten. Einzige Hoffnung, um die Spiele nicht in einer anderen Arena austragen zu müssen, bleibt eine Ausnahmegenehmigung der Uefa.

Von der Uefa wird diese Ausnahmeregelung allerdings hartnäckig abgelehnt. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hatte im vergangenen Jahr Berlin schlichtweg bei den Anträgen für Sondergenehmigungen nicht miteinbezogen, da auch die Experten nicht mit einem Auftritt von Hertha BSC auf der europäischen Fußballbühne gerechnet hatten. Einen positiven Beschluß könnte nur noch das Uefa-Exekutivkomitee auf seiner Sitzung am 1./2. Juli fassen. Unklar ist, ob die Uefa überhaupt noch das Olympiastadion wie geplant am 29. Juni inspizieren wird.

In der Bauverwaltung ist seit Dienstag der intern genannte "Notplan Schalensitz" in Kraft. Die Verwaltung versucht unter Hochdruck herauszufinden, ob und in welchem Zeitraum überhaupt die notwendigen 70 000 Sitze beschafft und installiert werden können. Die Erfolgsaussichten dürften nach dem Stand der Dinge gering sein. Gestern wurde einer Herstellerfirma in Bayern das Interesse Berlins bereits avisiert. In dem seit Jahren auf Stadien- und Hallensitze spezialisierten Unternehmen - das aus Konkurrenzgründen namentlich nicht genannt werden will - hält man die Berliner Pläne für zeitlich nicht umzusetzen.

Bei einer regulären Produktion von 600 Sitzen täglich sei so ein Auftrag bis zum August nicht zu bewerkstelligen. Auch wenn man die Produktion verdoppeln sollte, sei ein termingerechter Einbau illusorisch. Diese Einschätzung teilt auch der Finanzchef des Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Stadions, Gerhard Brotbeck. In Stuttgart wurden in der letzten Winterpause insgesamt 12 000 Einzelsitze eingebaut, weiter 14 000 folgen in diesem Sommer. Die etwaigen Pläne Berlins bezeichnet Brotbeck als "nicht zu schaffen". Die Stuttgarter haben eine Ausnahmegenehmigung durch die Uefa.

Pro Klappsitz muß mit einem Stückpreis von zwischen 60 und 100 Mark gerechnet werden. Dabei handelt es sich um die sogenannte Rückenlehnen-Variante, die auch nach der Modernisierung des Olympiastadions wieder eingebaut werden kann. Die Kosten würden sich zunächst auf rund 10 Millionen Mark belaufen. Dazu müssen allerdings etwa weitere fünf Millionen Mark für den Wiederausbau wie die Zwischenlagerung für die Zeit der Sanierung gerechnet werden.

Senat hofft auf Einlenken der Uefa

Hertha BSC will nicht zahlen

Im Senat will man die Hoffnung nicht aufgeben, daß die Uefa doch noch eine Ausnahmegenehmigung für das Olympiastadion erteilt. "Wir wollen wie andere Städte auch behandelt werden", sagte Senatssprecher Michael-Andreas Butz. Der DFB müsse sich bei einem "so gravierenden Fall" bei der Uefa für Berlin starkmachen. Berlin könne Modernisierungspläne für das marode Stadion vorlegen, biete also identische Voraussetzungen wie andere Arenen, die eine Genehmigung für den europäischen Fußball-Wettbewerb erhalten hätten. Im Hintergrund würden andere technische Möglichkeiten geprüft. Angesichts der auf Berlin möglicherweise zukommenden Kosten müsse zwischen den Interessen von Hertha BSC und denen der Allgemeinheit abgewogen worden, so Butz.

Auch Sportsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) setzt zunächst auf das Einlenken der Uefa. "Ich werde erst über die Brücke gehen, wenn ich vor ihr stehe", sagte Stahmer gegenüber dem Tagesspiegel. Die ablehnende Haltung der Uefa sei für sie einfach nicht akzeptabel, sie baue auf weitere Gespräche des DFB mit den Verantwortlichen auf europäischer Ebene. Der Senat könne auf die Konzepte des Architekturbüros Gerkan, Mark und Partner (gmp) verweisen, biete damit die Voraussetzungen für eine Ausnahmegenehmigung.

Hinter den Senatskulissen wird jedoch davon ausgegangen, daß die Kosten für einen kurzfristigen Einbau der 70 000 Sitze aus dem Landeshaushalt finanziert wird. Käme es hart auf hart, müßten Etatmittel aus der Bauverwaltung abgeschöpft werden. Es handele sich um eine politische, von der Koalition abzusegnende Entscheidung. Als Argument wird dabei angeführt, daß auch dem Internationalen Stadion-Sportfest (Istaf) während der Umbauphase ab dem Jahr 2000 Zusagen gemacht worden sind. Dem Istaf wurde garantiert, die Baustraße für die eintägige Veranstaltung zu verlegen; Kosten: rund zwei Millionen Mark.

Von Hertha BSC ist gegenwärtig kein finanzielles Engagement zu erwarten. Vereinsgeschäftsführer Ingo Schiller sieht die Kosten für die Sitze "nicht als ein primäres Thema von Hertha BSC". Er verweist auf die Mietzahlung des Vereins für das Olympiastadion. Diese soll von rund zwei auf vier Millionen Mark pro Jahr angehoben werden. Schiller geht davon aus, daß die Uefa mit dem Verein noch über die Modalitäten in der Champions League konferieren wird. Im parlamentarischen Raum wird ein Beitrag von Hertha BSC gefordert. Der Finanzexperte der Grünen, Burkhard Müller-Schönau, glaubt an keine Ausnahmeregelung und sieht die Kosten auf den Haushalt zukommen. Hertha BSC sollte sich mit 500 000 Mark pro Europa-Spiel beteiligen, maximal mit zwei Millionen Mark. Der Bund der Steuerzahler fordert, daß der Verein die Sitze allein bezahlen soll, da es nicht um eine Ausgabe im allgemeinen Interesse handele. AX

Mehr Sicherheit durch Einzelsitze

Uefa hat Regeln verschärft

Die Uefa hat aus den Erfahrungen mit Tumulten und Ausschreitungen in den Fußballstadien ihre Konsequenzen gezogen und die Sicherheitsauflagen in den letzten Jahren drastisch heraufgesetzt. So wurde bereits 1993 festgelegt, daß mit Beginn der Spielzeit 1998/99 Zuschauer die Uefa-Begegnungen nur noch auf Sitzplätzen verfolgen dürfen. Diese Einzelsitze müssen über eine Rückenlehne verfügen. Lehnen sollen verhindern, daß bei kritischen Situationen die Zuschauer die Reihen überspringen können und somit Panikreaktionen ausgelöst oder forciert werden. Das Berliner Olympiastadion müßte mit klappbaren Einzelsitzen ausgestattet werden, da der Abstand zwischen den Betonsockeln der Sitzreihen nur 72 Zentimeter beträgt.

Ausnahmen von dieser Regelung werden erteilt, wenn konkrete Planungen für den Einbau der Sitze vorliegen. So wie in Stuttgart, wo die sukzessive Ausstattung mit Einzelsitzen in diesem Jahr abgeschlossen wird. Neben Stuttgart hatte der DFB für Gelsenkirchen, Kaiserslautern und Hamburg termingerecht bis Mitte des letzten Jahres eine entsprechende Ausnahmegenehmigung bei der Uefa beantragt. An das in Teilen ohnehin baufällige Berliner Olympiastadion als Austragungsort für den europäischen Fußballwettbewerb dachte zum damaligen Zeitpunkt niemand unter den Experten. AX

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