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Berlin: Für notorische Schwänzer ist nirgendwo Platz. Einige Programme wollen ihnen Perspektiven geben

Wie sie da sitzt mit ihren wachen Augen, in dem viel zu weiten T-Shirt, sieht sie aus wie eine ganz normale Jugendliche. 15 Jahre alt ist Mareike, und hat auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches, außer, dass sie viel dicker ist als andere Mädchen.

Wie sie da sitzt mit ihren wachen Augen, in dem viel zu weiten T-Shirt, sieht sie aus wie eine ganz normale Jugendliche. 15 Jahre alt ist Mareike, und hat auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches, außer, dass sie viel dicker ist als andere Mädchen.

An der Schule, die Mareike bis vor eineinhalb Jahren besuchte, machte man ihr deswegen das Leben schwer. "Ich konnte nicht mal das Gelände betreten, ohne gehänselt zu werden, irgendwann bin ich dann nicht mehr hin." Um blaue Briefe zu vermeiden, kam sie anfangs jeden dritten Tag, später gar nicht mehr. Sie fuhr den ganzen Vormittag mit der Straßenbahn, damit ihre Eltern nichts merkten. Dann fing sie vor Langeweile an zu klauen, später flog alles auf. Zu Hause war die Hölle los, Mareike kam ins Heim.

Heute erscheint Mareike jeden Morgen um neun Uhr halbwegs pünktlich zum Unterricht in einem Haus in einer Treptower Kleingartenanlage. Die Räume sind hell gestrichen; die Einrichtung erinnert an das Interieur eines schwedischen Möbelhauses. Es gibt einen langen Frühstückstisch und zwei Unterrichtsräume. Mieter ist das Projekt "Horizont" des Jugendaufbauwerks. Seit zwei Jahren versuchen Pädagogen, "Schulverweigerer" wieder dazu zu bringen, wieder an einer normalen Schule zurechtzukommen.

Mit Teilzeitschwänzern haben sie nichts zu tun. "Die Karre ist bei den meisten tief im Dreck", konstatiert der Mitarbeiter Andre Schmandt. Da sei die Tatsache, dass jemand nicht zur Schule geht, oft nur das Symptom. Dahinter verbergen sich Missbrauchs-, Gewalt-, und Drogenkarrieren. Einige haben schon Jahre auf der Straße gelebt, andere sind aggressiv und gelten als kaum "beschulbar", weil sie mehrere Lehrer zusammengeschlagen haben.

In dem Projekthaus werden die zwölf- bis 17-jährigen Jugendlichen vormittags in Gruppen von vier oder fünf unterrichtet. "Wer zwei Jahre am Bahnhof Zoo gelebt hat, den kann man schlecht für Kolumbus begeistern", sagt Schmandt. Stattdessen stehen Zeitzeugengespräche zur NS-Zeit oder Themen wie "Rechte als Jugendlicher" an.

Nachmittags ist "Motivationsphase": In Arbeitsgruppen lernen Jugendliche Dinge, zu denen sie Lust haben - Trommeln, Modellbau, Autokunde. Das hängt auch, aber nicht nur damit zusammen, dass man die Jugendlichen nur halten kann, wenn es ihnen Spaß macht. Die Erfolgsquote von "Horizont" liegt bei 50 bis 60 Prozent. Hart sind vor allem die letzten zwei Monate, bevor es zurück in die Schule oder in eine berufsvorbereitende Maßnahme geht.

Etwa zehn Projekte in Berlin beschäftigen sich mit dem Thema Schulverweigerung. An der Spandauer Bertolt-Brecht-Oberschule wurde vor fünf Jahren ein Projekt ins Leben gerufen - und zwar nicht in erster Linie für die, die nicht zur Schule kommen, sondern für notorische Störer, die jeden Unterricht unmöglich machen. "Die Schulverweigerer sind dann aber ganz schnell hinterhergekommen", erzählt der Leiter Klaus Lambeck.

Gegenüber den meisten anderen Mitarbeitern von Schulverweigerer-Projekten hat Lambeck einen wesentlichen Vorteil: Er ist Lehrer und offiziell immer noch Mitarbeiter der Schulverwaltung - folglich darf er auch Zeugnisse ausstellen. Nach einem Jahr sollen die Schüler wieder zurück in den Unterricht oder in eine Berufsausbildung. Bei fast allen hundert, die er bisher betreut habe, sagt Lambeck, habe das auch geklappt.

Doch nicht alle haben den Schritt zurück in die Schule als Ziel. Einige, wie das Kreuzberger Projekt "Arbeiten und Lernen", bereiten einige Aussteiger in eigenen Räumen darauf vor, nur noch einmal zur Prüfung zurück in die Schule gehen zu müssen. "Gerade bei Älteren ist es schwierig, sie wieder an den Schulbetrieb zu gewöhnen", erzählt der Mitarbeiter Karl Antoni. Und so kämpft auch "Arbeiten und Lernen" mit dem Hauptproblem: Der schwierigen Kooperation von Jugendhilfe und Schule. An den meisten Schulen nämlich ist für Schwänzer und Störer kein Platz; Zeugnisse aber gibt es woanders nicht.

Jeanette Goddar

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