zum Hauptinhalt

Gallery Weekend: Ganz Berlin genießt die Kunst

Am Gallery Weekend präsentiert sich Berlin als Hauptstadt der Kunst – ganz besonders in der Potsdamer Straße. Lesen Sie hier, welche Ausstellung Sie nicht verpassen sollten.

Nagellack auf Styropor, das verträgt sich nicht. Tief haben sich die zwischen Orange und Rosa changierenden Klecksspuren und -spritzer in die dicken weißen Platten hineingefressen, eine ebenso destruktive wie Neues schaffende Technik in Pollockscher Manier. Eine Serie von fünf Werken in minimalistischer Farbgebung, Holz als natürlicher Grund, darauf die teils geschnittenen, teils gebrochenen Styropor-Platten, dann tropfenweise Lack, das Ganze geborgen hinter einer Acrylhaube. Aber man glaube nicht, dass die weißen Blöcke aus einem x-beliebigen Baumarkt stammten. Thilo Heinzmann habe sie eigens herstellen lassen, mit unterschiedlicher Körnung und Dichte, erzählt die aus Barcelona stammende Lorena Carras von der Galerie Guido W. Baudach, an diesem Samstagnachmittag die Hüterin über die Styropor-Werke des Berliner Künstlers, die in dem großen weißen, grob von Betonpfeilern gegliederten Raum im zweiten Stock noch etwas verloren wirken. Eine traditionsreiche Adresse: Potsdamer Straße 77 – 87, bis vor wenigen Jahren noch vom Tagesspiegel genutzt, mittlerweile zu erheblichen Teilen von kunstnahen Firmen, auch Galerien, ein Prozess, der noch lange nicht abgeschlossen scheint, wie sich an Baudach, Heinzmann und den Styroporplatten zeigt, gerade an diesem Gallery Weekend: Noch sitzt die Galerie in der Carmerstraße 8 in Charlottenburg, im September will sie in die Potsdamer Straße, die drei Tage des Galerienwochenendes sind die erste Ausstellung. Der Eindruck? Sehr großes Interesse am Eröffnungsabend, auch schon einiges verkauft – so soll es sein.

Auch jetzt reißt der Zustrom an Kunstfreunden nicht ab, mal nur ein dünnes Rinnsal, dann schwappt wieder ein ganzer Pulk hinein, das ändert sich von Minute zu Minute. Professionelle sind darunter wie die Kunstfrau aus Belgien, die eigens angereist ist, und viele Interessierte, die mit der Liste der 51 beteiligten Galerien durch die Straßen gehen und sie systematisch abarbeiten, man müsste ihnen nur folgen. Aber es gibt auch Zufallsgäste wie das junge Paar aus Leipzig, das sich im nahen Hotel Alt-Berlin einquartiert hat und das unerwartete Kunstangebot für einen Galerienbummel nutzt und nach wenigen Stationen schon weiß, dass dies noch vor wenigen Jahren hier nicht möglich war, sich die Potsdamer Straße und ihre Umgebung erst seither als ein Zentrum des Berliner Kunsthandels entwickelt haben. Und dann gibt es auch Kunstpilger wie Felicitas und Paul Stollenmaier aus Westend, die ihre Lust auf Bilder nutzen, Erinnerungen aufzufrischen. Hier in der Gegend sei sie in den Kindergarten und zur Schule gegangen und wolle sich mal wieder umsehen, erzählt die Frau. Daher habe man sich beim Kunstbummel für diese Ecke der Stadt entschieden.

Unterschiedlichste Spielarten der Kunst auf engem Raum können sie hier erleben, in der Potse genügt der Wechsel ins Nachbar- oder zumindest ein benachbartes Haus, und nicht mal alle Galerien nehmen am Weekend teil. Die Galerie Cinzia Friedlaender aber schon, im Hinterhof von Haus Nr. 105, und diesmal kommt die amtierende Kunstfee, sie heißt Rachel Watts, sogar von so weit her, weiter geht es gar nicht: Melbourne! Da hatten es die ausgestellten Werke nicht so weit, Farbstürme auf Papier, von der in Österreich hochangesehenen Malerin Martha Jungwirth. Weiter geht es um die Ecke in die Kurfürstenstraße 156 zu Tanya Leighton (Handskulpturen von Aleksandra Domanovic), noch eine Ecke weiter in die Blumenthalstraße 8 zu Sassa Trülzsch (Fotos von Roswitha Hecke und Skulpturen von Erik Steinbrecher) oder zurück in die Potsdamer Straße 93 zur Galerie Klosterfelde (Bilder von Jorinde Voigt).

Ein sehenswerter Ort, das wäre er auch ohne Kunst. Dieses großbürgerliche Altberliner Treppenhaus! Diese labyrinthische Stuckherrlichkeit, eine alte Wohnung, die gar nicht zu enden scheint, bis man dann doch vor einer geöffneten Tür steht, hinter der ein schwarzes Loch zu klaffen scheint, ein jedem Lichthauch beraubter Raum, irritierend, fast bedrohlich. Doch keine Sorge, auch das ist Kunst, geschaffen von Jürgen Drescher. Sein gähnender Abgrund – es ist nur schwarzer Stoff.

Das Gallery Weekend endet an diesem Sonntag. Näheres unter www.gallery-weekend-berlin.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false