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Künstlerin Isabelle Dyckerhoff in ihrem Atelier in der Kreuzbergstraße in Berlin.

© Kai-Uwe Heinrich

Ganz neue Seiten aufziehen: Kunst aus Zeitungen

Licht und günstige Atelierpreise verführten Isabelle Dyckerhoff zum Umzug nach Berlin. Nun verwandelt sie Zeitungen in Kunst.

Ihre erste Ausstellung lag gerade mal vier Jahre zurück. Isabelle Dyckerhoff war in Berlin, um eine Kunstmesse zu besuchen. Irgendwie geriet ein Immobilienprospekt in ihre Hände. „Da fielen mir fast die Augen aus dem Kopf“, erinnert sich die Münchener Malerin. Seitenweise gab es Angebote mit unglaublich günstigen Ateliers. Spontan entschied sie sich für einen Zweimonatsvertrag am Charlottenburger Richard-Wagner-Platz. Ihr Mann und der damals 12-jährige Sohn waren einverstanden, die Mutter nur noch in Teilzeit bei sich zu Hause in München zu haben. Dort arbeitete sie in einem großen Künstlerhaus mit völlig unterschiedlichen Temperamenten. Von zu Hause aus fuhr sie morgens zur Arbeit ins Atelier. In Berlin konnte sie einfach aufstehen und gleich in den eigenen vier Wänden mit der Arbeit beginnen.

Als der Vertrag am Richard-Wagner-Platz ausgelaufen war, mochte sie nicht mehr auf Berlin verzichten. Sie fand ein neues Atelier in einem Kreuzberger Gewerbehof, in dem auch andere Künstler unterschiedlichster Ausrichtungen arbeiten, Musiker und Fotografen zum Beispiel. Die Fenster gehen nach Norden hinaus, was ebenmäßiges Licht bedeutet, und der Blick geht weit über grüne Baumwipfel zum Potsdamer Platz hinaus. An den Wänden lehnen die Werke, auch ältere, „von Farben in einer bestimmten Anordnung bedeckte Oberflächen“, so heißt es in einem Katalog. Bunte, kräftige Farbbalken auf grauem Untergrund, das ist der dominante Eindruck.

Berlin ist viel internationaler

Gerade war sie für einen dreimonatigen Arbeitsaufenthalt in Brooklyn. Noch immer findet Isabelle Dyckerhoff Berlin „viel günstiger“ als München. Aber das ist es nicht allein. An der Isar fühlte sie sich manchmal wie ein Prophet im eigenen Lande. „Es hat mir gutgetan wegzugehen.“ Noch immer stellt sie regelmäßig in München aus, aber auch in Dänemark, Holland – und natürlich in Berlin.

Das Nomadenleben verringert nach ihrem Gefühl den Propheteneffekt deutlich. Berlin kommt ihr außerdem offener, internationaler als viele Großstädte vor. Auch das Licht an der Spree ist anders, nordischer, silbriger. Und die Künstler haben bessere Chancen als in München, natürlich gibt es mehr Galerien.

Station in New York

Ihre Werke kosten derzeit zwischen 800 und 12 000 Euro. Sie wünscht sich, dass in ihrem Kreuzberger Gewerbehof wieder mehr Künstler einziehen. In letzter Zeit hat dort eher die Zahl der Elektriker und Installateure zugenommen. Der Austausch mit anderen Kreativen ist ihr wichtig, auch die fundierte Kritik und natürlich die gegenseitige Inspiration.

Mit Detel Aurand, die im selben Gewerbehof arbeitet, hat sie das Projekt „Paper-Proud“ ins Leben gerufen. Einen Monat lang bearbeiten sie jeden Tag die Titelseite der Tageszeitung ihrer Stadt, schicken sie der jeweils anderen zu, die sie dann weiterbearbeitet. So ist eine Arbeit aus 29 Einzelseiten entstanden, die auch um den Tagesspiegel und die Süddeutsche Zeitung rankt.

Durch die New Yorker Zeit kam noch ein Komplex mit der New York Times hinzu. „Paper Proud“ bedeutet papierverliebt und will die Freude an gut gestalteten und anspruchsvollen Print-Erzeugnissen zum Ausdruck bringen, manche Arbeiten haben die Anmutung von Reliefs. Ob die Stadt, in der sie jeweils arbeitet, unmittelbaren Einfluss auf ihre Bilder hat, kann Isabelle Dyckerhoff gar nicht sagen: „Ich nehme mich ja immer selber mit.“

Das Licht hat großen Einfluss

Ihr Atelier in den Räumen einer früheren Gießerei ist spartanisch eingerichtet. Alle Möbel sind vom Flohmarkt oder aus Läden mit Hauhaltsauflösungen. Zuerst war der lange Holztisch vor der Küchenzeile da, darauf ein Krug mit Wiesenblumen, Kerzen, eine Schale mit Obst und Gemüse. Hinter der Küchenzeile liegt ein kleines Schlafzimmer, im Eingangsbereich steht ein altes Bett mit gestreifter Matratze, daneben ein abgewetzter Ledersessel.

Ihre Mutter war Berlinerin, die Großmutter Potsdamerin, beide Eltern waren Maschinenbauingenieure. Vielleicht liebt sie wegen ihrer Herkunft den stetigen Wechsel zwischen dem preußisch-protestantischen Berlin und dem katholisch-barocken München. „Da ist man ja schon fast in Italien“, sagt die 55-Jährige. Inzwischen ist ihr Freundeskreis in Berlin größer als der in München, wo ihr Mietvertrag im städtischen Atelierhaus 2019 ausläuft.

Dort gehen die Fenster nach Süden hinaus und das Licht malt inspirierende Muster auf den Boden. „Die Art, wie ich arbeite, bleibt die gleiche“, sagt sie. „Aber das Licht hat großen Einfluss.“

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