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Berlin: Ganz Rohr

Von Anke Nolte Anfangs hat er in ein Papprohr gepustet. Oder in die Stangen eines Baugerüstes.

Von Anke Nolte

Anfangs hat er in ein Papprohr gepustet. Oder in die Stangen eines Baugerüstes. Das ganze Gerüst schwang mit. „Mit allem, was ein Rohr ist, lässt sich Musik machen“, sagte sich Alejandro Blau. Aus jeder Röhre ertönt ein anderer Sound. In Spandau, mitten auf dem sonnigen Bürgersteig, bläst Alejandro in ein dickes, langes Rohr aus Eukalyptusholz. Heraus kommt ein tiefes Brummen, das sich langsam verändert. Es wird durchdringender, rhythmischer. Alejandros Bauchdecke wölbt sich vor und zurück, die Wangen pumpen sich rhythmisch auf, zwischendurch schnauft die Nase. Aber der Ton reißt nicht ab, und das vibrierende, flirrende Klanggemisch wandelt sich unaufhörlich. „Diese tiefen Wellen berühren mich, führen mich zu mir selbst, zu meinen Ursprüngen“, beschreibt der Musiker.

Der 29-Jährige spielt Didgeridoo, das 20 000 Jahre alte Blasinstrument der Aborigines. Die Ureinwohner Australiens zelebrieren mit seinem mystischen Klang die Schöpfungsgeschichte der „Dreamtime“, die Zeit der Entstehung aller Dinge. Der Mann mit den langen schwarzen Haaren ist aber alles andere als ein australischer Ureinwohner: In Guatemala geboren, zog er im Alter von zwei Jahren mit den Eltern nach Berlin. 1996 eröffnete er einen Ethno-Laden erst in Charlottenburg, dann in Spandau. Er verkauft Ledersachen, die seine Verwandtschaft aus Guatemala anfertigt, Weihrauch aus Somalia, Hängematten aus El Salvador, Holzmasken aus Kanada und australische Didgeridoos.

Entdeckt hat Alejandro das Instrument vor ein paar Jahren auf einer Party, auf der ein Gast in das Holzrohr hineinblies. „Didgeridoo spielt man aus dem Bauch heraus.“ Noten braucht man nicht zu lernen, wohl aber die einzigartige Atemtechnik für den kontinuierlichen Ton: „Ich sammle die Luft im Bauch, lasse sie langsam durch den Mund ausströmen, und gleichzeitig atme ich mit Hilfe des Zwerchfells durch die Nase ein.“ So kann der Bläser auf dem Didgeridoo über Minuten hinweg Töne und Geräusche erzeugen, ohne neu ansetzen zu müssen. Um den Grundton zu modulieren, benutzt der Spieler zusätzlich Lippen, Zunge und Stimme.

Zwei Plastikrohre ineinander gesteckt ergeben ein „Slidgeridoo“, ein in der Länge und damit Tonhöhe verstellbares Blasinstrument. Das ist eine Erfindung von Charly McMahon, dem weltbesten Didgeridoo-Spieler aus Australien. Alejandro hat sein großes Vorbild McMahon neben anderen Könnern aus Europa, USA und natürlich Australien eingeladen zum größten Didgeridoo-Festival der Welt: Bei „Dreamtime Berlin“, das zum dritten Mal in der UFA-Fabrik stattfindet, entlocken die Musiker dem Naturinstrument nicht nur traditionelle Klänge, sondern auch den Sound von Hip-Hop-, Techno- oder Rockmusik. Mit Kindern wird Alejandro Blau Didgeridoos bauen, bemalen, blasen und selber mit seiner Gruppe „La onda mystica“ („Die mystische Welle“) auftreten. „Da darf man sich richtig gehen lassen, schreien, brüllen, sich Wörter ausdenken.“ Alejandro übt gerne mit Kindern das Didgeridoo-Spielen auf Abflussrohren aus dem Heimwerkermarkt. Auf der Bühne probiert er am kommenden Freitag einige seiner zehn Didgeridoos aus, die aus Australien oder aus dem Baumarkt stammen. Denn jedes Rohr klingt anders.

Dreamtime Didgeridoo Festival, 14. bis 16. Juni, mit Musikprogramm, Vorträgen und Workshops, UFA-Fabrik, Viktoriastr. 10, Tempelhof, Eintritt: 5-7 Euro. Infos: Tikal Berlin, Tel. 35 13 58 22, www.dreamtime-berlin.de , www.tikal-berlin.com

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