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Berlin: Gasse in die Vergangenheit

Der fast schon vergessene Judengang zwischen Kollwitzplatz und Senefelderplatz wird endlich saniert. Ende des Monats soll alles hier wie vor 130 Jahren sein

Lange war der Judengang Niemandsland. Es gibt alte Bilder, da schaut der Betrachter hinein in die Schlucht zwischen den Hinterhöfen der Kollwitzstraße auf der einen und der Mauer des jüdischen Friedhofs auf der anderen Seite, Morast bedeckt den Boden, und die Blicke verfangen sich in den Zweigen von Birken in verrottenden Sandkästen. Lange war fast in Vergessenheit geraten, dass der Judengang einst einen Zweck erfüllt hat. Und an die Legenden erinnerte sich auch kaum noch einer.

Neulich war wieder ein Fotograf am Kollwitzplatz und hat in den häuserbreiten Spalt hinein ein paar Fotos geschossen. Über ihm baute da gerade ein Maurer eine backsteinerne Einfassung für ein neues Tor, und der Blick durch die Linse reichte weit, 400 Meter weit, bis hinunter zum Senefelderplatz. Ein langer, lichter Gang war da plötzlich, kein Morast mehr, nur noch grünes Gras, und eine Tafel, auf der geschrieben war, dass die Jüdische Gemeinde den Judengang nun wieder instand setzen lässt, nach Jahrzehnten.

Begonnen hat die Geschichte des Judengangs 1824, da war er noch ein namenloser Feldweg. Die Jüdische Gemeinde baute gerade an der Schönhauser Allee einen neuen Friedhof. Er lag mitten im Grünen, und der namenlose Feldweg führte an seiner Rückseite entlang über den Acker des Meiereibesitzers Wilhelm Büttner. Der Eingang des neuen Friedhofes lag auf der anderen Seite, zur Schönhauser Allee hinaus.

Bald zogen fast jeden Tag trauernde Juden über die Straße. Das störte jedoch – so geht zumindest eine Legende – den König, wenn er auf dem Weg zu seinem Domizil in Niederschönhausen zum Kutschenfenster hinaus sah. Die Juden sollten doch hintenrum, über den Feldweg, auf den Friedhof ziehen, befahl er, auf dass sie ihm sein Gemüt nicht trübten. Belegt ist diese Version aber bis heute nicht. Manche glauben lieber einer anderen, die besagt, dass der jüdische Priester, der Cohen, mit dem Feldweg einen kürzeren Weg zu einigen Gräbern gefunden hatte, um die für ihn geltenden Reinheitsgebote zwischen den unreinen Toten nicht zu verletzen. Sicher ist nur, dass die Menschen irgendwann begannen, den namenlosen Feldweg Judengang zu nennen.

Der Weg blieb erhalten – auch als 1871 rundherum die ersten Bauten entstanden. Auf alten Postkarten vom Senefelderplatz ist er als schwarzes Loch zwischen den Blocks erkennbar. Weil die Berliner Juden ihre Toten damals aber schon auf dem ganz neuen Friedhof in Weißensee beerdigten, hat es Trauerzüge durch die Häuserschlucht – wie sie heute aussieht – niemals gegeben.

Über die Nazizeit hinaus blieb der Korridor erhalten. Erst in der DDR teilten die Anrainer ihn unter sich auf und machten Schrebergärten draus. Sie pflanzten Bohnen und Rosen, bauten Sandkästen und grillten, ihre Kinder ließen Kaninchen laufen, und bald warfen die ersten den Sperrmüll hinten raus. Der Verfall begann, und mit ihm das Vergessen.

Dass der Judengang nun wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückt, hat viel mit Eigeninitiative zu tun. Es gibt Leute, die sagen, wenn der Jacobs nicht gewesen wäre, dann wär’ nicht viel passiert mit dem Judengang. Joachim Jacobs – Mitglied der Jüdischen Gemeinde und Chef eines Büros für Gartendenkmalpflege und Landschaftsarchitektur – war aber fasziniert vom Friedhof und auch vom geheimnisvollen Streifen entlang der Mauer. „So eine Anlage“, sagt er, „ist einmalig in Europa.“ Außerdem sei der Judengang ja auch ein Gartendenkmal – als einer von drei verbliebenen Feldwegen in Berlin.

Jacobs setzte sich mit dem Landesdenkmalamt zusammen. Gemeinsam besorgten sie 3,2 Millionen Mark von der Lottostiftung für Sanierungsarbeiten auf und um den Friedhof. Zwei Drittel der Summe kommen nun dem Gräberfeld selbst zugute. Auf den Grundmauern der ehemaligen Trauerhalle entsteht ein Museum zur Geschichte des Areals. Der Judengang ist schon im März vom Gerümpel befreit und im Juli befestigt worden.

Es wäre bestimmt ein schöner Spaziergang von einem Ende zum anderen. Aber das wollen die Anwohner nicht. Und weil sie am Gang ja schon eine Art Gewohnheitsrecht haben, ist ihnen die Gemeinde entgegengekommen. Nun soll der Judengang nur manchmal geöffnet werden, für Führungen.

Führungen soll es zum Beispiel zu Tagen des offenen Denkmals geben. Noch ist der Blick in den Gang möglich. Bald wird aber das dem Original nachempfundene Stahltor eingebaut. Dann gibt es nur noch ein Guckloch.

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