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Gastbeitrag von Wolfgang Neskovic: Die magere Bilanz von Rot-Rot in Brandenburg

Anpassung an die SPD, eine magere eigene Bilanz in der Koalition und ein Profil- und Glaubwürdigkeitsverlust: Der prominente Linken-Bundespolitiker Wolfgang Neskovic zieht eine kritische Bilanz von mehr als drei Jahren Rot-Rot in Brandenburg.

Seit mehr als drei Jahren regiert in Brandenburg eine rot-rote Koalition. 20 Jahre nach der friedlichen Revolution in der DDR, bei der die Staatspartei SED abgelöst wurde, hatte es die demokratische Nachfolgepartei, die Linke, im Jahr 2009 auch in Brandenburg in Regierungsverantwortung geschafft. Das Zweitstimmenergebnis der Linken lag 2009 bei 27,2 Prozent. Von den 26 Mandaten hatten 21 Genossinnen und Genossen ihren Wahlkreis direkt gewonnen. Hinter der SPD (33 Prozent) wurde die Linke zweitstärkste Kraft. Nach Beschlüssen der Landesvorstände von SPD und Linken am 12.10.09 trat man in Koalitionsverhandlungen ein. Doch schon während dieser Koalitionsverhandlungen gestaltete sich die Durchsetzung von Linken Wahlkampfforderungen, um es vorsichtig auszudrücken, sehr übersichtlich:

1. Kontraproduktiv für eine erfolgreiche linke Regierungspolitik war schon die Verteilung der Ressorts in der Landesregierung. Obwohl sich die beiden Koalitionspartner - ausgehend von den Wahlergebnissen - auf Augenhöhe begegnen sollten, gelang es der Linken nicht, ein einziges Ministerium zu erhalten, das die Kernkompetenzen und das Profil der Partei widerspiegelt.
a. Die höchsten Kompetenzzuschreibungen hat die Linke in der Bildungs- und Sozialpolitik. In unserer Programmatik nehmen diese Themen großen Raum ein. Zahlreiche Politikerinnen und Politiker unserer Partei sind auf diesen Gebieten profiliert. Die Ministerien, die diesen Kernkompetenzen entsprechen – Soziales, Arbeit, Bildung - überließ man jedoch der SPD. Dies entspräche etwa einem Kabinettszuschnitt, bei dem die Grünen in einer Regierung auf das Umweltressort verzichteten oder die FDP in einer Koalition nicht den Wirtschaftsminister stellen würde.
b. In Brandenburg bekam die Linke stattdessen das Finanzressort. In Zeiten angespannter Haushalte und allgemeiner Sparanstrengungen wird dieses Ministerium zuvörderst für schlechte Nachrichten in Bezug auf Ausgabenkürzungen im Öffentlichen Dienst verantwortlich gemacht. In der öffentlichen Wahrnehmung ist es ein linker Minister, der erklärt, warum insbesondere soziale Projekte und bildungspolitische Maßnahmen nicht finanziert und Einrichtungen geschlossen werden müssen. Es dient nicht dem Image linker Politik, wenn einem linken Minister in der öffentlichen Wahrnehmung insbesondere die Verantwortung für den Stellenabbau im öffentlichen Dienst zugewiesen werden kann. Dies schädigt die Glaubwürdigkeit linker Politik, die ansonsten in ihren Wahlkämpfen nicht müde wird, genau diese Kürzungspolitik – auch unter Berufung auf das Sozialstaatsprinzip - als gemeinwohlwidrig zu kritisieren.
c. Darüber hinaus erhielt die Linke das Wirtschaftsministerium, das traditionell den Interessen und Bilanzen großer Unternehmen hohe Aufmerksamkeit schenkt und oftmals gehalten sein wird, deren Interessen zu vertreten. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur in Erinnerung rufen, dass der SPD-Sozialminister den Linken Wirtschaftsminister in der Forderung nach einem höheren Mindestlohn links überholt hatte. Hinzu kommt, dass die Linke mit Ralf Christoffers einen Wirtschaftsminister benannt hat, der als überzeugter und ausgewiesener Kohlefreund gilt. Aus der Sicht der SPD war die Überlassung ausgerechnet dieses Ressorts an die Linken strategisch ein geschickter Schachzug zum Nachteil der Linken. Denn die Übernahme dieses Ressorts durch Christoffers musste angesichts der Wahlkampfaussagen der Linken zur Energiepolitik („Keine neuen Tagebaue“) zwangsläufig zu einem parteiinternen Dauerkonflikt und damit auch zu einem schweren Glaubwürdigkeitsverlust der Linken in der Öffentlichkeit führen. Die SPD hat mit der Zuweisung an die Linke so zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Sie konnte der Linken einerseits politisch erheblich schaden und andererseits sicherstellen, dass ihre wirtschafts- und insbesondere energiepolitischen Vorstellungen ohne Abstriche umgesetzt werden konnten. Oder anders ausgedrückt: Der SPD ist es gelungen, ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen über einen linken Wirtschaftsminister wirkungsvoll durchzusetzen und abzusichern.
Leider hat die Linke sich auf diese durchsichtige Strategie nicht nur eingelassen, sondern sie hat sich auch bei der weiteren Ressortaufteilung von der SPD über den Tisch ziehen lassen. So hat sie sich nicht erfolgreich gegen das (boshafte) Ansinnen der SPD gewehrt, auch noch das Umweltressort zu übernehmen. Der natürliche Gegner des Wirtschaftsministers ist in jeder Regierung der Umweltminister. Dadurch, dass die Linke sich hierauf eingelassen hat, ist es der SPD gelungen, den natürlichen Konflikt, der in der unterschiedlichen Aufgabenstellung dieser beiden Ministerien wurzelt, als Konflikt innerhalb der Linken zu deren Nachteil zu institutionalisieren.
d. Schließlich erhielt die Linke von den beiden Verfassungsressorts Inneres und Justiz den Zuschlag für Justiz. Ein Ressort, das bei einer unabhängigen Richterschaft und Staatsanwälten, die sich dafür halten, wenig Gestaltungsspielraum lässt. Vielmehr ist der Justizminister immer dann im Fokus, wenn Straftäter entfliehen oder in der Bevölkerung unpopuläre Reformen bei Strafvollzug oder Sicherungsverwahrung mediale Aufmerksamkeit erregen.

2. Entgegen der Überzeugung der Linken in Bund und Land ließ man sich ein Bekenntnis zum EU-Vertrag von Lissabon abtrotzen, das überflüssigerweise auch noch in den Koalitionsvertragstext aufgenommen wurde.
3. Auch die weiteren Inhalte des Koalitionsvertrags entsprachen den Aussagen des Wahlprogramms nur in überschaubarem Maße. Selbst Kernforderungen wie die Schaffung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors oder der mittelfristige Ausstieg aus der Braunkohleverstromung konnten nicht hinreichend durchgesetzt werden. Im Gegenteil: Man bekannte sich bspw. zu CCS als „wichtige Option“, obschon sie vor dem Wahltag als „Risikotechnologie“ abgelehnt wurde. Man ließ sich auf einen groß angelegten Stellenabbau im öffentlichen Dienst ein, obwohl die Linke bundesweit den Aufwuchs des öffentlichen Dienstes um eine Million Stellen fordert.

4. Die SPD ließ es sich auch nicht nehmen, auf die personelle Besetzung der Linken Ministerien Einfluss zu nehmen. Die Spitzenkandidatin der Linken durfte nicht am Kabinettstisch Platz nehmen. Die Benennung Volkmar Schöneburgs konnte erst nach dem Einverständnis der SPD erfolgen.
Das, was die Linke in den Koalitionsverhandlungen und bei der Regierungsbildung mit sich machen ließ, beziehungsweise nicht verhinderte, war aber nur der Anfang, zieht sich auch durch den Regierungsalltag.
Kerstin Kaiser nannte den Koalitionsvertrag ein „Korsett mit Mut zur Lücke“, den es für einen Politikwechsel in Brandenburg auszufüllen gelte. Nur, was lässt sich davon nach drei Jahren bilanzieren, wo sind die Lücken Lücken geblieben, welche sind hinzugekommen und wer hat welche Erfolge vorzuweisen?
Die SPD hat zunächst innerhalb von 14 Monaten drei Minister verloren und auswechseln müssen. Zwei Minister mussten nach persönlichen Affären - während derer die Linke der SPD treu zur Seite stand - zurücktreten. Eine weitere Ministerin verzichtete aus Überforderung auf ihr Amt.
Das SPD-geführte Innenministerium hat die Residenzpflicht für Asylsuchende gelockert.
Die Musikschulen des Landes erhalten durch das SPD-geführte Bildungsministerium eine höhere Mittelzuweisung.
Der SPD-Arbeitsminister kann sich die Einführung des Landesvergabegesetzes auf die Fahne schreiben.
Der SPD-Innenminister konnte die geplante Polizeireform - jedenfalls rhetorisch - abschwächen und so eine höhere Zustimmung erreichen.
Die Kommunen erhalten mehr Geld, um nicht vollends ihrer Handlungsfähigkeit beraubt zu sein.
Der Justizminister konnte alle Amtsgerichtsstandorte erhalten.

Nach drei Jahren Linker Regierungsbeteiligung bleibt auch festzustellen:
Das Prestigeprojekt der Linken - der öffentliche Beschäftigungssektor (ÖBS) - ist dem Rotstift zum Opfer gefallen. Von 15 000 im Wahlprogramm versprochenen Stellen wurden lediglich 10 Prozent realisiert.
Ein mittelfristiger Ausstieg aus der Braunkohle steht nicht auf der Regierungsagenda. Die Energiestrategie 2030 hält an konventioneller und rückschrittlicher Politik fest. Im Gegensatz zu schwarz-gelb regierten Ländern wie Bayern, Schleswig-Holstein oder Niedersachsen kämpfte Rot-Rot - glücklicherweise erfolglos - für die Etablierung der CCS-Technologie zur unterirdischen Endlagerung von Kohlendioxid. Im Gegensatz zu Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern hat die Linke in Brandenburg jedoch kein CCS-Verbotsgesetz initiiert. Auch dies ging wieder zulasten der eigenen politischen Wahl- und Regierungsversprechen („Keine Lex Brandenburg“) und hat somit zu einem weiteren Glaubwürdigkeitsverlust der Linken in der Öffentlichkeit beigetragen. Hierzu gehört es auch, dass der Linke-Wirtschaftsminister keine Schritte unternimmt, um den von Tagebauen bedrohten Menschen in der Lausitz eine dem Wahlprogramm seiner Partei entsprechende zukunftssichere Perspektive zu geben.
In der Hochschulpolitik scheint die Linke keinen vernünftigen Umgang mit den rücksichtslosen Reformplänen der SPD zu finden. Inzwischen hat die Fraktion mehrheitlich entschieden, den Plänen der Zerschlagung von der Brandenburgisch Technischen Universität (BTU) in Cottbus und der Hochschule Lausitz zuzustimmen. Die Landtagsfraktion stellt sich damit gegen den Rat von Experten und gegen den erklärten Willen von 42 000 Unterzeichnern der Volksinitiative zum Erhalt der Hochschulen. Flankiert wurde diese Entscheidung von einem Katalog von „Bedingungen“, den man vor einer endgültigen Zustimmung erfüllt haben wolle. Wenn die Linke ernsthaft an diesen Bedingungen festhalten will, dann müsste sie die geplante Hochschulzerschlagung im Parlament ablehnen. Denn die formulierten Bedingungen sind entweder nicht erfüllt bzw. nicht erfüllbar oder aber müssen aufgrund geltenden Rechts ohnehin erfüllt werden.
Der Linke-Finanzminister gibt sich alle Mühe, die eingeführte - und von der Linken bislang abgelehnte - Schuldenbremse für Länder bereits fünf Jahre vor Inkrafttreten einzuhalten.
Die Linke-Umweltministerin hat mit Fragen des Hochwasserschutzes und einer geschlossenen Kinderklinik wenig Möglichkeit zur populären Profilierung.
Beim Stellenabbau im öffentlichen Dienst wird mit sprachlichen Wunderkerzen hantiert. Vereinbarte man im Koalitionsvertrag eine Stellenzielzahl von 40 000 Beschäftigten im Jahr 2020, versuchte man es als Erfolg darzustellen, nunmehr 42 000 Stellen bis 2019 einzuplanen. Abgesehen davon, dass damit noch immer ein Abbau von über 6 000 Stellen verbunden ist, verschweigt diese Darstellung, dass die Zielzahl 40 000 nur auf 2021 verschoben und nicht aufgehoben wurde. Auch die „Erfolgsmeldung“ von jetzt vereinbarten 43 000 Stellen verliert an Glanz, wenn man berücksichtigt, dass diese Zahl für 2018 erreicht sein soll. Es bleibt darüber hinaus offen, in welchen Bereichen bei diesem Glasperlenspiel Stellen konkret abgebaut werden sollen.
Die Ausweitung polizeilicher Befugnisse (etwa den Einsatz sogenannter Imsi-Catcher bei der Telekommunikationsüberwachung- und Manipulation durch die Polizei) wurde nach Jahren klarer Ablehnung nunmehr mitgetragen.
Die schockierenden Entwicklungen um den Flughafen BER werden durch zwei Linke-Aufsichtsratsmitglieder mitverantwortet. Zur Aufklärung des Skandals trägt die Fraktion ebenfalls nichts bei. Sie fordert auch kaum Konsequenzen – weder für die Geschäftsführung noch den Aufsichtsrat. Dabei muss Brandenburg Hunderte Millionen Euro an Zusatzkosten tragen - Geld, das woanders für Umsetzung sozialer linker Politik fehlt.
Die Linke hat es nicht vermocht, eine abstrakte Normenkontrolle zu Hartz-IV beim Bundesverfassungsgericht einzuleiten und so den Betroffenen den Gang durch die Instanzen zu ersparen. Dafür brauchte es einen Berliner Sozialrichter, der dies nunmehr mit einer konkreten Normenkontrolle tut.
Die Fraktionsvorsitzende, Kerstin Kaiser, wurde mitten in der Legislaturperiode ausgewechselt. Die bisherige Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl und populärste Linke-Politikerin des Landes, Dagmar Enkelmann, möchte wegen der Regierungspolitik ihrer brandenburgischen Kollegen nicht mehr auf der Landesliste kandidieren.
Die Liste fragwürdiger und ggf. zu Glaubwürdigkeitsverlusten führender Entscheidungen, die unter Beteiligung der Linken zustande gekommen sind, ließe sich weiter fortsetzen. Bei alledem fällt auf, dass in der Öffentlichkeit bislang kein einziger politischer Streitpunkt erkennbar wurde, bei dem sich die Linke offen gegen die SPD gestellt hätte.
Die Angst vor einem vermeintlichen Koalitionsbruch scheint so groß, dass der Koalitionskrach gescheut wird. Das Bild einer nach Harmonie trachtenden Koalitions-Linken lässt die Frage nach politischen Schmerzgrenzen aufkommen.
Es ist im Regierungsalltag nicht ohne Weiteres erkennbar, welchen Anspruch die Linke an sich selbst als mit der SPD doch eigentlich auf Augenhöhe stehende Partei stellt.
Gleichwohl: Es geht auch anders. Die Pläne der SPD, das Pensionseintrittsalter für die Beamten des Landes Brandenburg auf 67 Jahre zu erhöhen, werden nicht umgesetzt. Der Linke-Justizminister Volkmar Schöneburg stellte sich, um die im Justizdienst tätigen Vollzugsbeamten zu schützen, gegen die Pläne des Innenministeriums. Schließlich setzte sich diese Position auch im Koalitionsausschuss durch. Die Linke in Brandenburg wäre gut beraten, sich öfter am Politikstil ihres Justizministers zu orientieren. Es zeigt sich: Beharrlichkeit, Eigenständigkeit und Durchsetzungsvermögen befördern eine bessere Politik.
Bleibt zum Schluss die Frage: Welche Chancen und Risiken bietet diese Regierungskoalition für die Linke in Brandenburg?
Wir müssen feststellen, dass nicht nur unsere Umfragewerte deutlich gesunken sind, sondern dass sich insbesondere das Stimmenverhältnis zur SPD dramatisch zu unseren Lasten verändert hat. Lag der Unterschied bei der Landtagswahl 2009 noch bei knapp 6 Prozent, ist er nach den neusten Umfragen auf 17 Prozent angestiegen. Sogar die CDU hat uns zwischenzeitlich überholt. Ändert die Linke in Brandenburg nichts an ihrem Selbstverständnis in der Regierung, indem sie selbstbewusst und nicht als bereitwilliger, alles verteidigender Juniorpartner auftritt, dann wird dies auf absehbare Zeit die letzte Regierung gewesen sein, an der die Linke in Brandenburg beteiligt war. Dann war diese Legislatur nur eine Ausnahme von der Regel: einer Linken in der Opposition. Einer für die Politik dieses Landes bedeutungslosen Rolle. Denn ohne die Linke, das zeigt die Erfahrung, ist von der SPD keine soziale, linke Politik zu erwarten.
Der Autor ist parteiloser, in Cottbus/Spree-Neiße direkt gewählter Bundestagsabgeordneter der Linke, Jutiziar der Bundestagsfraktion und Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium für die deutschen Nachrichtendienste. Er war Richter am Bundesgerichtshof. Sein Gastbeitrag erschien in den Potsdamer Neuesten Nachrichten, dem Schwesternblatt des Tagesspiegels.

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