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Gastronomie: Am kürzeren Ende der Friedrichstraße

Nostalgie trifft Ironie: Südlich des Checkpoint Charlie hat das Café „westberlin“ eröffnet – ohne Bindestrich, dafür mit Heißgetränken aus Biobohnen.

Westen, Osten – gar nicht immer so leicht zu sagen, wo man sich gerade befindet in Berlin, und besonders auswärtige Besucher kommen bisweilen ins Schwimmen. Warum sein Café denn „westberlin“ heiße, während es doch im Osten liege, wollten beispielsweise dänische Gäste von Kai Bröer wissen, offenbar in die Irre geleitet durch die dunkle, so gar nicht glitzernde Umgebung. Aber Friedrichstraße 215 ist nun mal eindeutig Kreuzberg, alter Westen also, und wer auch immer glaubt, nicht überall, wo Westen draufstehe, sei auch Westen drin – hier stimmt es bis in die Biografie des Inhabers: der Vater vor der Bundeswehr nach West-Berlin ausgewichen, die Mutter West-Berlinerin, er selbst 1970 in Heidelberg geboren, 1990 zum Architekturstudium an der TU zurückgekehrt und hier nach einer Londoner Zwischenstation heimisch geworden, 2000 mit zwei Freunden Gründung des Architekturbüros „bfs d“, aus dem er nach knapp zehn Jahren ausschied, um das zu verfolgen, von dem er lange träumte: Eröffnung eines Cafés.

Aber muss man es, trotz allen biografischen Hintergrundes, gleich „westberlin“ nennen, zudem in der traditionell Ost-Berliner Schreibweise? Also ohne Bindestrich in einem Wort, wodurch suggeriert werden sollte, es handele sich um eine eigenständige politische Einheit, klar getrennt von „Berlin (Hauptstadt der DDR)“, keinesfalls jedoch um den Teil eines ursprünglich ungeteilten, seiner Wiedervereinigung harrenden Ganzen.

Der auffällige Name hat mehrere Wurzeln, erläutert Bröer. Da waren zunächst einmal die wohlwollenden Kommentare der Anwohner und Nachbarn über seine sehr stilbewusste Umgestaltung des Cafés: Endlich geschehe auch in diesem Teil der Friedrichstraße mal was, nicht nur immer drüben. An das Geheimnis des Bindestrichs in „West-Berlin“ erinnert er sich noch gut, wählte jedoch die Ost-Schreibweise wegen der „leicht ironischen“ Brechung, sie sehe ja auch schöner aus. Sogar auf dem Tank-Top eines jungen Türken habe er „Westberlin“ entdeckt, das ist für ihn „ein toller Begriff“, ein „cooler Name“ sogar, während doch noch vor einigen Jahren alles aus dem Osten als cool gegolten habe. Und nicht zuletzt rege der Name gern zu „kleinen Diskussionen“ an, denen er durch einen alten ausgestellten Ost-Stadtplan gern auf die Sprünge hilft: „Westberlin“ steht dort auf der weißen, an den Osten grenzenden Stadthälfte.

Gut möglich, dass sich im „westberlin“ ein demographischer Wandel ankündigt. Architekturbüros, auch Galerien haben sich in der Umgebung bereits niedergelassen, weiß Bröer, der die Gegend spannend findet, alles mische sich hier. Auch historisch sei die Gegend interessant. Nur ein paar Häuser weiter erinnert eine Gedenktafel an das Apollo-Theater, in dem 1899 Paul Linckes „Frau Luna“ Premiere feierte und 1926 mit der deutschen Erstaufführung von „Panzerkreuzer Potemkin“ der Triumphzug von Sergej Eisensteins Film begann, der nach der Weltpremiere ein Jahr zuvor in Moskau kaum Publikum gefunden hatte.

Sein Publikum kann Kai Bröer nach den ersten Wochen schon ganz gut charakterisieren: Die Anwohner finden noch eher zögernd ins „westberlin“, aber die Angestellten der umliegenden Firmen, oft aus der Medienbranche, kämen gern, und auch die Individualtouristen auf dem Weg vom Checkpoint Charlie zum Jüdischen Museum oder zur Berlinischen Galerie kehren ein.

Für sein Konzept hat sich der neue Cafétier von einer New Yorker Bar inspirieren lassen. Im Mittelpunkt steht der Kaffee, die Bohnen heller geröstet als hierzulande üblich und von zwei kleinen Röstereien geliefert, Fair Trade, Bio, kontrollierter Anbau sowieso. Alles sehr ambitioniert zubereitet, offenbar eine Wissenschaft für sich und so ganz anders als das, was der normale Kaffeemaschinenbesitzer gewohnt ist, vielmehr ein Versuch, Kaffee als Edelgetränk zu positionieren, eine seit einigen Jahren um sich greifende Mode, die zunehmend auch in Berliner Tassen schwappt. Tee, mit ähnlichen Finessen zubereitet, gibt es natürlich auch, ebenso Trinkschokolade, biologisch produzierte Snacks, und damit der Geist auch nicht hungern muss, liegen Zeitungen, Zeitschriften, Magazine aus, teilweise zu kaufen, ergänzt durch eine kleine, aber feine Auswahl von Berlin-Büchern.

Typisch West-Berlin ist das alles nicht, auch die Fachwerkkonstruktion aus hellem Holz, die Tresen und Heizungsschacht umgibt, das dezent designte Mobiliar ist alles andere als Retro, vielmehr von einem kühlen, mit Stuhlklassikern aufgemöbeltem Chic. Nur der Weg nach draußen zielt hier auf die Vergangenheit, dank des kleinen Aufklebers an der Tür: „Achtung, Sie verlassen jetzt West-Berlin.“

Doch so erfreulich diese Renaissance West-Berlins im Kleinen dem West-Nostalgiker auch erscheinen muss – einen Trend begründet das wohl kaum. Hat man schon je von Spezialgeschäften für das West-Ampelmännchen gehört? Und während „Ostalgie“ längst ein eigenes Schlagwort bei Wikipedia ist, muss man auf das Gegenstück „Westalgie“ weiterhin warten. Obwohl es sie sicher auch gibt, aber eher verborgen.

Da kommt der alte Osten schon viel offensiver daher, wird etwa in „Trabi-Safaris“ vermarktet. Praktisch um die Ecke vom „westberlin“, einfach von dort zum Checkpoint Charlie und dann nach links, starten die Zweitakter-Karawanen und knattern durch die Stadt. Anderswo hat man die Relikte des sozialistischen Alltags als Dekoration für Restaurants oder touristische Schlafplätze recycelt, schmückt die mit altbekannten, längst untergegangenen Marken ausstaffierten Orte mit Namen wie „Osseria“ oder „Ostel“. Da lockt das „DDR-Museum“, da bieten die Ostpro-Messe und Spezialgeschäfte wie „Ostpaket“ nur Ost-Waren.

Das „West-Paket“ dagegen gehört schon lange und endgültig der Vergangenheit an, und nur indirekt und sicher ungewollt erinnert ein Café wie das „westberlin“ an die einst im Osten so begehrten Geschenksendungen von drüben. Denn was enthielten die Päckchen aus dem Westen regelmäßig? Bohnenkaffee.

„westberlin – coffeebar & mediashop“, Friedrichstraße 215, Kreuzberg, www.westberlin-bar-shop.de, Mo bis Fr 8.30-19 Uhr, Sa 10-19 Uhr, So 12-17 Uhr

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