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GAZETELER Rückblick: „Die Akte wird erneut geöffnet“

Wie türkische Blätter über die Neuauflage des Prozesses berichten

„Der Erfolg der Familie Sürücü blamiert uns in der Welt“, empörte sich die „Hürriyet“ im April 2006 nach dem Urteil im Sürücü-Prozess. Dazu zeigte die Zeitung die Szenerie vor dem Gefängnistor. Die freigesprochenen Brüder Mutlu und Alpaslan Sürücü traten lächelnd heraus. Sie wurden von zwei ihrer Schwestern erwartet, die die Finger zum Victory-Zeichen erhoben hatten. Die „Hürriyet“ zeigte dieses Bild und zitierte empörte Türken aus Berlin. Auch die fast zehnjährige Haftstrafe für den jüngeren Bruder sei zu mild ausgefallen.

Am gestrigen Mittwoch zeigte sich die „Hürriyet“ befriedigt: „Die Sürücü-Akte wird erneut geöffnet“, heißt es auf der Titelseite. Dazu zeigte die „Hürriyet“ eine Aufnahme, auf der Hatun Sürücü Wange an Wange mit ihrem kleinen Sohn zu sehen ist. „Hatun Sürücü, die Opfer eines Ehrenmordes geworden ist, hinterlässt ihren kleinen Sohn Can“, hieß es in der Bildunterzeile des Blattes, das in Deutschland eine Auflage von rund 40 000 hat.

Und auch die „Milliyet“ brachte die Nachricht gestern auf ihrer Titelseite. Das liberale Blatt zeigte die junge Türkin allein. „Sürücü-Prozess beginnt wieder von vorn“ lautete die Überschrift. Die „Milliyet“ bewertete den Verlauf der bisherigen Ermittlungen als „interessante Entwicklung“. Ansonsten rekapitulierten die beiden Blätter nur, was bisher geschehen war. Einen Kommentar dazu gab es nicht. Die „Sabah“ brachte ebenfalls einen Beitrag – andere Zeitungen aber und auch die Fernsehsender, die Europa-Nachrichten bringen, berichteten über das Thema bisher nicht. So wird die Nachricht noch nicht alle Türken in Berlin erreicht haben.

Bis heute glauben viele von ihnen nicht daran, dass Ayhan Sürücü die Tat alleine begangen hat. „Das ist doch in der Türkei so üblich, dass der jüngste Sohn die Tat verübt und dann alles auf sich nimmt“, sagt zum Beispiel die in Neukölln lebende Zehra Yildirmaz. Die 32-Jährige Mutter von zwei Kindern kann nicht verstehen, warum die beiden Brüder der Tat nicht überführt werden konnten. „In der Türkei gelingt das doch auch“, sagt sie. Insofern freut sie sich, dass der Fall noch einmal vor Gericht kommt. „Das Gericht wird den Türken in dieser Stadt, die immer noch nicht in diesem Land angekommen sind, hoffentlich eine Lektion erteilen“, sagt sie.

Die „Hürriyet“ und „Milliyet“ haben bisher am ausführlichsten über diesen „Ehrenmord“ berichtet. Als einzige Zeitung berichtete die „Hürriyet“ nach dem Attentat im Februar 2005 über die Beerdigung von Hatun Sürücü. Insofern werden beide Blätter auch den neuen Prozess sicherlich mit Interesse verfolgen.

Trotz großem Druck vonseiten der Europäischen Union und der Vereinten Nationen sind „Ehrenmorde“ in der Türkei immer noch gängiger Alltag. Aufklärungskampagnen und schärfere Strafen für Täter und Anstifter zeigen bislang wenig Wirkung. Eine Untersuchung belegt, dass in der Türkei seit 2001 über 1800 Frauen Opfer sogenannter Ehrenmorde wurden. Diese Zahl ist viermal höher als türkische Experten bislang angenommen haben.Suzan Gülfirat

Suzan Gülfirat

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