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Berlin: Geb. 1964

Harald Fix

Kunst kommt von Können? Spießerkram. Es ging um Aktion, um Provokation. Er traktierte Märchen- und Schlagerplatten mit dem Schwingschleifer. Und wurde, als er Geld verdienen musste, Manager bei der BVG.

Damals gab es nur die eine Farbe, die keine ist: Schwarz. Im „Risiko“ vor den Yorckbrücken, das mehr an ein Wohnzimmer als an eine Kneipe erinnerte, trugen sie schwarze Hosen, schwarze Rollis, schwarze Augenringe. Blixa Bargeld von den „Einstürzenden Neubauten“ stand hinterm Tresen. Anfang der achtziger Jahre traf sich hier die Berliner Avantgarde, und der Sänger Nick Cave kam auch ab und zu vorbei. Alle trugen sie Schwarz. Nur Harald Fix war die Uniform zuwider. Er trug die Haare orange gefärbt, mal in Strähnen, mal in Zacken, mal zu einem Nest hochtoupiert. Auf der Stirn ein Band mit Leopardenmuster, auf der Nase eine Brille mit dickem weißen Rahmen. Seine Hemden hat er selbst bedruckt, manchmal mit dem Stempel.

Ohne Pseudonym musste man damals gar nicht ankommen in der Berliner Szene, jedenfalls als Künstler. Deutsche Punkbands nannten sich „Tödliche Doris“ oder „Sprung aus den Wolken“. Harald nannte sich „Hapunkt Fliegenstrumpf“ und seine Band die „Frustrierten Konsumenten“. Der Name war Programm bei den Auftritten im Flöz, im Loft und der Music Hall. „Man wollte die Konsumenten frustrieren, indem man eben den Saal leer spielte“, sagt Bong Boeldicke, der auch in der Band spielte. Während das Publikum litt, freuten sich Hapunkt und Bong an ihren Mikros: „Wir waren total stolz, auf einer Bühne zu stehen, auf der schon Nick Cave gespielt hat“. Ihre Musik nahmen sie auf und trugen die Cassetten in den „Scheißladen“, der in der Großbeerenstraße dem „Wahren Heino“ gehörte, oder schickten sie ein, bei den Labels „Pissende Kuh-Cassetten“ und „Schuldige Scheitel-Tapes“.

Kunst kommt von Können? Spießerkram. Für Hapunkt kam Kunst von Aktion, von Provokation. Er traktierte Märchen- und Schlagerplatten mit einem Schwingschleifer und nannte die Edition „Der Flop“. Für die Performance „Noise Maker Composition“ zog er mit Freunden vor die Gedächtniskirche, um Ketten auf den Asphalt zu peitschen, Bierflaschen zu zerschlagen, Blechbüchsen zu zertreten. Einmal lud Hapunkt zu einer Vernissage, der „Performance mit sich selbst verändernden Kunstobjekten“. Konserven standen auf dem Boden, von der Decke baumelten durchsichtige Plastikbeutel – gefüllt mit Gurken, Salatköpfen, Obst und Spaghetti. Sie waren so alt, dass sie sich tatsächlich von allein bewegten.

Wer die Kunst nicht verstand, hatte eben Pech. Hapunkt hetzte von Projekt zu Projekt, immer in der Angst, nicht genug zu bekommen – Aufmerksamkeit, Liebe, Geld. Im Mittelpunkt zu stehen, daran hatte er sich schon als Kind gewöhnt, aufgewachsen zwischen Mutter und Großmutter, die früh von den Männern enttäuscht worden waren, den Behörden, Politikern, der Gesellschaft, dem Leben. Nur von ihrem Harald nicht.

Die Mutter war die meiste Zeit arbeitslos, erst stritt sie um Unterhalt mit dem Vater, später tat das Hapunkt. Wenn aber das Geld mal für einen Cafébesuch reichte, packten Mutter und Großmutter am Ende ein, wofür sie auch bezahlt hatten. Die Kuchenreste, den Würfelzucker, die Sahnedöschen. Später lachten die Freunde, wenn sie Hapunkt immer gleich bestellen hörten: „Ein Glas schwarzen Tee, ein Wasser, aber aus der Leitung, bitte.“ Wenn er dann von der Toilette kam, brachte er aus dem Ständer mit den Gratispostkarten immer alle mit.

Harald war 14, als er Magenkrämpfe und Durchfall bekam. Die Worte, die der Arzt in seiner Praxis fand, erreichten den Jungen nicht: chronische Darmentzündung, psychosomatisch, ein Leiden, das die Seele verursacht. Und der Junge verstand auch nicht, weshalb der Arzt zu seiner Mutter sagte: „Das ist Ihre Schuld!“ Die Mutter antwortete: „Ach was, mit der Psyche meines Sohnes ist alles in Ordnung.“

Also musste Harald ohne Therapie lernen, mit den Attacken zu leben. Er nahm’s so locker er konnte: „In Berlin kenne ich alle Klos.“ Da galt er schon als der ewige Rationalist und Hobby-Zyniker, ein Besserwisser, der wochenlang über Formulierungen streiten konnte und mit Vorliebe die Medizinerlegende Rudolf Virchow zitierte. „Ich habe tausende von Leichen seziert, aber keine Seele darin gefunden.“

Damals war er bereits Student der Informatik an der Technischen Universität, allerdings nur auf dem Papier. Die Kunst ging vor, bis Hapunkt sah, dass ihn die eigene Generation zu überholen begann. Seine Freunde machten erst Examen, dann Karriere, andere gründeten eine richtige Familie, nach der Hapunkt sich immer gesehnt hatte. Ein Kumpel von früher hieß inzwischen zum Beispiel Bela B. und spielten bei den „Ärzten“, auch die „Neubauten“ hatten es längst geschafft. Und Hapunkt? Der mischte mit seiner Performance den Spandauer Weihnachtsmarkt auf.

Da riss er also das Ruder rum, blieb aber weiter unter Volldampf. Seine Nächte verbrachte er nun am Schreibtisch, bestand erst den Magister mit Bestnote, dann das Aufbaustudium Weiterbildungsmanagement. Bei der Bewerbung um den Managerposten bei der BVG stach Harald Fix über 200 Konkurrenten aus. Mit akkurat geschnittenem Haar, Schlips und Kragen.

Darmkrebs. Das Risiko schwebte immer über ihm, 1996 fiel das Beil: Die Entzündung hatte sich in ein Geschwür verwandelt. Hapunkt wurde operiert, bekam vorübergehend einen künstlichen Darm, dachte aber nicht daran, ein Leben als Kranker zu führen: Schwamm im See, wanderte in den Bergen, schlief mit seiner Freundin. An den Tagen, an denen er morgens zur Chemotherapie musste, ging er abends tanzen. „Morgens Fango, abends Tango“, sagte er und meinte: Mich kriegst du nicht, Tod.

Harald Fix schlug Haken. Er lernte meditieren, las spirituelle Bücher, erfuhr einiges über indianische Heilkunst und feierte Erfolge. Letztes Weinachtsfest hatte er es endlich geschafft, hatte im Kreis der Freunde den Mittelpunkt den anderen überlassen. Sich zurückgelehnt und losgelassen. Es fühlte sich an, als habe er sie endlich gefunden. Eine richtige Familie.

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