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Berlin: Gebt ihm eine Breitseite!

Das Geheimnis der „Schiff:bauerey“: Unter dem Großen Kurfürsten sollte Brandenburg zur Marine- und Kolonialmacht werden. Allerdings fehlte die Flotte. Also baute ihm ein Holländer eine Werft für Segelschiffe, geeignet zum Seekrieg ebenso wie zum Sklavenhandel. Leider lag sie ziemlich weit im Binnenland – in Berlin.

Geduldig hatte der englische Seeräuber auf seine Chance gewartet, zweimal schlug er zu. Die Angriffe am 26. und 28. November 1698 auf die brandenburgische „Kurprinzess“ scheiterten am heftigen Widerstand der mit 40 Kanonen bewaffneten Fregatte. Der Pirat drehte ab, auf dem kurfürstlichen Schiff hatte das Seegefecht mehrere Tote und Verwundete gefordert. Am 4.Dezember steuerte Kapitän Pieter van Beck die im Golf von Guinea gelegene portugiesische Insel São Tomé an und fand auf der Reede ausgerechnet den Engländer vor sowie ein anderes brandenburgisches Schiff, bei dem der Corsar erfolgreicher gewesen war. Pieter van Beck wandte sich an den Gouverneur, erbat die Erlaubnis, dem Räuber die Beute abzujagen – vergebens. Es sei ein korrekt mit britischem Schutzbrief ausgestatteter Kaperer, beschied ihn harsch der Portugiese, jeder Angriff werde massive Konsequenzen haben. Der Governeur ließ sogar den Engländer in den Hafen geleiten und kaufte ihm die Beute ab. 122 000 Taler waren Schiff und Ladung wert.

Die „Kurprinzess“ segelte von dannen, ein Schiff ohne Fortune, das sich ohnehin auf einer seiner letzten großen Fahrten befand. Ein Jahr später wurde sie in Emden stillgelegt und 1712 abgewrackt. Zumindest blieb ihr damit ein Schicksal wie das der brandenburgischen Schnau „Kiebitz“ erspart, die 1686 auf der Reise nach Guinea vor dem englischen Yarmouth auf Grund lief und beschlagnahmt wurde, oder der Fleute „Sieben Provinzen“, die im Herbst 1699 im Atlantik sank. Doch mag auch das Ende der drei Schiffe sich unterscheiden, die Herkunft ist ihnen allen gemeinsam: Auf Kiel gelegt wurden sie in Berlin.

An dessen Vergangenheit als Werftstadt erinnert noch heute der am nördlichen Spreeufer, zwischen Friedrich- und Reinhardtstraße gelegene Schiffbauerdamm. Allerdings erhielt er seinen Namen 1738 wegen der Frachtkähne, die dort im frühen 18. Jahrhundert zusammengezimmert wurden. Die maritime Episode der Berliner Geschichte war zu dieser Zeit längst wieder beendet, ihr Schauplatz lag ohnehin am gegenüberliegenden Flussufer, der „Seeseite“ der Spree, etwa da, wo sich heute das ARD-Hauptstadtstudio befindet. 1681 hatte Michael Mathias Smids, Baumeister des Großen Kurfürsten, dort eine Werft angelegt. Auftraggeber war der Holländer Benjamin Raule, Kaufmann, Reeder und Berater des Kurfürsten in allen Marinedingen, der die „Schiff:bauerey“ drei Jahre später an Friedrich Wilhelm verkaufte. Ihr Zweck erscheint nachträglich geradezu verwegen: der Bau von hochseetauglichen Handels- und Kriegsschiffen, was damals noch kaum einen Unterschied machte. Bewaffnet waren alle, schon wegen der Piraten.

„Seefahrt und Handlung sind die fürnehmsten Säulen eines Estats, wodurch die Untertanen beides zu Wasser, als auch die Manufakturen zu Lande ihre Nahrung und Unterhalt erlangen.“ Diese Maxime, niedergeschrieben 1684, dem Jahr, als in Berlin eine Admiralität eingerichtet wurde, hatte seit jeher die Handelspolitik des Großen Kurfürsten bestimmt. Angeregt durch das Beispiel der Niederlande, sah er die Zukunft der aufstrebenden Territorialmacht Brandenburg vor allem auf dem Wasser, nur fehlte es anfangs ebenso an Schiffen wie an meereserprobter Besatzung. „Gastarbeiter“ aus den Niederlanden sollten helfen, und in Benjamin Raule glaubte Friedrich Wilhelm endlich den Mann gefunden zu haben, der ihm helfen könnte, seine kolonialen Träume zu verwirklichen.

1675 hatten die beiden sich kennen gelernt, für Raule der Beginn einer Schwindel erregenden Karriere. Innerhalb von sechs Jahren stieg er zum „Generaldirektor der Marine“ auf, ein von Friedrich Wilhelm hoch geschätzter Mann, der ihn gegen alle Anfeindungen, er verquicke staatliche und private Interessen, stets in Schutz nahm und mit Macht und Geld üppig ausstattete. Anfangs stellte Raule dem Kurfürsten eine Mietflotte zur Verfügung, die erfolgreich in der Ostsee gegen die Schweden eingesetzt wurde und am 18. September 1680 bei Ostende das spanische Kriegsschiff „Carolus Secundus“ erbeutete. Als „Markgraf von Brandenburg“ wurde sie zum Flaggschiff der kurfürstlichen Flotte. Im selben Jahr startete die erste Expedition zweier brandenburgischer Schiffe zur Küste Westafrikas, um dort Handelsstützpunkte aufzubauen. Eines wurde von den rivalisierenden Holländern aufgebracht, was Friedrich Wilhelm und Raule aber nicht abschreckte, ihre kolonialen Ambitionen fortzuführen: Anfang 1682 entstand in Berlin die Brandenburgisch-Afrikanische Kompagnie. Bereits am 1. Januar 1683 wurde nahe dem Kap der drei Spitzen an der Goldküste, im heutigen Ghana, die Flagge mit dem roten Adler aufgezogen und die noch heute existierende Festung Großfriedrichsburg gegründet. Und Ende September 1684 traf sogar ein Stammesführer namens Jancke in Berlin ein, der gemeinsam mit 85 anderen lokalen Autoritäten ein Dokument unterzeichnet hatte, womit sie sich in den Schutz des Großen Kurfürsten begaben und mit niemandem sonst Handel zu treiben gelobten. Friedrich Wilhelm empfing Jancke überaus huldvoll, bestätigte ihm noch einmal den geschlossenen Vertrag und entließ seinen neuen Untertanen reich beschenkt wieder in die Heimat.

In der Nikolaikirche befindet sich noch das Epitaph des Bauingenieurs Carl Constantin von Schnitter, unter dessen Leitung Großfriedrichsburg von einer provisorischen Wehranlage zur barocken Festung mit vier Bastionen ausgebaut wurde. Die Rolle, die Berlin in dem afrikanischen Abenteuer des Großen Kurfürsten spielen sollte, geht über solche personellen Bezüge aber weit hinaus. Die Hafenstädte, von denen aus Brandenburg die Welt erobern wollte, hießen Pillau und Emden, die dafür nötigen Schiffe sollten aber auch in Havelberg und sogar Berlin entstehen. Hier seien die Baustoffe, Eichenholz vor allem, viel billiger, erklärte Raule, der hoffte, für seine hochseetauglichen „Binnenschiffe“ Abnehmer selbst in Hamburg zu finden.

Eine Abbildung seiner 1681 gegründeten Werft gibt es nicht, die 1688 von Joh. Bernhardus Schultz gestochene Stadtansicht zeigt die zwischen Spree und Dorotheenstädtischer Kirche gelegene „Schiff:bauerey“ als leere Fläche. Auch geben die Archive keine Auskunft darüber, wie die Schiffe, zweifellos noch ohne Masten, über Spree, Havel und Elbe zur Küste gelangten. In Amsterdam tauchten erstmals 1688 so genannte „Kameele“ auf, mit Sand gefüllte Schwimmkörper, die man zu beiden Seiten eines Schiffsrumpfes befestigte und dann leer schippte. „Viel zu groß“, urteilt Thomas Feige, Schifffahrtshistoriker am Deutschen Technikmuseum Berlin, hält eher von Ruderbooten geschleppte Schuten für wahrscheinlich. Immerhin geben die alten Dokumente Auskunft über die Schiffe, die zwischen 1682 und 1687 auf der Werft gebaut wurden. Neun waren es demnach, davon sieben hochseetauglich, alle von dem Schiffsbauer Gillis Cornelis Pekelhering auf Kiel gelegt. Die drei größten, die später in „Sieben Provinzen“ umbenannte Fleute „Friede“ und die beiden Fregatten „Kurprinz“ und „Kurprinzess“, waren 32 Meter lang, mit 32 bis 40 Kanonen bestückt. Als Kriegsbesatzung waren für die „Kurprinz“ 180 Mann vorgesehen.

Trotz vielversprechender Anfänge: Als Heimstatt einer Hochseewerft hatte Berlin keine Zukunft, es rentierte sich einfach nicht. Nach 1687 wurde die „Schiff:bauerey“ nur noch zur Reparatur der kurfürstlichen Jachten genutzt, 1693 zur Bauhofgasse an den Kupfergraben verlegt, zwei Jahre später geschlossen. Mit dem Tod des Großen Kurfürsten 1688 hatte sich der Wind für Raule ohnehin gedreht. Er sollte bald Ämter, Ehren und Besitz verlieren, darunter den Raulehof in der Leipziger Straße und Schloss Rosenfelde, aus dem später Schloss Friedrichsfelde wurde.

Auch der westafrikanische Handel kam nach Anfangserfolgen schnell wieder zum Erliegen. Zwar war es 1685 gelungen, auf der Insel Arguin vor der Küste des heutigen Mauretaniens einen weiteren Stützpunkt anzulegen, zudem hatte Brandenburg im selben Jahr einen Teil der dänischen Antilleninsel St.Thomas als Stützpunkt für den Sklavenhandel gemietet. Gegen die Konkurrenz der etablierten Seemächte Spanien, Holland und England kam der Marinezwerg Brandenburg auf Dauer aber nicht an. Dass die „Kurprinzess“ 1698 in São Tomé vor der Allianz eines englischen Piraten und eines portugiesischen Gouverneurs klein beigeben musste, erscheint da symptomatisch. Dem Schwesterschiff „Kurprinz“ war es wenige Jahre vorher kaum besser ergangen. Im Juni 1662 noch erfolgreich mit Sklaven von Arguin nach St. Thomas unterwegs, wurde sie im Jahr darauf in England vorübergehend beschlagnahmt.

Letztlich blieb das afrikanische Abenteuer für Brandenburg ein Verlustgeschäft, an dem der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I., jeder Verschwendung abhold, partout kein Interesse mehr hatte. 1716, drei Jahre nach dessen Thronbesteigung, verließ der letzte Kommandant die Festung Großfriedrichsburg, ein Jahr später wurde sie an die Holländer verkauft. Die ehemaligen Untertanen davon zu unterrichten, hielt man nicht für nötig, was den neuen Besitzern viel Ärger machte. Jan Conny, der von den abgezogenen Preußen zum Statthalter ernannte Schwarze, wollte von den neuen Herren nichts wissen und verwickelte sie in einen jahrelangen blutigen Guerilla-Krieg. Dafür wurde ihm, als sich die Deutschen später aufs Neue an kolonialen Träumen berauschten, ein fragwürdiger Ehrentitel verliehen: der „schwarze Preuße“.

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