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Kitsch oder Kunst? Wasserfläche mit Dreieck beim Denkmal für die von den Nazis ermordeten Sinti und Roma an der Scheidemannstraße in Mitte.

© Kitty Kleist-Heinrich

Gedenken in Berlin: Stoppt den Mahnmalkitsch!

Sinti-und-Roma-Denkmal oder auch die geplante Wippe des Einheits- und Freiheitsdenkmals: Schlechte Kunstwerke im öffentlichen Raum beschädigen die Glaubwürdigkeit der Erinnerung - doch kaum einer traut sich, sie zu kritisieren.

In Berlin ist die Mahnmal-Dichte hoch, vor allem auf der Meile rund ums Brandenburger Tor. Nicht nur am 27. Januar, der als Holocaust-Gedenktag begangen wird, erscheinen dem Betrachter der ehemaligen Reichshauptstadt Mahnmale im weiten Umkreis des Regierungsviertels besonders plausibel. Darf man sie kritisieren? Sobald sie realisiert sind, sagt der politisch korrekte Kodex: nein. Weil sie Betroffenheit produzieren und Opfergruppen gewidmet sind; weil Betroffenheit gut ist und Opfer recht haben.

Das stimmt nicht immer. Opfer und sogar Politiker können schlechten Geschmack haben. Mahnmale sind Denkmale, sind Kunstwerke. Sobald ihre Immunität wegfällt, ist das mediokre Mahnmal nur noch ein schlechtes Kunstwerk. Das verdirbt die Wahrnehmung und den öffentlichen Raum. Öffentliche Kunst mit erinnerungspolitischem Anspruch untergräbt zudem subtil und fortwährend die Glaubwürdigkeit ihres Anliegens.

Die von einem Überlebenden hergestellte und gestiftete „Gedenkskulptur“ zur Erinnerung an Transporte jüdischer Kinder ins rettende Exil oder in den Tod etwa wurde 2005, vor ihrer Aufstellung am Bahnhof Friedrichstraße, als „püppchenhaft“ kritisiert. Ihre Niedlichkeit beschädigt die Erzählung, für die sie steht.

Die mit schlechtem Geschmack vollgemüllte Kommune

Doch ist es sinnvoll, definitiv installierte Zeichen infrage zu stellen, auch wenn jene, die sich dafür engagiert haben, damit verletzt werden könnten? Und obwohl ein Rückbau schwer vorstellbar ist? Ja, trotzdem. Wer banale Gedenk-Kunst im Stadtraum hinnimmt, gibt die Vermittlung des traumatischen deutschen Kernthemas an diesem Punkt auf – wie die mit schlechtem Geschmack vollgemüllte Kommune.

Nicht mehr zeitgemäß? Sowjetisches Ehrenmal am 17. Juni.
Nicht mehr zeitgemäß? Sowjetisches Ehrenmal am 17. Juni.

© Foro: Doris Spiekermann-Klaas

Noch bleierner lastet die pietätvolle Resignation über den vier Denkmalen der Mahnmeile. Das sowjetische Ehrenmal (positiv konnotiert) an der Straße des 17. Juni steht zwar auch für die zweitgrößte Opfergruppe des „Dritten Reiches“, sowjetische Kriegsgefangene nämlich, rührt uns aber heute eher durch sein spielzeughaftes Agitprop-Pathos als durch die künstlerische Würdigung einer kollektiven Leidensgeschichte. Das „Stelen“-Denkmal für die ermordeten Juden Europas „funktioniert“ zwar aufgrund seiner Monumentalität und seiner abstrakten Projektionsfläche für große Besucherscharen, könnte aber dekotechnisch auch für sonst was stehen – hat zudem seinerzeit, beim Abspecken des Entwurfs (dem der Ausstieg des Künstlers Sierra folgte), einen Teil seiner ins Umfeld expandierenden Wucht verloren. Das Denkmal für die verfolgten Homosexuellen am Tiergarten wäre fast das überzeugendste der Mahnmeile, ein Betonblock, dessen kantige Kälte dem Betrachter den Atem nimmt – wenn der durch eine Sichtscharte im Beton zu betrachtende Kuss-Film nicht so Reklame-nett und platt-demonstrativ wirken würde.

Gegen Überzeugungen durchgesetzt? Das geplante Einheitsdenkmal am Schloss.
Gegen Überzeugungen durchgesetzt? Das geplante Einheitsdenkmal am Schloss.

© Promo

Niemand beabsichtigt, die Mahnmeile plattzumachen

Das jüngste Denkmal am Reichstag schließlich, gewidmet den ermordeten Sinti und Roma, ist mit seinem Mix aus plakativer Infodidaktik und illusionistischem Naturtheater kitschig. Es war aber angeblich in dieser kontraproduktiven Form, trotz unsäglicher Bauprozedur, von der genervten politischen Klasse nicht zu verhindern – angesichts des berühmten jüdischen Künstlers, der beteiligt war, und unter dem Realisierungsdruck eines mit dieser Konstruktion auch die eigene Bedeutung manifestierenden Sinti-Funktionärs. Niemand beabsichtigt, die Mahnmeile plattzumachen. Aber was tun? Erstens: künftig nicht mehr von Mahnmalen reden, sondern von Denkmalen, die als Kunstwerke, ohne volksdidaktische Auflagen, geplant, gewürdigt und kritisiert werden dürfen.

Zweitens: die unscharfe Mahnmalisierung und Schlagwortisierung der Begriffe im Gedenkwesen zurückfahren, konkreter, historischer werden. Nicht Holocaust-Mahnmal, sondern: Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Nicht Holocaust-Gedenktag, sondern: Tag der Befreiung von Auschwitz.

Keine kitschige Mahnmale mehr zulassen

Drittens: einfach keine kitschigen „Mahnmale“ mehr zulassen! Das nächste soll am Ort des einstigen Kaiser-Wilhelm-Denkmals als ein Zeichen für Freiheit und Einheit entstehen, genannt Müller-Wipperfürth. Nicht mal jene kleine Pressure-Group, die das Projekt parlamentarisch durchgesetzt hat, glaubt an diesen Entwurf. Es will sich nur keiner mit der Absage blamieren. Lieber Gott, wir sind mahnmalmäßig gestraft genug, und du hast uns ja mit dem Kleinod des Brandenburger Tores das Einheits- und Freiheitsdenkmal längst geschenkt und so wunderbar erhalten. Wenn es dich wirklich gibt, verhindere Müller-Wipperfürth!

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