zum Hauptinhalt

Berlin: Gedenken mit dem feinen Unterschied

Auch Tempelhof-Schöneberg will am 8. Mai an deutsche Kriegsopfer erinnern – aber anders als Steglitz-Zehlendorf. Dort gibt es Streit

Wie kann man den 60. Jahrestag der Befreiung Deutschlands würdig begehen, ohne die deutschen Opfer zu verschweigen? Die Antworten auf diese Frage können sehr unterschiedlich ausfallen. In Steglitz-Zehlendorf hatte dieses Ansinnen Empörung bis in Botschafterkreise hervorgerufen. Dass es auch anders geht, zeigt sich in Tempelhof-Schöneberg. Auch dort will man am 8. Mai deutscher Bombenopfer und Vertriebener gedenken. Einen entsprechenden Antrag der CDU wird die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) nach Ansicht der Fraktionschefs annehmen. Es gebe in dieser Frage „einen breiten Konsens zwischen den Parteien“, beteuern die Fraktionschefs der beiden größten Fraktionen, Reinhard Pospieszynski (CDU) und Margrit Zauner (SPD). Die Entscheidung fiel demnach ohne schrille Störgeräusche.

Anders in der BVV Steglitz-Zehlendorf. Dort hatten FDP und CDU gegen SPD, PDS und Grüne einen heftig umstrittenen Beschluss durchgesetzt. Der 8. Mai steht neben der Befreiung vom Naziregime „auch für den Schrecken und das Leid der Bevölkerung, die die Rote Armee von Ostpreußen bis nach Berlin zu verantworten haben.“ Diese Passage kritisierten die Russische Botschaft und die Jüdische Gemeinde als Geschichtsverfälschung. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Albert Meyer, forderte die BVV auf, den Beschluss zurückzunehmen, „in dem die Ermordung von Millionen NS-Opfern“ mit den „deutschen Opfern bei der Niederringung des NS-Staates gleichgesetzt“ werde. Führende Landespolitiker von Grünen und SPD zogen Vergleiche zur NPD im sächsischen Landtag. Während der CDU-Landesvorsitzende Joachim Zeller erklärte, er sehe keinen Anlass, die Parteifreunde zu kritisieren, tat dies sein Unionskollege, der Abgeordnete Karl-Georg Wellmann, im Tagesspiegel: „Man kann nicht Opfer gegenrechnen und historische Kausalitäten vertauschen.“ Diesen Eindruck aber habe der BVV-Beschluss erweckt.

Diese Kritik, sagt Tempelhof-Schönebergs CDU-Fraktionschef Pospieszynski, wolle er nicht kommentieren. Er sagt aber auch, der Antrag seiner Parteifreunde in Steglitz-Zehlendorf sei „sehr unglücklich“ gewesen. Deshalb werde die Unionsfraktion in Tempelhof-Schöneberg einen Zusatz in ihren Antrag aufnehmen: Im Zentrum der Auseinandersetzung mit dem Kriegsende, so soll die Ergänzung lauten, müsse die Tatsache stehen, „dass Flucht und Vertreibung ihre Ursache im von Deutschland begonnenen Eroberungs- und Vernichtungskrieg hatten“. Laut Serge Embacher (SPD), dem Vize- Vorsitzenden des Kulturausschusses, wird sich die Empfehlung im Programm niederschlagen: Im Bezirk wünscht man sich, dass Literaturnobelpreisträger Günter Grass zu Gast sein wird, um aus seiner Novelle „Im Krebsgang“ vorzulesen, in der er Verluste und Leid der deutschen Zivilbevölkerung im Krieg beschreibt. Weiter geplant ist eine Ausstellung, die auch das Schicksal Vertriebener aufgreife.

Die Bezirksverordneten in Steglitz- Zehlendorf beraten ihren Beschluss am Mittwoch noch einmal.

Marc Neller

Zur Startseite