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Die kurdischstämmige Hatun Sürücü wurde am 7. Februar 2005 von ihrem Bruder ermordet.

© dpa

Gedenkfeier für Deutsch-Kurdin: Integrationsprojekt erinnert an getötete Hatun Sürücü

Heute vor acht Jahren wurde Hatun Sürücü ermordet, weil sie einen modernen Lebensstil pflegte. Ein Neuköllner Integrationsprojekt gedenkt nun der Deutsch-Kurdin. Als „Heroes“ wenden sich 17 Jungs mit türkischen und arabischen Wurzeln gegen alte Rollenmuster.

Jungs müssen stark und mutig sein, Mädchen zurückhaltend und gehorsam. In vielen Familien, besonders in muslimischen, herrscht noch immer ein solches Rollenbild, das oft mit viel Leid einhergeht. Das Neuköllner Projekt „Heroes“ will junge Muslime darin bestärken, diese gesellschaftlich veralteten Muster zu durchbrechen und deutlich machen, dass Ehre anders zu definieren ist als über die Jungfräulichkeit ihrer Schwestern.

Heute wollen die Heroes, das sind 17 junge Männer mit türkischem und arabischen Hintergrund, der ermordeten Hatun Sürücü gedenken. Acht Jahre nach dem so genannten Ehrenmord an der Deutsch-Kurdin werden die Jugendlichen um 15 Uhr am Gedenkstein in Tempelhof, Ecke Oberlandstraße/Obergarten ein paar Worte zur Erinnerung sprechen und gemeinsam mit Innensenator Frank Henkel (CDU) und Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD) Blumen und Kerzen an dem Ort, an dem die junge Frau mit gerade erst 23 Jahren starb, niederlegen. Im Anschluss wird der Senator mit den Jugendlichen des Projekts in der Heroes-Geschäftsstelle, Hermannstraße 22, über Werte, Identität und Gewalt diskutieren.

„Wir werden den Kampf gegen Gewalt nur gewinnen, wenn wir vor allem junge Menschen einbinden und Vorbilder stärken“, sagt Innensenator Henkel. Es gehe dabei um die Fragen, wie ein friedliches Miteinander realisiert werden, die Gesellschaft zusammengehalten und mehr Respekt füreinander und für das Umfeld geschaffen werden könne. „Der Termin bei den Heroes bietet eine gute Gelegenheit, um mit engagierten und wertegeleiteten jungen Menschen über diese Fragen ins Gespräch zu kommen“, so Henkel. Er will während des ganzen Jahres unter dem Motto „Gewalt hat keinen Wert. Du schon“ Gespräche führen und Projekte besuchen, die sich gegen Gewalt einsetzen. Nach Angaben der Frauen-Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes hätten im vergangenen Jahr mehr als 300 Frauen Hilfe gesucht, weil sie zwangsverheiratet worden sind oder in Ausland verschleppt werden sollten.

Video: Ein Frauenfußballturnier in Andenken an Hatun Sürücü

Die kurdischstämmige Hatun Sürücü wurde am 7. Februar 2005 von ihrem Bruder an einer Bushaltestelle erschossen, weil sie ein unabhängiges und gleichberechtigtes Leben führte und sich nicht mehr den alten Rollenverhältnissen ihrer Familie unterordnete. Der Ehrenmord an Hatun Sürücü erinnert bezüglich der Ermittlungen stark an den Fall Jonny K., der am 14. Oktober 2012 von sechs jungen Männern vor einer Disco am Alexanderplatz zu Tode geprügelt worden ist. Der Hauptverdächtige 19-jährige deutsche Staatsbürger Onur U. flüchtete in die Türkei und soll dort inzwischen die türkische Staatsbürgerschaft erworben haben. Auch im Fall Hatun Sürücü flüchtete der mitangeklagte Bruder Mutlu in die Türkei, um sich dem Verfahren in Deutschland zu entziehen. Er hatte die deutsche Staatsbürgerschaft abgelegt und besitzt somit nur noch die türkische. Eine freiwillige Rückkehr hat er wie Onur U. zwar angekündigt, aber nie in die Tat umgesetzt.

„Ich möchte den Jugendlichen aus den türkischen, arabischen sowie vielen anderen sogenannten Ehrenkulturen zeigen und beweisen, dass wir anders sein können, als die Mehrheit von uns denkt“, sagt der 20-jährige Deniz, der sich bei den Heroes engagiert. Er wolle nicht, dass man mit dem Finger auf ihn deute, wenn in den Medien etwas negativ Auffallendes, in dem Migranten involviert seien, berichtet werde. „Ich möchte den Menschen, die von Vorurteilen geprägt sind, zeigen, dass sie eine falsche Meinung vertreten, und zugleich den jugendlichen Migranten, die aus derselben Kultur stammen wie ich, eine Alternative zeigen“, so Deniz.

Unter Anleitung des Theaterpädagogen Yilmaz Atmaca aus der Türkei und des Psychologen Ahmad Mansour aus Palästina treffen sich die 16 bis 21 Jahre alten Jungen ein bis zweimal pro Woche, diskutieren über Gleichberechtigung und Demokratie, entwickeln Rollenspiele, grillen und essen zusammen. Das Konzept der „Heroes“ stammt ursprünglich aus Schweden. Die Soziologin und Leiterin des Vereins „Strohhalm“ Dagmar Riedel-Breidenstein holte die Idee nach Neukölln.

Finanziert werden die Heroes seit 2007 von der World Childhood Foundation, gegründet von der schwedischen Königin Silvia, die 100 Projekte in 14 Ländern fördert. Erst im Dezember vergangenen Jahres hatte der mit einem Bambi in der Kategorie „Integration“ ausgezeichnete Rabbiner Daniel Alter seinen Fernsehpreis dem Neuköllner Projekt für sein Engagement gegen Hass und Gewalt gewidmet. Er sehe in der Arbeit eine zukunftweisende Möglichkeit für ein friedliches Miteinander, so Alter. Er war Ende August 2012 in Friedenau von Jugendlichen vor den Augen seiner Tochter verprügelt und verhöhnt worden.

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