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Marsch zur Erinnerung an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg 1988.

© dpa

Gedenkmarsch für Rosa Luxemburg: Demo der Andersdenkenden

Vor 25 Jahren liefen DDR-Oppositionelle beim Gedenkmarsch für Rosa Luxemburg mit. Die meisten wurden gen Westen abgeschoben.

Es ist Sonntag in Berlin, und die Stadt ist geteilt. Im Osten, der Hauptstadt der DDR, veranstaltet die machthabende SED an diesem 17. Januar 1988 wieder mal einen Umzug. Anlässlich des Jahrestages der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zieht es die Massen zur „Kampfdemonstration“ zur Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Friedhof Friedrichsfelde.

Doch das Ritual, das viele Sozialisten auch heute wieder fortsetzen werden und um das es nach wie vor Streit gibt, erhält an diesem Sonntag vor 25 Jahren ungeahnte Bedeutung: Mehr als 100 Bürgerrechtler laufen mit eigenen Plakaten mit und werden festgenommen. Dutzende Haftbefehle und Abschiebungen in den Westen folgen. Wer es noch nicht ahnte, spürt es spätestens jetzt: Es gärt in der DDR.

Zum ersten Mal wollen sich Ausreisewillige und Dissidenten einreihen, um gegen Berufsverbote in der DDR zu protestieren, das Recht auf Freizügigkeit zu fordern sowie auf freie Meinungsäußerung zu pochen, die in der DDR-Verfassung verankert ist. Auf ihren Plakaten stehen Luxemburg-Zitate: „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.“ – „Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht.“

Doch die Staatssicherheit, im Volksmund „Firma Horch und Guck“, weiß Bescheid. Schon vorher müssen sich zahlreiche Oppositionelle schriftlich verpflichten, nicht teilzunehmen. Die von Stasi- Greiftrupps auf dem Weg zur Demonstration wegen „Rowdytums“ oder „Zusammenrottung“ Festgenommenen finden sich in der Haftanstalt Rummelsburg wieder. Unter ihnen sind populäre Akteure wie der mit Berufsverbot belegte Liedermacher Stephan Krawczyk und Vera Lengsfeld (damals Wollenberger), Mitinitiatorin des „Friedenskreises Pankow“ und der „Kirche von unten“. Sie wollen die DDR verändern, nicht verlassen.

Die Verhaftungen stoßen auf scharfe Proteste. Ralf Hirsch, Sprecher der „Initiative Frieden und Menschenrechte“, alarmiert Korrespondenten im Westen. Krawczyks Frau Freya Klier, die als Regisseurin ebenfalls Berufsverbot hat, appelliert in einer nach West-Berlin gebrachten Videobotschaft an alle Künstler, bis zur Freilassung der Inhaftierten nicht in der DDR aufzutreten. In Ost-Berlin und in mehreren Städten der DDR finden von nun an Mahnandachten statt. Es soll nicht mehr aufhören zu gären.

Die Staatsmacht reagiert mit einer zweiten Verhaftungswelle prominenter Bürgerrechtler am 25. Januar. Unter anderem Bärbel Bohley, Freya Klier, Ralf Hirsch sowie Wolfgang und Regina Templin landen im Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen. „Mich haben sie morgens um sechs gleich im Schlafanzug mitgenommen“, erinnert sich Hirsch.

Dabei hatte er die Aktion am 17. Januar abgelehnt, da er weder Ausreisewillige aktiv unterstützen noch seine Festnahme riskieren wollte. Verhaftungen für kurze Zeit mussten die Bürgerrechtler öfter erdulden. Diesmal ist es ernst, so absurd die Beschuldigung klingt: „landesverräterische Beziehungen zu geheimdienstlich gesteuerten Kreisen in Westberlin“. Gemeint sind die Kontakte zur West-Presse.

Prominenten wird die Einreise als "zur Zeit nicht möglich" verweigert.

Gedenken und Denken. Beim Marsch zur Erinnerung an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht war 1988 nicht nur die DDR-Staatsmacht dabei, sondern auch die Opposition mit eigenen Plakaten.
Gedenken und Denken. Beim Marsch zur Erinnerung an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht war 1988 nicht nur die DDR-Staatsmacht dabei, sondern auch die Opposition mit eigenen Plakaten.

© dpa, akg

Den Rat westlicher Politiker zur Mäßigung weist die DDR-Führung als Einmischung in innere Angelegenheiten zurück. Prominenten Grünen wie Petra Kelly und Gert Bastian, die in Ost-Berlin mit Vertretern der Kirche und der Opponenten sprechen wollen, wird die Einreise als „zur Zeit nicht möglich“ verweigert.

Bohley, Fischer, Klier, Krawczyk, die Templins und Hirsch werden vor die Wahl gestellt: sofortige Ausreise oder Prozess mit der Aussicht auf zehn Jahre Haft. Also reisen sie aus, fast alle auf Zeit mit dem DDR-Pass, Hirsch wird zwangsausgebürgert. „Die Hintergründe dieser Massenabschiebung sind bis heute ungeklärt, obwohl so bekannte Persönlichkeiten wie Gregor Gysi und Manfred Stolpe an der Abschiebung mitwirkten“, beklagen die damals aus der Heimat Verdrängten heute in einer gemeinsamen Erklärung. Sie verlangen, dass die Rolle von Anwälten, Vermittlern und der Stasi aufgeklärt wird.

Gedenken und Denken.
Gedenken und Denken.

© picture-alliance/ ZB

Vera Lengsfeld ist die Erste, der Ende Januar der Prozess gemacht wird. Das Stadtbezirksgericht Lichtenberg verurteilt sie wegen „versuchter Zusammenrottung“ zu sechs Monaten Freiheitsstrafe. Diese Strafe bekommen mit derselben Begründung kurz darauf auch drei junge Mitarbeiter der Umweltbibliothek im Gemeindehaus der Zionskirche aufgebrummt, von denen zwei ausreisen.

Lengsfeld wird nach dem Urteil tagelang zur „freiwilligen“ Ausreise auf Zeit genötigt, bis sie einwilligt. Sie geht mit ihren beiden kleinen Söhnen zum Studium nach Cambridge. Der ältere Sohn darf sie besuchen. Doch wird er im Herbst mit drei anderen Schülern wegen regimekritischer Äußerungen von der Carl-von-Ossietzky-Schule in Pankow geworfen. Die Affäre löst eine Solidaritätswelle mit den Schülern aus.

Am Ende ist die größte Verhaftungswelle in der DDR nach dem Volksaufstand am 17. Juni 1953 Ursache für nur noch mehr Proteste. Die Opposition wird nicht zerschlagen, sie rückt zusammen und erhält Zulauf. Ehe die Mauer fällt, sind die meisten Abgeschobenen längst wieder da und spielen eine starke Rolle beim friedlichen Umbruch. Vera Lengsfeld, die am Morgen des 9. Novembers 1989 in den Osten zurückkehrt, wird der frei gewählten Volkskammer und dem Bundestag angehören. Sie muss erfahren, dass ihr Ehemann sie im Stasi-Auftrag bespitzelte.

War das Drama im Januar 1988 also ein Vorbote der Wende? Ralf Hirsch sieht es heute so: „Einen besseren Erfolg als die friedliche Revolution hätte es nicht geben können. Alles hat sich gelohnt.“

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