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Auftrag: Erinnerung. Das Dokumentationszentrum ist neben dem Mauerdenkmal und der Kapelle der Versöhnung Teil der Gedenkstätte in der Bernauer Straße.

© Spiekermann-Klaas

Gedenkstätte: Mauer an der Bernauer Straße wäre fast abgerissen worden

Gegen die heutige zentrale Gedenkstätte der Teilung in Berlin gab es anfangs massiven Widerstand. Überraschend ließ der NVA-Oberst seine Abrisstruppe wieder abziehen.

Am 13. August wird in Berlin an den 50. Jahrestag zum Bau der „Berliner Mauer“ erinnert. Die zentrale Gedenkveranstaltung mit dem Bundespräsidenten und dem Regierenden Bürgermeister findet in der Gedenkstätte an der Bernauer Straße statt. Auf den ersten Blick erscheint dies alles selbstverständlich. Die Gedenkstätte mit ihrem Dreiklang „Mauerdenkmal, Dokumentationszentrum und Kapelle der Versöhnung“ gehört heute zu den zentralen Erinnerungsorten der Stadt. Alljährlich kommen mehr als hunderttausend Menschen, um sich einen konkreten Eindruck zu verschaffen von jenem historischen Konflikt, der als „Kalter Krieg“ in die Geschichtsschreibung eingegangen ist. Die Berliner Mauer war das Symbol für diesen Konflikt, der sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts abspielte und in dem sich die Demokratien im Westen und die kommunistische Staatenwelt im Osten gegenüberstanden.

Schaut man jedoch genauer hin, wird schnell deutlich, dass die erfolgreiche Entstehungsgeschichte der Gedenkstätte zur Geschichte der Berliner Mauer und ihrer Opfer alles andere als selbstverständlich gewesen ist. Vor allem das Schicksal des Mauerdenkmals hing mehr als einmal am berühmten seidenen Faden. Die Haltung des Zeitgeistes war damals ziemlich eindeutig: Die Mauer muss weg. Fast drei Jahrzehnte hatte sie ein getrenntes Leben in der Stadt erzwungen – hier West, dort Ost. Jetzt sollte damit Schluss sein. Bereits in der euphorischen Nacht der Maueröffnung am 9. November 1989 brachen die Menschen Stücke aus der verhassten Mauer. Später folgten ihnen Millionen aus aller Welt, um als Mauerspechte ein Souvenir der Weltgeschichte mitzunehmen.

Als Mitarbeiter im Aufbaustab für das Deutsche Historische Museum (DHM) habe ich diese Ereignisse nicht nur aus nächster Nähe miterlebt, ich war auch an den ersten entscheidenden Schritten zum Aufbau der Gedenkstätte beteiligt. Ohne die historische Authentizität eines Mauerdenkmals, das wurde sehr schnell klar, konnte es keine lebendige Gedenkstätte geben. Allein schon der Begriff „Berliner Mauer“ war höchst problematisch, denn die Grenzanlagen umfassten weitaus mehr als nur eine Mauer. Es gab eine Vorder- und eine Hinterlandsmauer sowie Signalzäune und Wachtürme. Im Innenraum der Grenze wurde auf Flüchtlinge geschossen. Nicht wenige fanden dabei den Tod. Für den Historiker im Museum konnte es keinen Zweifel geben, dass diese Themen weit über die Museumsarbeit hinausgingen. Ganz abgesehen davon, dass ein würdiger Rahmen geschaffen werden musste, um fortan der Opfer zu gedenken. Im März 1990 wandten sich daher die Direktoren des Museums für Deutsche Geschichte in Berlin-Ost und des DHM in Berlin-West an die Regierenden der noch geteilten Stadt und schlugen vor, einen Grenzabschnitt entlang der Bernauer Straße unter Denkmalschutz zu stellen. Die Straße war nicht zufällig gewählt worden. Bei der Grenzziehung im August 1961 hatte sie traurige Berühmtheit erlangt. Dramatische Szenen spielten sich ab, als Menschen von Häuserdächern sprangen, um dem kommunistischen Regime zu entkommen. Am Ende verzeichnete die Straße die meisten Fluchtopfer. Nicht umsonst begann der offizielle Abbau der Grenzanlagen an der Ecke Bernauer Straße/Ackerstraße.

Die Berliner Landespolitik hat lange gezögert, die Führungsrolle in Sachen Gedenkstätte zu übernehmen. Die Skepsis erstreckte sich anfänglich auf alle Parteien. Die CDU im damaligen Bezirk Wedding, wozu die Bernauer Straße gehört, versuchte sogar ganz offiziell mit einer Bürgerbefragung, das Projekt zu stoppen. Der Versuch scheiterte, aber der Unmut traf all jene, die sich für das Mauerdenkmal aussprachen. Natürlich war die Kritik eher emotional als sachlich. Die einen sprachen vom Wiederaufbau der Mauer, die anderen von Hollywood-Szenarien. Manchmal wurde die Kritik sogar handfest. Nach einer Veranstaltung in Wedding fand ich die Scheiben meines Privatwagens eingeschlagen. Wie chaotisch die Situation damals war, verdeutlicht ein anderes Beispiel: Als der Ost-Berliner Magistrat wenige Wochen vor der deutschen Einigung einen Grenzabschnitt im oberen Teil der Bernauer Straße unter Denkmalschutz stellen wollte, war genau dieser in der Nacht vor der Beschlussfassung „platt“ gemacht worden. Wollte etwa die West-Berliner Baubranche verhindern, dass die Gedenkstätte lukrative Aufträge im künftigen Stadtzentrum gefährdet? Sehr merkwürdig war das Verhalten der Ost-Berliner Sophiengemeinde, deren Friedhof an der Bernauer Straße lag und der bei der Grenzziehung im August 1961 regelrecht geschändet worden war. Im Gegensatz zur Versöhnungsgemeinde auf der westlichen Straßenseite, die das Gedenkstättenprojekt von Anfang an tatkräftig unterstützte, suchte die östliche Gemeinde das Projekt grundsätzlich zu verhindern. Bis heute bewegt mich die Frage: Was soll daran verkehrt gewesen sein, die Opfer der Berliner Mauer auf dem Boden eines Friedhofes zu würdigen? Auch die vorgetragenen Erklärungen zur Situation vor Ort entsprachen nicht immer der Wahrheit. Der Wachturm, den es angeblich nie an der Ackerstraße gegeben hat, steht heute wieder dort, wo er auch am 9. November zu finden gewesen war.

Die Bundesregierung hat die Gedenkstättenaktivitäten des DHM von Anfang an gefördert. Ja, in den neunziger Jahren ließ sie sogar zweimal eine Position in den Bundeshaushalt einstellen, um die Errichtung der Gedenkstätte zu finanzieren. Die Mittel wurden nie abgerufen, weil das Land Berlin die Planungssicherheit für das Vorhaben nicht herstellen konnte oder wollte. Die Unterstützung des Bundes sollte sich letztlich als ausschlaggebend erweisen, als es darum ging, das Mauerdenkmal endgültig zu sichern. Die letzte Entscheidung lag bei der DDR-Regierung mit Lothar de Maizière, denn es existierten immer noch zwei deutsche Staaten, und die Berliner Mauer stand auf dem Territorium der DDR. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, dessen Ministerium damals für das DHM zuständig war, griff unsere Anregung im Rahmen der Vereinigungsverhandlungen auf und bat den Ministerpräsidenten um eine schriftliche Erklärung, die bestätigte, dass das Areal der geplanten Gedenkstätte von den Abrissarbeiten verschont bleibt. Würden die NVA-Truppen eine entsprechende Anweisung erhalten und, wenn ja, auch ausführen? Für den Fall, dass eine Abrisstruppe auf dem Denkmalgelände in Aktion treten sollte, hatte ich eine Absprache mit Manfred Fischer, dem Pfarrer der Versöhnungsgemeinde, getroffen. Von seiner Dienstwohnung aus konnte er das Geschehen auf dem gesamten Gelände überschauen. Auch im Rückblick von heute erscheint mir die Szene immer noch unwirklich, die sich an einem Sonntagmorgen im Juni 1990 abspielte. Fischer hatte mich alarmiert, und nun ging ich mit einer Kopie des DDR-Dokuments auf den Leiter der Abrisstruppe zu, um die Situation zu erklären. Der NVA-Oberst hätte mich inhaftieren können, schließlich war ich illegal in die DDR eingereist. Zu meiner großen Überraschung zeigte er sich äußerst kooperativ, und die Truppe zog weiter. Das Mauerdenkmal in der Bernauer Straße war endgültig gerettet. Gewiss, bis zur offiziellen Einweihung am 13. August 1998 hat es noch zahlreiche Blessuren hinnehmen müssen. Die historische Authentizität blieb jedoch erhalten und bildete den Grundstock für die heutige Gedenkstätte.

Der Autor ist Gründungsdirektor des Alliierten-Museums in Berlin.

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