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Seit der Neueröffnung der Topographie des Terrors haben sich die Besucherzahlen verdoppelt.

© Thilo Rückeis

Gedenkstätten in Berlin: Lücken der Erinnerung

In Berlin liegen weltgeschichtliche Ereignisse und ihre Hinterlassenschaften besonders nah beieinander. Doch für die vielen historischen Stätten fehlt ein Gesamtkonzept. Warum gibt es keine Geschichtsmeile zum Zweiten Weltkrieg?

Zwei Mauern, die sich nicht viel zu sagen haben. Die eine steht oben an der Straße, aus Beton, durchlöchert und ramponiert: die Berliner Mauer. Die andere davor liegt eine Etage tiefer, aus Backstein: die Kellerreste des Gebäudes, in dem Gestapo und Reichssicherheitshauptamt untergebracht waren. Beide gehören zur neu eröffneten Gedenkstätte Topographie des Terrors, wie Jort, Tourist aus dem holländischen Leiden, gerade gelesen hat. Aber was hat die Berliner Mauer mit dem Terror von Gestapo und SS zu tun? „Hier waren die Faschisten, drüben die Kommunisten“, sagt ein Amerikaner mit Yankees-Kappe. Da hat er irgendwie auch recht. Eigentlich sucht Jort aber nur die Fluchttunnel unter der Berliner Mauer. „Kann man die anschauen?“

In Berlin liegen die weltgeschichtlichen Ereignisse und ihre Hinterlassenschaften besonders nah beieinander. Oder eben drunter und drüber. Deutsche Einheit, Mauerbau, Zweiter Weltkrieg, Machtergreifung, Erster Weltkrieg, Reichsgründung. Von all diesen epochemachenden Wendemarken finden sich Hinweise im Stadtraum, doch allein die Berliner Mauer hat das Privileg, als „Geschichtsmeile“ inszeniert und mit immensem Aufwand an Tafeln, Mahnmalen, Ausstellungen und „archäologischen Fenstern“ vermittelt zu werden. Reichstag, Brandenburger Tor, Potsdamer Platz, die prominenten Schauplätze der Stadthistorie werden zuerst über ihren Bezug zur Berliner Mauer definiert. Was sie sonst noch sind, Symbol parlamentarischer Tradition, Residenzstadtentrée, Berlins Times Square der 20er Jahre, rückt in den Hintergrund.

Am Freitag wurde der erste Bauabschnitt der Zentralen Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße eröffnet. Großer Bahnhof mit politischem Spitzenpersonal. Hier wird multimedial, behindertengerecht und künstlerisch wertvoll an den Unort Todesstreifen erinnert. Keine Kosten und Mühen wurden gescheut, um vielfältige Wahrnehmungsperspektiven zu schaffen. Fast 27 Millionen Euro werden bis 2012 investiert.

Die Grenze ist für die Nachwelt gesichert. Aber was kam danach? Und vor allem davor? Warum gibt es keine „Geschichtsmeile Zweiter Weltkrieg“, kein „Gedenkstättenkonzept DDR“. Und wo wird an den Ersten Weltkrieg erinnert?

Die Topographie des Terrors ist einst als private Initiative engagierter Historiker entstanden. Das war 1987. Jetzt ist sie mit dem Neubau und einer gut durchdachten Ausstellung fest in den Kanon der Erinnerungsorte eingebunden. Seit der Neueröffnung vor knapp drei Wochen kommen 3000 Besucher pro Tag, doppelt so viele wie vorher. 500 000 jährlich werden erwartet, das wären dann in fünf Jahren mehr als die 2,3 Millionen Besucher, die die Ausstellung des Holocaust-Mahnmals in der gleichen Zeitspanne verzeichnete.

Aber die Topographie bleibt doch ein Solitär am Rande der Berliner Mauer. Dahinter, gen Osten spazierend, trifft der Tourist auf eine Ansammlung bunt bemalter Trabis, die zur Probefahrt einladen. Dann folgen der Heißluftballon Hi-Flyer, ein Händler mit Fellkappen und Ordenszeichen der Roten Armee und ein Werbeplakat für einen Rundflug mit dem Rosinenbomber. Ein Stück weiter beginnt die Mauer-Ausstellung am Checkpoint Charlie. An deren Ende empfängt das „Deutsche Currywurst-Museum“ seine Gäste.

Berlin wirkt mancherorts wie ein Disney-Park. Ausländische Touristen lassen sich am Pariser Platz mit Schauspiel-Soldaten ablichten und bereisen dann in wenigen Etappen das Jahrhundert deutscher Katastrophen, vom Reichstag über das Holocaust-Mahnmal, vorbei am Ort des Führerbunkers, zum Preußischen Landtag und zu Görings Reichsluftfahrtministerium bis hin zu Checkpoint Charlie oder dem Jüdischen Museum. Rund 70 Prozent der Besucher bewegen sich auf dieser Route, hat eine Befragung der Topographie ergeben. Vielen wird dabei ganz mulmig, wie John und Sandra aus Australien. Nach Jüdischem Museum, Reichstag und Gedächtniskirche brauchen sie dringend eine Verschnaufpause. „Die Frau im Bus spricht zu schnell. Sehr viel Information, die wir noch nicht verdaut haben“, sagt Sandra und lächelt tapfer.

Außerhalb der Innenstadt könnte man ruhiger durch die Vergangenheit flanieren, doch zur Zwangsarbeiter-Gedenkstätte nach Schöneweide, ins Haus der Wannsee-Konferenz oder in den Stasi-Knast nach Hohenschönhausen schaffen es nur wenige. Ein großes Werbeplakat versucht am Checkpoint Charlie, die Mauertouristen nach Hohenschönhausen zu locken, zur „Endstation zahlloser Fluchtversuche aus der DDR“.

Andreas Nachama, Chef der Stiftung Topographie des Terrors, hat keine Probleme damit, die Geschichte des NS-Staats im Schatten der Mauer aufzuarbeiten. „Die Mauer ist ja auch eine Folge des Zweiten Weltkriegs.“ Probleme, sich historisch korrekt zu orientieren, hätten allenfalls asiatische Touristen, die weder Deutsch noch Englisch verstehen. Nachama vermisst kein weiteres Gedenkstättenkonzept. „Die Leute wollen die Stadt selber erobern.“ Es gebe auch so etwas wie „museale Umweltverschmutzung“. Allenfalls punktuell sieht Nachama Erinnerungsdefizite, etwa auf Schwanenwerder, wo Goebbels wilde Partys feierte, und am Flughafen Tempelhof. Auch ein stadtgeschichtliches Museum fehle Berlin.

Laurenz Demps, emeritierter HU-Professor für Landesgeschichte, argumentiert schärfer. „Die reiche Geschichte Berlins wird Privatinitiativen und Heimatmuseen überlassen. Das ist politisch gewollt.“ Von den einst vier Lehrstühlen für Berliner Landesgeschichte sei keiner mehr übrig. „Am Reichstag wird nicht mal an Scheidemann erinnert, der die Republik ausrief.“ Immerhin gibt es die „Geschichtsmeile“ Wilhelmstraße, doch die Tafeln zur Regierungszentrale der Vorkriegszeit stehen inzwischen abseits der Touristenströme und seien „dringend erneuerungsbedürftig“, sagt Demps.

An der Voßstraße, wo einst Hitlers Neue Reichskanzlei den Blick verstellte, herrscht gähnende Informationsleere. Dieser Gedenklücke hat sich das Restaurant „Peking Ente“ angenommen. Auf einer roten Tafel mit der Aufschrift „Berlin Voßstraße History“ sind die historischen Orte von Reichskanzlei, Führerbunker, Wertheim-Kaufhaus und Tresor-Club zu finden. Und die Voßstraße 1, aktueller Standort der „Peking-Ente“.

Am Ort des Führerbunkers drängen sich Touristengruppen um die Infotafel des Vereins Berliner Unterwelten. Sonst gibt es hier nur Plattenbauten und Parkplätze. Alexej, russischer Diplomat, ist von der Banalität des Ortes überwältigt und lässt gleich ein Foto machen, wie er auf dem Parkplatz über dem Bunker steht.

Im Schatten der Mauer verkümmern Ereignisse, die weit länger zurückliegen, aber bis in die Gegenwart hineinreichen. Die Revolutionen von 1848 und 1919 als Wegmarken zur Demokratie. Am Brandenburger Tor durfte die 48er-Revolution einem Platz den Namen geben, mehr nicht. Und wo in Berlin hat sich die Revolution 1918/19 ereignet? Das Schloss, respektive Humboldtforum, wäre vielleicht ein geeigneter Platz für ein Fenster in die Vergangenheit, aber kann ein Neubau als authentischer Erinnerungsort dienen?

Aber vielleicht ist es so, wie Jörg Zintgraf vom Stadtführer-Büro „Stattreisen“ meint. Berlin als „historischer Flickenteppich“, vielschichtig und zerrissen, sei durch seine „Undefiniertheit“ geprägt. Das ist die Geschäftsgrundlage der vielen Touren zu immer neuen Themen. Interessant seien die Zusammenhänge, nicht die Orte selbst. Spannender als Texttafeln findet er künstlerische Denkzeichen, wie das Mahnmal zur Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz. Am eindrucksvollsten ist immer noch, Geschichte selber zu erforschen, wie die Archäologen, die jetzt die Alte Mitte umgraben. Die Vertreter der Bewegung „Geschichte von unten“, damals im alten West-Berlin, gaben noch das Motto aus: „Grabe, wo du stehst.“

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