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Berlin: Gefährliches Niesen

20000 Menschen starben in der vergangenen Saison an der Grippe. Soll die Impfung zur Pflicht werden? Ein Pro & Contra

Einen positiven Nebeneffekt hat die Angst vor der Vogelgrippe: Die Bereitschaft, sich gegen die normale, jährlich wiederkehrende Influenza impfen zu lassen, ist gestiegen. „Die Impfmüdigkeit der vergangenen Jahre ist definitiv vorbei“, sagt der Internist Wolfgang Mitlehner, der seine Praxis in Tiergarten hat. Auch der Wilmersdorfer Kinderarzt Martin Karsten freut sich über die Nachfrage: Er habe bereits das Zehnfache an Impfdosen verbraucht wie im letzten Jahr. Durch die Impfungen könne diese gefährliche Erkrankung zurückgedrängt werden.

Tatsächlich sterben in Deutschland Jahr für Jahr durch die Influenza tausende Menschen – allein die Saison 2004/2005 kostete nach Schätzungen des Berliner Robert-Koch-Institutes (RKI) bis zu 20 000 Menschen das Leben. Meist sind es besonders geschwächte Personen, sehr alte oder durch Vorerkrankungen immungeschwächte Patienten, die eine Infektion nicht überstehen. Eine Schutzimpfung könnte ihnen das Leben retten. Doch bisher war die Bereitschaft zur Immunisierung gering. Die Impfungsrate lag nach einer Studie des RKI aus dem Jahr 2004 bei 24 Prozent – zu wenig, um die Ausbreitung der Influenzaviren in der Bevölkerung zu stoppen. In den USA beträgt die Impfungsrate für Influenza dagegen 70 Prozent.

Eine so hohe Rate hätte neben den geretteten Leben noch einen zweiten Vorteil, nämlich im Kampf gegen ein möglicherweise mutiertes Vogelgrippe-Virus, das weltweit Millionen Menschen töten könnte. Zwar verhindert die Immunisierung gegen die normale Influenza eine Erkrankung an einer mutierten Vogelgrippe nicht, weil es ein anderer Virustyp ist. Trotzdem mache eine flächendeckende Grippeimpfung im Kampf gegen die Vogelgrippe Sinn, sagt Norbert Suttorp, Infektologie-Chef an der Charité. Denn so könne vermieden werden, dass man sich mit beiden Grippearten infiziere und dem Vogelgrippe-Erreger die Chance gibt, sein Erbgut mit dem der Humangrippe zu verschmelzen. Denn Menschen, sagt Suttorp, „sind ein hervorragendes Mischgefäß für das Virus“. Und was dabei herauskäme, wäre ein Killervirus: so tödlich wie die Vogelgrippe und so leicht übertragbar wie die Humangrippe – einmal anniesen genügt.

Trotz dieser Vorteile einer flächendenckenden Immunisierung: Suttorp befürwortet Aufklärung statt Impfflicht. „So etwas wäre ein Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürger, das müsste sehr gut begründet werden.“ Außerdem gibt es da auch juristische Probleme: Wer sollte eine solche Pflicht durchsetzen, welche Sanktionen sollten angedroht werden? In Deutschland gibt es keine Impfpflicht, sondern lediglich Empfehlungen der „Ständigen Impfkommission“ (Stiko), die in diesem Jahr aktualisiert wurden. Zu den empfohlenen Immunisierungen gehört auch die gegen Influenza, zumindest für besonders gefährdete Risikogruppen: Menschen über 60 zum Beispiel.

Eine Impfpflicht bei Influenza würde derzeit aber nicht nur auf juristische Probleme stoßen: Im Moment ist die Nachfrage so hoch, dass es in Berlin zu Engpässen bei der Versorgung mit dem Impfstoff kommt. In der Senatsverwaltung für Gesundheit sieht man das aber gelassen. Der Impfstoff werde wie in anderen Jahren auch nachproduziert. Ab Oktober stehe wieder genügend Impfstoff bereit, hieß es. Und die Grippesaison beginnt erst im Februar – genug Zeit also, sich schützen zu lassen.

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