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Berlin: Gefängnisse voll: Haft-Rabatt für Straftäter

Die Justiz nennt es „Ventilfunktion“. Männer, die wegen einer Geldstrafe sitzen, kommen nach der Hälfte der Zeit frei. Für Frauen gilt das nicht

Kein Platz mehr hinter Gittern: Viele Berliner Gefängnisse sind überbelegt. Der Senat gibt bestimmten Straftätern mittlerweile eine Art Armutsrabatt: Statt 60 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe müssen nur 30 abgesessen werden. Armutsrabatt deshalb, weil nur Straftäter betroffen sind, die ihre Geldstrafe nicht bezahlen können. Grundlage dafür ist eine Anordnung der Justizverwaltung, die seit dem Frühjahr gilt. Denn die Justiz ist auch arm – an Haftplätzen. Den Rabatt bekommen nur männliche Straftäter, denn die Frauengefängnisse sind nicht überbelegt. Und: Wer sich entschließt, eine Geldstrafe durch Arbeit abzutragen, muss die volle Zahl der Tagessätze leisten; wer die Zeit einfach nur absitzen will, darf nach der Hälfte raus.

„Diese Regelung gibt es“, bestätigte Justiz-Sprecher Björn Retzlaff gestern. „Nach der Hälfte der Zeit wird der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt“. Das bedeute aber auch: Wer binnen eines Jahres wieder straffällig wird, muss den Rest doch noch absitzen. „Die Regelung erfüllt eine Ventilfunktion“, sagte Retzlaff. Sie sei eine Notlösung und gelte nur, solange die Gefängnisse überbelegt seien. Das sei meist im Sommer der Fall; zum Herbst sinke die Belegungszahl, und dann komme auch bald die Weihnachtsamnestie.

Die Regelung diene dazu, Platz zu schaffen, sagte eine Mitarbeiterin der Justizverwaltung: „Wir haben eine erhebliche Überbelegung im geschlossenen Männervollzug.“ Bei jenen, die Ersatzfreiheitsstrafen verbüßen, sei die vorzeitige Entlassung am ehesten möglich, denn hier gehe es nur um Straftaten im unteren Bereich der Kriminalität. „Es ist sichergestellt, dass keine gefährlichen Straftäter entlassen werden.“

Durch den Armutsrabatt sind bisher rund 300 Haftplätze freigemacht worden. Frauen kommen nicht in den Genuss der Regelung, weil in ihren Gefängnissen kein Notstand herrscht. „Wir dürfen die Frauen gar nicht entlassen, denn es müssen Gründe vollzuglicher Art vorliegen, die diese Maßnahme rechtfertigen“, heißt es aus der Justizverwaltung. Überbelegung sei ein solcher Grund, und der liege bei den Frauen eben nicht vor. Weil aber der Justizverwaltung auch aufgefallen ist, dass diese Benachteiligung der Frauen nicht gerecht ist, gibt sie Frauen oft die Vergünstigung auf dem Gnadenwege.

Wer arbeiten will, bekommt keine Ermäßigung. Darin sieht Retzlaff kein Problem. Wer es vorziehe, die Hälfte der Zeit im Gefängnis zu verbringen, dem stehe das frei. „Arbeit statt Strafe“ funktioniere ohnehin nicht bei allen Tätern, sondern nur bei jenen, die sich dafür entschieden hätten.

Das Problem der Überbelegung wird sich so bald nicht lösen lassen. In Berlins Gefängnissen teilen sich 5434 Inhaftierte die vorhandenen 4958 Plätze, und die Zahl der Gefangenen wächst. Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) ist für den Bau eines neuen Gefängnisses bei Großbeeren; diesen Plan gab es auch schon unter der großen Koalition. In der Koalitionsvereinbarung wurde er vorerst beerdigt. Die Anstalt werde in dieser Legislaturperiode nicht gebaut, steht da. Gegen die Überbelegung müsse mit anderen Mitteln vorgegangen werden: Haftvermeidung, mehr „Arbeit statt Strafe“, mehr Entlassungen zur Bewährung, mehr Abschiebungen ausländischer Straftäter. Nur das Krankenhaus des Gefängnisses Plötzensee soll einen Neubau erhalten. Das macht rund 100 Haftplätze in Moabit frei, die jetzt durch Kranke blockiert werden. Im Jahr 2006 soll der Neubau in Betrieb gehen.

Fatina Keilani

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