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Berlin: Geiseldrama im U-Bahnhof Kottbusser Tor: Polizei befreite Dreijährigen in letzter Minute

BERLIN .Nach einer spektakulären mehrstündigen Geiselnahme ist gestern ein dreijähriger Junge gerettet worden.

BERLIN .Nach einer spektakulären mehrstündigen Geiselnahme ist gestern ein dreijähriger Junge gerettet worden.Er trug nach ersten Meldungen lediglich eine leichte Schnittwunde am Mund davon.Der algerische Geiselnehmer wurde gegen 18 Uhr überwältigt.Er erlitt nicht näher beschriebene Verletzungen.Der vermutlich geistig verwirrte junge Mann hatte den Jungen um 11 Uhr 30 auf dem U-Bahnhof Kottbusser Tor wahllos in seine Gewalt gebracht und mit einem Messer bedroht.Ob die Tat mit ernsthaften politischen Forderungen verbunden war, blieb bis zum Abend unklar.Der Mann verlangte jedenfalls einen Kontakt zur fundamentalistischen Islamischen Heilsfront (FIS) in Algerien.Nach dem Verbrechen auf dem Bahnhof stellte die BVG drei U-Bahnlinien ein.Das führte den ganzen Tag über zu chaotischen Verkehrsverhältnissen in der Stadt.

Aus heiterem Himmel war die Gewalttat ausgebrochen.Gegen 11 Uhr 30 entriß der 25 bis 30 Jahre alte Algerier der Mutter im Gedränge vor einem Fahrkartenschalter das Kind und setzte ihm ein langes Messer an den Hals.Dann hockte er sich mit dem Jungen im Schoß an einen Kartenautomaten.Kurz darauf blinkten die Blaulichter um das Kottbusser Tor: Polizei, Rettungswagen, Notarztwagen, Spezialeinsatzkommandos rückten an.Der U-Bahnhof wurde weiträumig abgesperrt.

Die erste Forderung des Geiselnehmers lautete auf ein Flugticket nach Algerien.Dies führte zu einer spontanen Geldsammlung unter den ersten Polizisten am Tatort.Sie sammelten etwa 300 Mark für ein Ticket.Der Mann lehnte das Geld aber ab.Später verlangte er nach zunächst unbestätigten Berichten einen Kontakt zur islamistischen FIS und forderte die Freilassung eines Häftlings, wobei unklar blieb, ob dieser in Deutschland oder Algerien einsitzen sollte.Auf dem U-Bahnhof traf kurzzeitig auch der algerische Generalkonsul ein, er sprach aber nicht mit dem Geiselnehmer.

Gesprächskontakt hatte allerdings ein Polizeipsychologe, den der Täter bis auf drei Meter an sich heranließ.Sein Zustand wurde als extrem unterschiedlich geschildert: Einmal aggressiv, ein andermal ruhig.Auf jeden Fall habe der Mann einen verwirrten Eindruck gemacht.Ein Polizist schätzte ihn sogar so ein: "Er scheint mit dem Leben abgeschlossen zu haben"

Dafür sprach auch, daß der Mann für 17 Uhr 05 ein Ultimatum setzte, um den gewünschten Kontakt zur FIS zu erhalten.Andernfalls wollte er den Jungen angeblich töten.Dafür hatte er sich sogar für 17 Uhr 05 einen Wecker gestellt.Als dieser klingelte, konnten ihn Polizisten aber erneut in ein Gespräch verwickeln.Kurz darauf überwältigte ein SEK den Mann.Er erlitt dabei Verletzungen, "die zur Zeit nicht näher bezeichnet werden können".

Zuletzt war es im Januar vergangenen Jahres zu einer Geiselnahme in Berlin gekommen.Ein geistesgestörter Bosnier hatte 33 Personen in einem Flugzeug auf dem Flughafen Tegel in seine Gewalt gebracht.Er zwang den Piloten des Fluges nach Wien zur Umkehr, um seine Abschiebung zu verhindern.Im September vergangenen Jahres wurde der Mann zu einer Haftstrafe in Höhe von sieben Jahren verurteilt und in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht.

Die Mutter rief

"Der Mann will meinen Sohn!"

Ein Augenzeugenbericht

Gegen 11.30 Uhr waren im Zwischengeschoß des U-Bahnhofs Kottbusser Tor etwa fünfzig Fahrgäste unterwegs.Einige von ihnen wurden Zeugen einer lautstarken Auseinandersetzung zwischen einem Mann und Frau, die sich erst später als der Beginn der Geiselnahme herausstellte.Eine Augenzeugin berichtet

"Es gibt Tage, an denen das Geschehen am Kottbusser Tor weitaus bedrohlicher wirkt: Gegen 11 Uhr 30 drücken sich nur einige Junkys und Alkoholiker in der Bahnhofshalle herum.Eine Frau steht mit ihrem kleinen Sohn neben dem Fahrkartenschalter in der Zwischenetage, als ein ausländisch aussehender Mann mit einer weißen, arabischen Kopfbedeckung auf sie zutritt.Es ist nicht genau zu erkennen, doch der ungefähr 30 Jahre alte Araber scheint auf die offenbar deutsche Frau einzureden und am Arm des Kindes zu zerren.Denn plötzlich hört man die Mutter in erstauntem Ton protestieren: "Das ist mein Sohn", dann lauter und alarmiert: "Der Mann will meinen Sohn..."

Zwei BVG-Beamte und vier oder fünf türkische Männer eilen der Frau zur Hilfe - ein auf dem U-Bahnhof Kottbusser Tor alltäglicher Streit wirkt geschlichtet.Die zunächst stehengebliebenen Fahrgäste verteilen sich allmählich auf die Bahnsteige, wo sie nun zu Ohrenzeugen des weiteren Geschehens werden: Erst hören sie den Araber brüllen, dann folgt das ausländische Stimmengewirr mehrerer Männer - schließlich tritt Stille ein."Jetzt haben sie den Kerl endlich abgeschleppt", mutmaßt eine Frau auf dem Bahnsteig während der Zug einfährt.Eine andere schimpft beim Einsteigen: "Das wird doch immer verrückter hier."

Wenige Minuten später rückt die Polizei wegen einer Geiselnahme am Kottbusser Tor zum Großeinsatz aus.

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