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Berlin: Geister schüren AUF DEUTSCH GESAGT

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Wenn Politiker reden, dann wollen sie für ihre Anliegen werben. In der Regel. Manchmal aber drücken sie sich um klare Worte, weil es den Wähler verprellen könnte. Wie Politiker sprechen, und was sie wirklich meinen – alle zwei Wochen von Brigitte Grunert.

Migration, Integration, Einbürgerung, Ausgrenzung, Flüchtlingsnöte – die Ausländerpolitik ist bekanntlich ein weites Feld. Klar, dass Integration mit der Kenntnis der deutschen Sprache, mit Schul und Berufsbildung zu tun hat. Daran hapert es. Wieder einmal beklagten es alle am Donnerstag im Abgeordnetenhaus. Doch es war direkt ein Witz. Kaum hatte Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) das Sprachübel von „Migrantinnen und Migranten“ samt Kindern beklagt, leistete sie sich selbst einen Sprachschnitzer. Die Senatorin unterstrich die Bemühungen um Ausbildungsplätze „entsprechend des Bedarfs“. Das war kein Versprecher, denn sie las ihren Redetext vor. Offensichtlich war sie sich des falschen Genitivs nicht bewusst.

Gemäß dem Regelwerk der Grammatik ist es nun einmal so, dass die Präpositionen jeweils bestimmte Fälle regieren. Man muss es bloß wissen. Entsprechend und gemäß schreien sie nach dem Dativ. Folglich geht es um Ausbildungsplätze entsprechend dem Bedarf und nicht etwa entsprechend des Bedarfs. Nichts gegen Individualismus, aber alles hat Grenzen. Regeln dienen schließlich der Verständigung.

Schade, dass sich denkende Menschen dessen nicht bewusst sind. „Hier sehen Sie, wie sich die Wetterfront entgegen des Uhrzeigersinnes dreht“, erläuterte neulich im Fernsehen der Sprecher des Wetterberichts ein Satellitenbild. Ich traute meinen Ohren nicht. Tatsächlich, er sagte es ein zweites Mal. Entgegen seiner Behauptung drehte sich die Wetterfront natürlich entgegen dem Uhrzeigersinn, weil entgegen ebenfalls mit dem Dativ steht.

Nur bei weiblichen Substantiven fallen solche Fehler nicht auf, denn da lauten Genitiv und Dativ im Singular gleich: Die Behauptung, der Behauptung, der Behauptung, die Behauptung. Bei männlichen und sächlichen Hauptwörtern muss man sich schon bequemen, den Unterschied zu beachten: Der Uhrzeigersinn, des Uhrzeigersinnes, dem Uhrzeigersinn, den Uhrzeigersinn. Doch selbst ein Pfarrer im Dom legte kürzlich in seiner Predigt der Gemeinde ans Herz: „Wir wollen… innehalten und uns Zeit nehmen, den Opfern von Gewalt und Terror zu gedenken.“ Oh heilige Andacht! Er muss doch wissen, dass einige Verben weder den Dativ noch den Akkusativ, sondern allein den Genitiv vertragen. Die Gemeinde gedachte also der Opfer.

Fein, dass sich das Abgeordnetenhaus der Integrationsfragen annimmt. Doch von Parlamentariern, die ihrer Sprache nicht Herr sind, weiß man kaum, ob sie wissen, was sie wollen. Ein Beispiel sei herausgegriffen. Vielleicht wollte der Abgeordnete Thomas Kleineidam (SPD) sagen, dass Integration auch dem inneren Frieden dient und dass man durch Versäumnisse die Geister ruft, die man nicht mehr los wird. Er bekundete jedoch: „Wir schüren die Geister, die wir alle miteinander nicht wünschen.“ Viel Spaß beim Schüren der Geister mit dem Feuerhaken. Zuletzt mahnte er zur Lösung der „von mir angerissenen Probleme“. Da muss den Zuhörern doch der Geduldsfaden reißen.

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