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Berlin: Gekreuzigt im Namen der Kirche

Mit einem provozierenden Theaterstück erinnern junge Wilmersdorfer Christen an die Pogromnacht

Schluss mit dem Gelaber, jetzt wird gekämpft. „Wahres Christentum ist nichts für Schwächlinge“, predigt Pfarrer Nicolas Tech, „nur ein persönlicher, starker Glaube ist wie Stahl, das im Feuer geglüht und gehärtet ist“. Techs Predigt trägt den Titel „Der Christ im Kampf“. Er wird sie am heutigen 9. November in der Hochmeisterkirche in Wilmersdorf halten. Das Christentum, heißt es darin, müsse alles Schwache aussondern, zum Beispiel „judenblütige Menschen“. „Die Protestanten müssen das Judentum überwinden wie Luther den Katholizismus überwunden hat.“

Nicolas Tech ist 24 Jahre alt und studiert angewandte Medienwissenschaft. Auch im schwarzen Talar fühlt er sich wohl. Eben noch ist er damit draußen vor der Kirchentür herumgetanzt, jetzt schreitet er würdevoll zur Kanzel. Es ist Freitagabend vergangener Woche, Generalprobe für den besonderen Gottesdienst zur Erinnerung an die Pogromnacht vom 9. November 1938. Tech und weitere 25 junge Männer und Frauen von der evangelischen Jugend in Wilmersdorf haben recherchiert, diskutiert und geprobt. Herausgekommen ist das Theaterstück „Glauben macht frei“. Die Jugendlichen spielen einen evangelischen Gottesdienst aus den 30er Jahren nach. Sie wollen zeigen, dass auch die evangelische Kirche zum Holocaust beigetragen hat. Die Predigt „Der Christ im Kampf“ haben sie im Archiv gefunden. Sie wurde in den 30er Jahren in der Hochmeisterkirche gehalten. Nur eine Minderheit der evangelischen Christen gehörte damals zur Bekennenden Kirche und widersetzte sich der NS-Ideologie. Die Mehrheit der Gemeinden zählte sich zu den hitlertreuen Deutschen Christen – auch die Hochmeisterkirche in Wilmersdorf.

Zu Beginn des inszenierten Gottesdienstes gibt es Tumult am Eingang: Die getauften Juden, erkennbar an den gelben Sternen auf ihren Jacketts, werden an der Kirchentür abgewiesen. Erst nachdem der Gottesdienst begonnen hat, lässt man sie herein. Als sie sich in die Kirchenbank setzen wollen, schließen sich die Reihen vor ihnen. „Du Jude“ rufen auf einmal gespielte brave Christen einem jungen Schwarzen nach, der ebenfalls einen gelben Stern trägt. Er wird in den Chorraum gezerrt, stolpert über die Altarstufen, fällt hin, wird hochgezogen, eine Leiter hinauf. Dann binden sie ihn mit den Armen am Kreuz fest. Der Jude wird gekreuzigt – während die anderen Schauspieler das Glaubensbekenntnis sprechen. Kaum hängt der junge Mann da oben, hört man die Geräusche eines Zuges. „Auschwitzzug“ steht in den Regieanweisungen.

Wie bitte? 2011 wird in einer Kirche symbolisch ein Jude gekreuzigt? „Wir wollen deutlich machen: Vor 2000 Jahren wurde der Jude Jesus ans Kreuz geschlagen. Im Holocaust haben wir ihn nochmal gekreuzigt und die Kirche hat kräftig daran mitgewirkt“, sagt Sabine Maaß vom Amt für evangelische Jugendarbeit in Wilmersdorf. Sie hatte die Idee zu dem Theaterstück. Vor einigen Jahren war sie mit den Jugendlichen in Auschwitz. Da hätten sie gelesen, wie sich die Juden „wie Lämmer zur Schlachtbank“ haben führen lassen. „Wir arbeiten bewusst mit Schockeffekten“, sagt Nicolas Tech. „Die zuweilen betuliche Gedenkatmosphäre braucht Momente, in denen die Leute aufgerüttelt werden.“ Die anderen nicken. Dass ausgerechnet Jeremy Edou den Gekreuzigten spielt, der einzige junge Mann in der Jugendgruppe mit schwarzer Hautfarbe, soll den Assoziationsbogen in die Gegenwart spannen. Und wie fühlt es sich an, als Schauspieler gekreuzigt zu werden? „Ist schon okay“, sagt Edou.

Harald Grün-Rath, der Wilmersdorfer Superintendent, findet es gut, dass am 9. November auch die Schuld der Kirchen zum Thema wird. Die Kreuzigungsszene hält er jedoch für ein „bisschen problematisch“. Über viele Jahrhunderte habe die Kirche den Juden die Schuld am Tode Jesu gegeben – obwohl eindeutig die Römer dafür die Verantwortung trugen. Es müsse auf jeden Fall der Eindruck vermieden werden, dass die Juden schuld seien an der Kreuzigung, sagt Grün-Rath. Auch dass man den Holocaust nachspiele, und sei es nur symbolisch, findet er „nicht so toll“.

Weniger Bedenken hat Maya Zehden. Sie ist Sprecherin der Jüdischen Gemeinde und war jahrelang Geschäftsführerin der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Die symbolische Kreuzigung eines Juden im Rahmen eines Theaterstücks sei zwar drastisch. „Aber eine konsequente Auseinandersetzung ist besser als eine, die rein politisch korrekt ist.“ Außerdem neigten junge Leute nun mal zu drastischen Mitteln.

„Glauben macht frei“ wird gespielt am 9. und 10.11., 19 Uhr, Hochmeisterkirche, Westfälische Str. 70A in Wilmersdorf.

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