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Berlin: Geliebte Kriegsruine

Die Besucher mögen das Naturkundemuseum – auch wenn es an allen Ecken bröselt und bröckelt

Leute, die es gut meinen, sagen, das Haus habe Patina. Andere, die weniger diplomatisch sind, sagen, das Haus sei ein totaler Sanierungsfall. Wenn nicht bald etwas geschehe, stehe das Naturkundemuseum mit seiner weltberühmten Sammlung vor dem sicheren Aus.

An den Besuchern kann es nicht liegen. Die lieben das Museum. 250000 kommen jährlich, auch am Donnerstag waren die 16 Säle wieder voll. Vor allem viele Jugendliche und Kinder waren da. Doch die Einnahmen decken bei weitem nicht die Kosten des Hauses. Und das Geld reicht selbstredend nicht aus, um die nötige Renovierung auch nur in Etappen anzugehen. Weitere Einnahmen, die etwa durch Gala-Dinners unter der Gerippen der Dinosaurier hereinkommen, reichen auch nicht. Rund 110 Millionen Euro müssten es sein, um das Haus an der Invalidenstraße in Mitte so herzurichten, dass es einem modernen Museum entspricht.

Das Naturkundemuseum ist bis heute eine Kriegsruine. Von den 10000 Quadratmetern Fläche sind nur zwei Drittel nutzbar. Überall abgerissene Dachpappe an Mauern und Zinnen, Regenwasser kann leicht eindringen. Am Seiteneingang gibt es nur ein Behelfs-Gitter aus Holz an den Stufen. Der Ostflügel, in den im Zweiten Weltkrieg eine Bombe einschlug, ist in den letzten Kriegstagen eingestürzt und wurde nie wieder aufgebaut. Zerborstene Fensterrahmen, abgestürzte Decken, nackte Träger – das alles sieht so aus, als wäre die Beschädigung erst wenige Jahre alt, wenn aus der Ruine nicht schon veritable Pappeln und Birken herauswachsen würden.

Auch innen merkt jeder, der etwas genauer hinschaut, dass in das Museum in den vergangenen Jahren viel zu wenig investiert worden ist. Dicker Staub liegt auf Stuck und Zierwerk. Die Dächer sind zwar geflickt, an den Fenstern aber blättert der Lack und fällt der Kitt aus den Fugen. Feuchte Stellen im Treppenhaus, Stromkabel sind nur provisorisch verputzt – das alles sieht nicht besonders einladend aus. Eine neue Heizung müsste her, auch eine Klimaanlage, bei modernen Museen längst Standard, ist für das Haus noch Zukunftsmusik. Viele Exponate, aber auch andere Ausstellungsstücke aus der insgesamt 25 Millionen Objekte umfassenden Sammlung des Museums, sind von Insektenbefall bedroht.

Nicht einmal für neue Schaukästen oder Erklärungstafeln ist Geld da. Zum Beispiel in der Mineralien-Abteilung. Da sind aus der Landkarte flugs die Abkürzungen „BRD“ und „DDR“ getilgt worden – die ehemalige Grenze ist jedoch immer noch da. Oder das Licht in manchen Vitrinen: nackte Neonröhren, deren Strom aus der für jedermann zugänglichen Steckdose nebenan kommt. Der Stecker sieht alt, grau und nicht vertrauenserweckend aus – nur ein Aufkleber beruhigt: „Letzte technische Überprüfung: Januar 2003“. Na denn.

Es braucht aber nicht nur viel Geld, um das Naturkundemuseum zu retten. Auch eine neue Organisationsstruktur soll her. Am Donnerstag trat der Verwaltungsrat des Museums zusammen, um einen neuen Generaldirektor für das Haus zu suchen. Bislang ist das Museum ein Zentralinstitut der Humboldt- Universität und folgt zuerst akademischen Regeln. Statt eines Chefs gibt es drei Leiter, und alle sind Professoren. Jürgen Mlynek, Präsident der Humboldt-Universität, sagte: „Für mich hat das Naturkundemuseum immer Priorität gehabt.“ Gleich nach seinem Amtsantritt hatte er eine Expertenkommission eingesetzt, die nach Lösungen für das marode Haus suchen sollte. Eine der Empfehlungen: ein Generaldirektor.

Dieser kann alleine aber auch nicht die nötigen Millionen beschaffen. Senat und Universität hoffen auf Millionen von der Europäischen Union. Die fließen aber nur, wenn zudem ein gleich hoher Zuschuss vom Land fließt. Und das ist illusorisch.

Wie schön und einladend das Museum insgesamt sein könnte, zeigt die renovierte und neu eingerichtete Abteilung, in der die Präparation veranschaulicht wird. Neue Vitrinen mit Halogenspots machen den Raum hell, die Möbel sind einheitlich, Erklärungstafeln sind umfangreicher, aber auch gut zu lesen – nicht nur, weil sie besser beleuchtet sind. Die meisten anderen Säle hingegen sind dunkel, die Fenster mit schweren Vorhängen zu, die Deckenleuchten ausgeschaltet.

Die Besucher hält das alles nicht ab. Sie kommen in Scharen. So lange es das Haus noch gibt.

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