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Berlin: Gemeinsam über die Mauer

Arbeitslose Jugendliche werden in der Türkei fit für den Job

Die Mauer in den Köpfen zwischen türkischen und ostdeutschen Jugendlichen ist besonders hoch. Das soll sich jetzt ändern. „Interkulturelles Praktikum zur Integration und innere Einheit“, heißt ein Projekt, das vom EU-Jugendprogramm gegen Fremdenfeindlichkeit „Xenon“ und den Arbeitsämtern Berlin, Hamburg und Rostock finanziert wird. Am Anfang stand die Idee der Türkischen Gemeinde in Deutschland, arbeitslose deutsche Jugendliche aus Ost und türkischstämmige Jugendliche aus West zusammenzubringen, um Vorurteile und Ängste abzubauen. Jetzt besuchen sie sechs Wochen lang gemeinsam Lehrgänge zur Berufsvorbereitung und absolvieren Praktika in Deutschland und sechs Wochen lang in der Türkei. Die ersten 34 Jugendlichen – 15 deutsche und 20 türkische –, die dieses zwölfwöchige Programm durchlaufen haben, kamen am Freitagabend in Berlin zusammen.

Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (Bündnis90/Die Grünen), überreichte ihnen dort im Rahmen einer Feier bei Döner und einem türkischen Buffet die Zertifikate. Sie bescheinigen den Jugendlichen interkulturelle Kompetenz, Auslandserfahrung und eine hohe Ausbildungsbereitschaft. Denn es gehört etwas Mut dazu, wenn ein Jugendlicher ohne Schulabschluss und Lehrstelle bereit ist, ins Ausland zu fahren. Allein bei diesem Durchgang haben 22 Berliner Jugendliche, von Gropiusstadt bis Hellersdorf, mitgemacht. Die Investition scheint sich jedoch gelohnt zu haben. „Es sind Freundschaften zwischen Kreuzbergern und Hellersdorfern entstanden“, versicherte der 18-jährige David Nickel. Der Lichtenberger hatte lange überlegt, ob er mitmachen soll. Aber letztendlich überwog die Neugier auf eine andere Kultur. Besonders habe ihn die Architektur der Stadt Bursa, wo er sein Praktikum machte, fasziniert. Jetzt möchte er in einer Immobilienfirma ein Praktikum machen.

Die Teilnehmer müssen nicht nur arbeitslos sein, sondern auch verstehen, was auf sie zukommt. Fünf Tage die Woche müssen sie in einem fremden Umfeld acht Stunden am Tag arbeiten, mit mehreren anderen Jugendlichen in einem Zimmer schlafen und sich absolut diszipliniert verhalten. Neun von den ursprünglich 43 Teilnehmern mussten schließlich wegen „Regelverstößen“ zurück. Nach den Lehrgängen und Praktika in Deutschland gibt es in Istanbul in der ersten Woche einen „Begegnungskurs“. Die türkischen Teilnehmer bringen dabei den deutschen Jugendlichen zum Beispiel etwas Türkisch bei. In Bursa, einer Stadt gegenüber von Istanbul auf der asiatischen Seite, machen sie anschließend vier Wochen lang in ausgesuchten Betrieben die Praktika. Zum Schluss fahren alle nach Antalya, wo sie auswerten, was sie gelernt und erlebt haben. „Spätestens an diesem Tag wurden alle Freunde“, sagte Projekt-Betreuer Ali-San Genc beim Resümee.

Geplant sind bis zum Abschluss des Projektes noch weitere vier Durchgänge. Deshalb waren bei der Feier am Freitag auch die nächsten Kandidaten geladen. Einer von ihnen ist Mohammed Ali Yerlikaya aus Schöneberg (19). Für ihn wird es interessant, weil er seit seinem neunten Lebensjahr nicht mehr mit seinen Eltern in die Türkei reisen wollte. „Ich fühlte mich dort wie ein Ausländer“, sagt er. Ein anderer Kandidat ist Matthias Volmer (18) aus Biesdorf. „Hey, Mohammed“, begrüßte er den neuen Kumpel. „Ich habe mich sofort gemeldet, als ich von dem Projekt erfahren habe“, sagte der junge Mann mit dem fast kahl geschorenen Kopf und den Springerstiefeln. „Früher hatte ich viele Vorurteile gegenüber Türken“, gesteht er. Jetzt aber wolle er Streetworker werden.

Suzan Gülfirat

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