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Berlin: Gemütlich in der Platte

Die Lichtenberger, die sind selbstbewusst“, sagt Zahnärztin Kirsten Falk. „Sehen Sie mich doch an!

Die Lichtenberger, die sind selbstbewusst“, sagt Zahnärztin Kirsten Falk. „Sehen Sie mich doch an!“ Sie gehört ganz offensichtlich nicht zu einem zerknirschten Völkchen, das mit seiner Plattenbau-Umgebung nicht im Reinen wäre. „Die Lichtenberger lieben ihren Kiez, die wollen nicht weg.“ Die 39-Jährige behandelt einmal die Woche ehrenamtlich bei der Betreuungseinrichtung „MUT“ Obdachlose am Ostbahnhof und am Bahnhof Lichtenberg. Das ist einzigartig und hat sie bundesweit bekannt gemacht. In den letzten Tagen ist sie mit ihrer eigenen Praxis umgezogen, vom „Mehrzweckwürfel“ an der Dolgenseestraße in das Erdgeschoss eines sanierten zehnstöckigen Plattenbaus an der Mellenseestraße. Dass ihr Patienten beim Umzug geholfen haben, zum Durchhalten Kaffee gekocht und immer wieder nach dem Rechten gesehen haben, das hat sie gerührt. Lichtenberg, ein gesichtsloses anonymes Plattenbauviertel, in dem man nicht wohnt? „Stimmt nicht, es gibt hier so viele Gesichter, es ist gemütlich und es hat Lebensqualität.“

Die Ärztin wohnt schon sehr lange in Lichtenberg, sieht hier ihre Heimat. Aufgewachsen ist sie in Prenzlauer Berg, in einem der Plattenbauten, die damals, vor der Wende, einen guten Ruf in Ost-Berlin hatten. Da lebten Professoren neben Putzfrauen, und in Lichtenberg ist das noch immer der Fall – zumindest gilt das für die ältere Generation. Kirsten Falk kennt Leute, die 30 Jahre in ein und demselben Haus wohnen. Auch das spricht für den Bezirk, meint sie. Leerstehende Wohnungen sind kein wirklich ernstes Thema. Nur in den ganz hohen Gebäuden, den über 20 Etagen hohen „Punkthochhäusern“, wechseln die Mieter häufiger. Wer wegzieht, bleibt aber in der Nähe. Die Wohnhäuser sind hell und saniert. Die Bäume der neuen Grünflächen sind stattlich emporgewachsen, die Gebäude drumrum machen einen gepflegten Eindruck. Lichtenberg besitzt eines der ältesten Neubaugebiete des Ostteils, es wirkt gewachsen und gereift.

Es könnte hier und da mehr Geschäfte geben, „aber viele Leute haben gar nicht das Geld, groß einzukaufen“, sagt Kirsten Falk. Aus ihrer Praxis weiß sie: Die Arbeitslosigkeit ist ein großes Problem.

Dass der Bezirk den „Bürgerhaushalt“ einführte, bei dem Lichtenberger über die Geldvergabe mitentscheiden konnten, ist gut angekommen. Sie freut sich, dass in der Umgebung so viele junge Leute wohnen, dass „kulturell eine Menge los“ und die Trabrennbahn Karlshorst als vielseitiger Veranstaltungsort entdeckt worden ist. Sie findet es gut, dass Graffiti schnell beseitigt wird, liebt den nahen Tierpark, der „für Familien mit Kindern ein großes Plus“ ist. Sie hat, wie viele hier, eine Jahreskarte. Die nutzt sie mit ihrer Tochter, sooft es geht.

Zur Praxis von Kirsten Falk zu kommen, ist für Ortsfremde nicht ganz leicht. Die Straßen hier haben die Macke, in alle Richtungen abzuzweigen. Die Sewan- und die Mellenseestraße wirken stellenweise wie ein Labyrinth. Wer hier nicht zu Hause ist, verirrt sich leicht. Lichtenberger sind nicht nur selbstbewusst – auch hilfsbereit.

Christian van Lessen

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