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Berlin: Genossen fordern Rücktritt: Sarrazin ist nicht mehr tragbar Protestwelle gegen Senator, der fünf Euro Mindestlohn für ausreichend hält

Zwei Tage vor SPD-Landesparteitag auch harte Kritik von Klaus Wowereit

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Wichtige Funktionäre der Berliner Sozialdemokraten fordern den Rücktritt – oder die Entlassung – des Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD). Auch beim Koalitionspartner, die Linke, wächst die Hoffnung, dass der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) nicht mehr lange seine schützende Hand über den bundesweit bekannten Sparkommissar hält. Wowereit hat Sarrazin gestern am Telefon schon mal sehr deutlich seine Meinung gesagt, und auf dem Wahlparteitag der Landes-SPD am Sonnabend wollen offenbar viele Genossen mit dem Senator abrechnen.

Ein Artikel im Politikmagazin „Cicero“hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Dort sagte der Senator auf die Frage, was sein persönlicher Mindestlohn sei: „Für fünf Euro würde ich jederzeit arbeiten gehen.“ Er meinte dies als Netto-Stundenlohn. Unter Berücksichtigung von Krankenversicherung und Sozialabgaben wären das 5,95 Euro brutto pro Stunde. Deutlich weniger als der gesetzliche Mindestlohn von 7,50 Euro, für den sich Rot-Rot in Berlin seit Juli 2007 auch mit einer Bundesratsinitiative stark gemacht hatte. Es müsse möglich sein, „von einer Vollzeittätigkeit ein menschenwürdiges Leben finanzieren zu können“, heißt es in der Begründung.

Trotz Unterstützung aus Bremen wurde die Initiative abgeschmettert, aber für SPD und Linke bleibt der flächendeckende Mindestlohn ein Thema, das im Bundestagswahlkampf 2009 eine wichtige Rolle spielen soll. Und für das sich auch Wowereit persönlich sehr engagiert. Der Regierende ordnete Sarrazins Fünf-Euro-Sprüchlein gestern als „abstruse Einzelmeinung“ ein. Senatssprecher Richard Meng sagte dann noch: „Solche Äußerungen machen einen verheerenden Eindruck in der Öffentlichkeit.“

Der Finanzsenator habe seine Äußerung im „Cicero“ nicht als Beitrag zur Mindestlohndebatte verstanden, bemühte sich gestern seine Sprecherin um eine Schadensbegrenzung. Das half aber nicht. In der SPD fielen die Reaktionen geradezu wütend aus. „Alle Sozialdemokraten setzen sich für 7,50 Euro ein, nur der Finanzsenator redet dummes Zeug“, sagte gestern der SPD-Bundestagsabgeordnete und Chef der Berliner Landesgruppe, Swen Schulz, dem Tagesspiegel. Dieser Finanzsenator sei „in einer sozialdemokratisch geführten Regierung trotz seiner Verdienste um den Landeshaushalt nicht mehr tragbar“. Da müsse was passieren, das werde Thema in der Generaldebatte auf dem Parteitag sein, kündigte der SPD-Politiker an.

Auch der SPD-Landeschef Michael Müller wird sich dem Vernehmen nach den Parteifreund Sarrazin in seiner Eröffnungsrede zur Brust nehmen. Für Mark Rackles, Sprecher des starken linken Flügels in der Landes-SPD, ist der Senator schon passé. „Mit jeder neuen Äußerung macht er sich entbehrlicher für Berlin.“ Zu einem „gewissen Zeitpunkt“ werde festgestellt, dass der „politische Hasardeur“ Sarrazin mehr Schaden anrichte als der Finanzsenator gut machen könne, sagte Rackles. Über den geeigneten Zeitpunkt werde der Regierungschef Wowereit entscheiden müssen.

Für die SPD-Linke, so Rackles, gelte jetzt schon: „Je früher Sarrazin geht, desto besser“. Das meinte auch die Juso-Landeschefin Anne Knauf: „Sarrazin schädigt das öffentliche Ansehen der SPD und schwächt ihre Verhandlungsposition im Ringen um den Mindestlohn.“ Er solle den Hut nehmen, wenn er das nicht verstehe. Es sei ja nicht das erste Mal, dass er sich im Ton vergreife. Wowereit solle sich von Sarrazin trennen.

Der Regierende Bürgermeister hat gestern auch mit Sarrazin telefoniert, um ihn nach dessen umstrittener Äußerung streng abzumahnen. In Koalitionskreisen wird vermutet, dass der Geduldsfaden Wowereits bald reißen wird. Derweil betrachtet der Landeschef der Linken, Klaus Lederer, den Meinungsbildungsprozess beim Koalitionspartner interessiert. „Die SPD muss wissen, wie lange das Verhalten des Finanzsenators noch als typischer Sarrazin durchgeht, und wann es als neue Qualität eingestuft wird.“ Dieses Stadium ist wohl erreicht.

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