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Gentrifizierung: Anwohner im Graefekiez fürchten Verdrängung

Der Graefekiez wird zur bevorzugten Wohngegend – und die Mieten steigen. Der Druck auf Alteingesessene und Ärmere wächst. Eine Anwohnerinitiative will bedrängte Mieter unterstützen und die Mischung im Kiez erhalten.

Es hat einen Hauch von südländischer Kleinstadtidylle, und das mitten in Berlin. Radfahrer strampeln durch grün gesäumte Altbaustraßen, Eisdielen bieten italienische Spezialitäten, cooles Jungvolk mit Sonnenbrillen sitzt vor Straßencafés. Der Graefekiez im Süden Kreuzbergs ist für manche die Toskana von Berlin. Früher ein „Einfache-Leute-Kiez“, zieht das Gebiet zwischen Hermannplatz und Südstern heute eine besser verdienende Klientel an. Der Druck auf Alteingesessene und Ärmere wächst.

„Wir haben hier teils schon Mieten wie in Zehlendorf, und das bei Wohnungen von überwiegend einfacher Lage“, sagt Martin Breger von der Miet AG, einer im Graefekiez ansässigen Initiative. Die zehnköpfige Gruppe hat sich nach dem „Graefe-Gipfel“ im Frühjahr 2009 zusammengeschlossen um die Aufwertungstendenzen zu beobachten, bedrängte Mieter zu unterstützen und die Öffentlichkeit durch politische Arbeit und Kiezspaziergänge zu informieren. „Als erstes trifft es Rentner, Hartz-IV-Empfänger und das migrantische Gewerbe“, sagt Breger. „Wir kämpfen dafür, dass die schöne Mischung hier im Kiez erhalten bleibt.“

Im Graefekiez kommen mehrere Entwicklungen zusammen. Während die Bevölkerung in den anderen Kreuzberger Kiezen SO36 und Bergmannstraße relativ konstant blieb, stieg sie seit 2004 hier um 8,9 Prozent, berichtet die TOPOS-Studie 2008. Und obwohl der Kiez etwas wohlhabender ist als das Gebiet östlich des Kottbusser Tors, verdient der Kiezbewohner rund 25 Prozent weniger als der Bundesdurchschnitt. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 19 Prozent. „Das große Jobwunder ist hier ausgeblieben“, so Breger.

Die Zuzügler hingegen stehen überwiegend in Lohn und Brot. Für viele Westdeutsche und gut situierte Ausländer sind die Kreuzberger Wohnungen auch nach der Sanierung noch günstig. Dies wissen viele Vermieter – und drehen durch Mietsteigerungen, Umwandlungen in Eigentumswohnungen und opulente Sanierungen an der Kostenspirale. Die Miet AG hat errechnet, dass der durchschnittliche Quadratmeterpreis bei Neuvermietungen von Ein- bis Zwei-Zimmerwohnungen inzwischen bei 7,63 Euro liegt, rund 40 Prozent über dem Mietspiegelmittelwert. Für mittellose Künstler oder Hartz-IV-Empfänger gibt es kaum noch erschwinglichen Wohnraum.

In der Graefestraße werden in den Gewerbehöfen eines Klinkeraltbaus momentan Loftwohnungen geschaffen. Bei einem Quadratmeterpreis von neun Euro wird auch hier eine gut situierte Mittelschicht angesprochen. Was bei der Neuschaffung von Wohnraum nicht so problematisch ist. Anderswo werden angestammte Mieter aus ihren Wohnungen verdrängt. So berichtet eine Mieterin aus der Körtestraße 14 von „Schikanen“ ihres Vermieters. Wasserschäden werden nicht repariert, aber in verlässlichen Intervallen flattern Mieterhöhungen und Briefe mit Auflagen ins Haus. Gesetzlich dürfen Mieten alle drei Jahre um 20 Prozent erhöht werden, bei Neuvermietungen sind sie jedoch frei verhandelbar. „Meine Nachbarn sind West-Studenten, die zahlen schon jetzt viel mehr als ich“, sagt sie. Altmieterinnen wie sie werden da zum Störfaktor.

In der nördlichen Fichtestraße gibt es kaum noch Mieter, nur noch Eigentümer – mit dem Ausbau des Fichtebunkers wurde 2008 ein Renommierprojekt fertiggestellt. Die luxuriösen Wohnungen sind bei Preisen um 700 000 Euro alle verkauft. Auf dem Nachbargrundstück, einem zeitgleich entstandenem Neubau mit Loftwohnungen, schützt ein Zaun die Mieter in ihren Gärten. Errichtet wurde der Zaun in weiser Voraussicht; Ähnlich wie bei der „Carloft“-Immobilie in der Liegnitzer Straße schmissen auch hier Chaoten immer wieder Farbbeutel gegen die Fassade – während des Baus sogar einen Brandsatz.

Maria Druckenthaner, Schriftstellerin und langjährige Bewohnerin der Fichtestraße, war Mitbegründerin einer Kiezinitiative gegen den Ausbau des Bunkers. Auch ihr Vermieter wollte sie loswerden. „Ich war nur zwei Mal für wenige Tage im Verzug mit der Mietzahlung, da bekam ich schon eine Kündigung“, sagt sie. Unrechtmäßig, wie sich vor Gericht herausstellte. Gegen die Wucherpreise in ihrem Haus hat sie sich mit anderen Bewohnern organisiert. Neuankömmlinge bittet der Vermieter inzwischen mit saftigen 10,14 Euro pro Quadratmeter zur Kasse. Bei einem Altbau in einfacher Lage sind das 120 Prozent über dem Mietspiegelmittelwert.

Bei den Kreuzberger Grünen ist man etwas ratlos angesichts der Situation. „Solange der Senat keinen Wohnungsnotstand feststellt, kann man juristisch gegen Mietwucher nicht vorgehen“, sagt Hans Panhoff, Mitglied des Ausschusses für Stadtplanung und Bauen der Bezirksverordnetenversammlung. Zwar greift beim Graefekiez der Milieuschutz, der alle Sanierungsmaßnahmen über einen durchschnittlichen Standard genehmigungspflichtig und die Mietspiegelmittelwerte zu De-facto-Mietobergrenzen bei Neuvermietungen macht. Nur wissen dies die wenigsten Zuzügler und melden kaum Verstöße. Bei der Stadtentwicklungsverwaltung ist man sich bewusst, dass die Vermieter den Rahmen bei Neuvermietungen schon mal sprengen: „Insgesamt gelingt das in Berlin aber nur sehr punktuell, da es stadtweit preiswerten verfügbaren Wohnraum gibt“, heißt es auf Anfrage. Bleibt also nur der Wegzug aus der Toskana.

Lars Dittmer

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