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Seije Slager.

© Rolf Brockschmidt

Gentrifizierung aus holländischer Sicht: Steigende Mieten müssen nicht nur Schlechtes bringen

Unser holländischer Gastautor Seije Slager mag Berlin, auch und gerade weil sich die Stadt ständig verändert. Dass so mancher Gentrifizierungsgegner diesen Prozess aufhalten will, ist aber eher kleinbürgerlich als weltstädtisch.

Ein Freund aus Amsterdam war zu Besuch, und hat ein Verbrechen begangen. Wir waren nachmittags im Treptower Park herumspaziert, dann nach Neukölln gelaufen, in der Weserstraße angelangt, und hatten im Freien Neukölln eine leckere Pasta gegessen. Und dann ist es passiert.

Ich hätte ihn natürlich vorwarnen müssen, als ich hörte wie er nach dem Essen einen Kaffee bestellte und dabei nach der deutschen Übersetzung für ‚Koffie Verkeerd’ suchte, diese nicht fand, und sich für das englische Synonym entschloss. Aber dann war es natürlich schon zu spät. "Ein Café Latte bitte", sagte er. Der bislang noch äußerst freundliche Ober versteinerte. "Du meinst Milch-Kaf-Fee", korrigierte er verärgert meinen Freund, dabei jede Silbe dieses schönen deutschen Wortes betonend.

"Was war auf einmal mit dem Typ?", fragte mich der Freund, als der Ober wieder weg war. "Du hast einen Latte bestellt", versuchte ich ihm zu erklären. "Darf man im Freien Neukölln nie machen. Man schreit ja auch nicht ‚Allahu Akbar!’ am Ground Zero in New York." "Und wieso denn nicht? Du hast halt gerade einen doppelten Espresso bestellt." "Das ist irgendwie nicht so schlimm", sagte ich. "Dafür gibt es kein deutsches Wort." "Die sehen hier doch nicht aus wie Deutschtümler. Eher wie typische Latte-Trinker." "Ja, ist auch kompliziert."

Man gerät fast automatisch ins Trudeln, wenn man einem Uneingeweihten die feinen Schattierungen der Berliner Gentrifizierungsdebatte zu erklären versucht. Man kommt daran aber auch nicht vorbei, wenn man überhaupt etwas erklären will über die Stimmung in der Stadt im Jahre 2011. Das Wort Gentrifizierung kennen wir zwar in den Niederlanden, aber nur als trockenes, soziologisches Konzept, das Wissenschaftler benutzen um zu beschreiben wie in bestimmten beliebten Vierteln die Mieten und die Häuserpreise steigen.

Gentrifizierung als hochsymbolischer Kampfbegriff

In Berlin ist Gentrifizierung dagegen ein hochsymbolischer Kampfbegriff geworden. Man findet es nicht nur in Fachpublikationen, man liest es auch auf den Spruchbänden bei 1.-Mai-Demos, und man hört es wenn man in der Kneipe über den Kiez plaudert. Wenn man in Berlin über ‘Gentrifizierung’ redet, redet man nicht nur über gewisse wirtschaftliche Tatsachen, man träumt auch immer ein bisschen: über Lebensstile, über die Verfügbarkeit kultureller Freiräume, über Vergangenheit und Zukunft der Stadt. Und besonders interessant finde ich, dass vor allem jene Szenetypen über das Thema reden, die die Gentrifizierung vorantreiben. Die Besitzer von Szenekneipen in Neukölln wissen, dass ihre Anwesenheit die Mieten im Kiez steigert. Gequält von einem ‘bohemistischen Schuldkomplex’ gehören sie zu den lautstärksten Gentrifizierungsgegnern.

Die einzigen Waffen, die ihnen dabei zur Verfügung stehen, sind symbolische Waffen. Deswegen darf man keinen Latte bestellen im Freien Neukölln. Und deswegen veröffentlichen die Besitzer dieser Kneipe sogar Youtube-Filme in denen sie ihr internationales Latte-trinkendes Publikum beleidigen und in denen sie behaupten, sie hätten bloß eine einfache Eckkneipe in altmodischer Neuköllner Tradition eröffnen wollen  (ja, klar…). Kluges Marketing? Ironisch gemeint? Vielleicht. Aber was ist dann mit all diesen ‘ausstädterfeindlichen’ Aufklebern und Graffiti, die man heutzutage auf der Straße sieht? Berlin doesn’t heart you! Fuck Yuppies! Schwaben raus! Gegen Nazis und Hipsters! Wenn das schon Ironie ist, dann doch verärgerte Ironie, mit manchmal fragwürdigen historischen Anspielungen.

Solche Aufkleber gab es früher noch nicht. 1990 war ich zum ersten Mal in Berlin, im Zeitraum zwischen dem Mauerfall und der Wiedervereinigung. Obwohl ich noch ein junger Schüler war, war es damals unmöglich nicht beeindruckt zu sein von der historisch geladenen Atmosphäre in der Stadt, von der Energie die man überall spürte.

In den darauf folgenden Jahren kam ich also immer wieder. Dass was mich vor allem hierher zog, war der permanente Wandel, in dem sich Berlin zu befinden schien. Wenn man Paris mal besucht hat, weiß man das nächste mal ungefähr, was einen erwartet. Wenn man Berlin besucht hat, und tolle Kneipen und Kieze entdeckt hat, kann sich das alles im nächsten Jahr schon völlig verändert haben.

Berlin sollte nicht zu stark normalisiert werden

Wichtigster Brennstoff für diesen permanenten Wandel war natürlich die Leere, die die nicht mehr vorhandene Mauer hinterlassen hatte. Quer durch die Stadt, wo üblicherweise die Mieten am höchsten sind, gab es in Berlin auf einmal einen großen ungenutzten Freiraum, einen billigen Spielplatz für jeden mit Planen oder Ideen.

Dieser Spielplatz wurde in den letzten fünfzehn Jahren allmählich zugebaut. Und zwar nicht immer auf eine Art und Weise, die dem anarchistischen Charakter Berlins entspricht. Der neue Potsdamer Platz ist eigentlich gar nicht so schlimm, wenn man bedenkt wie fürchterlich und steril solche megalomanen Projekte oft werden. Aber es fühlt sich dort irgendwie eben nicht an wie Berlin. Berlin sollte nicht zu stark normalisiert werden.

Als ich dieses Mal nach Berlin kam, war ich am Anfang also traurig als ich erfuhr, dass auch das Tacheles dem großen Geld weichen musste. Schon wieder ein Beispiel dieser verflixten Gentrifizierung! Und zwar ein anschauliches, kontrastreiches Beispiel. Auf der einen Seite der Oranienburger Straße sieht man das neue, protzige Berlin der Cocktailbars, auf der anderen Seite das alternative Berlin des Tacheles. Und die Protzer verdrängen die Alternativen.

So allegorisch ist es jedoch nicht. Denn als ich dieses Mal ins Tacheles ging, war das ein anderes Tacheles geworden als in den neunziger Jahren. Ich hatte das Gefühl, hier wurde eine folkloristische Veranstaltung aufgeführt, mit Künstlern die wegen der vielen Touristen authentische, alternative Kleidertracht angezogen hatten, und deren schöpferische Erzeugnisse eher wie Souvenirs wirkten als wie bahnbrechende Kunst. Eine erfolgreiche Veranstaltung ist es schon: es kommen hunderttausende Besucher ins Tacheles, ungefähr so viel wie in die alte Nationalgalerie.

Man kann also behaupten das das Tacheles ‘alternativ’ ist, aber nur wenn man auch Monet und Renoir als Undergroundkünstler bezeichnet. Die Versuche, das Tacheles zu bewahren, haben wohl weniger mit dem Kampf für Freiräume zu tun, als mit Nostalgie und Sehnsucht nach den neunziger Jahren.

Städte sind interessant, weil sie dynamisch sind

Und die steigenden Mieten? Na, klar, es gibt Beispiele von skrupellosen Spekulanten, da braucht man gute Gesetze und Bürgerproteste. Es gibt allerdings auch Beispiele von Gentrifizierungsgegnern, die es grundsätzlich für einen Skandal halten, wenn irgendwelche Mieten mal ein bisschen steigen. Da müsste man vielleicht auch mal bedenken: was Berlin jetzt erlebt, ist eine Wandlung von erstaunlich niedrigen Mieten zu ziemlich niedrigen Mieten. Das muss nicht nur Schlechtes bringen: es kann sogar positive Auswirkungen für einen Kiez haben, wenn sich dort auch wohlhabende Mieter ansiedeln.

Steigende und sinkende Mieten hat es schon immer gegeben, umziehende Menschen auch, und das ist genau, warum Städte interessant sein: weil sie dynamisch sind. Und Berlin ist interessanter als die meisten anderen Städte.

Manchmal ist es, als wollten die Gentrifizierungsgegner diesem Prozess ein Halt zurufen, als wollten sie irgendeinen Idealzustand fixieren. In der Tat, Mitte war schön in den Neunzigern, und vor ein paar Jahren war Neukölln auch schön, als die dortigen Szenekneipe noch nicht vom ‘Easyjetset’ entdeckt worden waren. Schön finde ich die beiden Bezirke noch immer, allerdings auf eine anderen Weise. Weniger schön ist es aber, wenn man versucht seinen Kiez für neue Entwicklungen abzuschotten, indem man eine Trennung zwischen ‘uns’ und ‘ihr’ anbringt. ‘Sie’, das sind dann die Schwaben, Yuppies, Touris, und andere Zugezogene, und die gehören nicht zu ‘uns’, den wahren Berlinern. Wer auch immer das sein mag.

Glücklicherweise ist so ein Versuch natürlich auch zum Scheitern verurteilt. Und glücklicherweise ist Berlin eine Stadt, wo es noch immer keinen Mangel an Freiräumen gibt. Besonders für diejenigen, die nicht unbedingt in einem Szenekiez wohnen müssen.

Wer über Verdrängung lamentiert, sollte sich mal ein Fahrrad kaufen, einen Tag herumfahren, und sehen wie viele Gebäude in der Stadt noch leer stehen, wie viele Spielplatze es tatsächlich noch gibt. Sogar in Mitte: ein paar hundert Meter entfernt vom Tacheles gibt es ein Fußballfeld für Amateursportler. Im Zentrum meiner Stadt, Amsterdam, wäre so etwas leider unmöglich, das wäre schon längst zugebaut worden. So lange es noch solche Felder gibt, muss man sich nicht zuviel Sorgen machen über Berlin.

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