zum Hauptinhalt

Berlin: Geordneter Untergang

Am 22. Dezember schließt das SEZ. Das spart der Stadt die Zinsen für einen Tag. Pech für 800 000 Besucher pro Jahr

Der schnauzbärtige Mittfünfziger kommt gerade von der Herzsportgruppe und meidet das Thema Sport- und Erholungszentrum lieber, um seinen Trainingseffekt nicht zu gefährden. Also zuckt er nur ein paar Mal mit den Schultern und knurrt: „Was keinen Gewinn abwirft, wird halt zugemacht. So ist das nun mal heutzutage. Eigentlich furchtbar.“ Aber er will sich nicht aufregen und macht sich auf den Heimweg. Sein Auto parkt neben dem „Polarium“. Die überdachte Eisbahn ist schon abgetaut, hinter der Bande parkt ein angewitterter Imbisswagen. „Mein SEZ – Hier geh’ ich baden!“, steht drauf. Jetzt geht das SEZ baden.

Die von der Krankenkasse mitfinanzierte Herzsportgruppe wird zum Jahreswechsel in eine nahe Kita ziehen und ist damit vorerst gerettet. Im SEZ aber werden die Mitarbeiter am 22. Dezember das Licht ausschalten und das Wasser aus den Schwimmbecken lassen. Die Bäderbetriebe werden den Bau an den Liegenschaftsfonds übergeben, der das attraktiv gelegene Grundstück zwischen Landsberger Allee und Volkspark Friedrichshain „verwerten“ soll. Theoretisch könnte das auch eine Wiedereröffnung des SEZ mit neuem Betreiber bedeuten. Wahrscheinlicher ist, dass das nicht nur in Berlin einmalige Freizeitzentrum noch ein Weilchen vor sich hingammeln und dann zu Gunsten eines Neubaus, Büros vielleicht, abgerissen wird. Der ab 2003 gestrichene Zuschuss fürs SEZ spart dem Land Zinsen für etwas weniger als einen Tag, bedeutet für die rund 120 unkündbaren, weil öffentlich bediensteten Mitarbeiter Beschäftigungstherapie in anderen Berliner Bädern und ist Pech für die jährlich 800 000 Besucher.

Für den zwölfjährigen Paul und seinen Kumpel Georg, 13, zum Beispiel. Die beiden kommen gerade vom Judo und lassen sich auf eine Cola an einem der Tische im Foyer nieder, von denen man die schwach beleuchtete Schwimmhalle beobachten kann. Von hier oben wirken die blau schimmernden Becken wie eine Aufzuchtanlage für große Molche. Sie tauchen, springen, spritzen, verharren reglos unter dem Hut eines Wasserpilzes oder lassen sich im Wellenbad durcheinander wirbeln. Sie scheinen sich wohl zu fühlen. Wie Paul und Georg. „Es ist nicht schlecht hier. Wir wissen ja von Wettkämpfen, wie es woanders aussieht: Da laufen die Klos über und so“, sagt Paul. Er hat dreieinhalb Bögen voll Unterschriften gegen die Schließung gesammelt. Irgendwas musste er ja tun. Am 16. Dezember trainiert die Judo-Mannschaft zum letzten Mal im SEZ.

„Insgesamt haben fast 25 000 Leute unterschrieben“, erzählt eine Mitarbeiterin, die eigentlich nicht mit der Presse reden darf wie alle hier. „Irgendwann werden wir das, was jetzt gespart wird, mit höheren Kosten für Streetworker oder für die Polizei bezahlen“, orakelt sie bei dem Gedanken daran, dass Paul, Georg und Co. ihre Energiereserven hier künftig nicht mehr kontrolliert abbauen können. „Und an dem Gebäude müsste zwar mal was gemacht werden, aber die Schließung ist einfach nicht nötig.“

Der Gang vom Foyer zur Sporthalle führt an Bräunungsstudio und Sauna vorbei. Angesichts von 21 Jahren und Millionenpublikum sehen die im Terrakotta-Look gefliesten Böden erstaunlich frisch aus. Sogar die Treppenstufen sind intakt. Bis auf das dumpfe Rauschen der Lüftung ist es völlig still auf dem Gang. Aber durch die Sporthalle schallen vereinzelte Wut- und Freudenausbrüche. Die sechs Badmintonfelder sind für den Rest des Tages ausgebucht – wie immer im Winter. Die Sportler sind froh, dass sie hier über griffigen Schaumstoffboden wetzen können, statt auf rutschigem Parkett herumzueiern wie anderswo. Dafür nehmen sie die engen und pilzigen Umkleidekabuffs allemal in Kauf.

Es ist beruhigend wie ein Blick ins Terrarium, wenn man sich oben auf der Galerie über die Brüstung lümmelt und dem gleichförmigen Ping-Pong-Plopp-Pffft-Brrrr lauscht, das auf über tausend Quadratmetern Hallenfläche aus Badminton und Tischtennis zu einer federleichten Klangwolke kondensiert. Auch Andreas Lenz lehnt an der Brüstung und schaut ins Nirgendwo. Er war gerade im Kraftraum, wo er zwei Mal in der Woche Gewichte stemmt und „die Jungs“ trifft, mit denen er 13 Jahre lang hier trainiert hat. Nur kommt von den Jungs keiner mehr. „Die haben sich wohl schon was anderes gesucht. Schade“, sagt Andreas Lenz. Ganz früher seien die Leute nach zwei Stunden mit sanfter Gewalt wieder aus dem Kraftraum befördert worden, weil die Schlange immer so lang war. Nach der Wende hätten sie im Verein noch grandiose Faschingspartys und Grillfeste im Park hinter dem SEZ gefeiert, aber seit ungefähr fünf Jahren gehe es abwärts. Als Lenz sich einmal mit 24 Mann zum Bowlen anmelden wollte und auf die Frage nach Sonderpreisen ein empörtes „Na hören Sie mal!“ erntete, ahnte er, dass die Tage des SEZ gezählt sein würden. Als er neulich die Mitarbeiter mit Eimern den durchsickernden Regen auffangen sah, war er sich sicher. Noch nicht glauben will er aber, was ihm einer aus der Sporthalle erzählt hat: dass einige Mitarbeiter nächstes Jahr bei vollem Gehalt zu Hause sitzen werden. „Dann können sie doch wirklich noch hierher kommen und aufschließen.“ Das finden die SEZ-Angestellten auch. Der Wirt des Restaurants fragt sich obendrein, was die Bäderbetriebe mit ihm vorhaben. Dass andere Berliner Schwimmhallen gerade einen Gastronomen suchen, ist ihm jedenfalls nicht bekannt. Die Frau am Empfang seufzt: „Ich komme mir ein bisschen vor wie im Palast der Republik.“ Dann kommt der nächste Kunde, will zwei Badmintonplätze für nächsten Montag. Die sind längst ausverkauft.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false