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Berlin: Georg-Stefan Dander Geb. 1961 (Nur einmal)

ist er laut geworden und ungehalten: Ein Fehlschuss.

Am Dienstag schaute er noch im Schützenverein vorbei, so wie fast jeden Tag. Er blieb nicht lang, sprach nicht viel und nahm keine Pistole in die Hand. Schlecht ging es ihm an diesem Abend, elend sah er aus, grau und mitgenommen von der Grippe, die ihn seit zwei Wochen quälte. Dass er sich dringend untersuchen lassen müsse, rieten die Vereinsfreunde und gaben ihm die Adresse einer guten Ärztin.

Er misstraute solchen Untersuchungen, seit seine Mutter vor ein paar Jahren von einer solchen mit der Krebsdiagnose nach Hause gekommen war. Er hatte sehr an ihr gehangen; nach ihrem Tod blieb er in der Wohnung, die er mit ihr geteilt hatte.

Am Mittwoch rief Stefan einen Vereinskollegen an, fragte, ob er ihm zu essen und zu trinken bringen würde, er selbst konnte vor Schmerzen nicht mehr stehen. Selbstverständlich kam der Sportsfreund, man hilft sich im Verein. Dass er morgen früh wieder käme, sagte er, um Stefan zum Arzt zu bringen, keinen Tag könne es so weitergehen.

Am Donnerstagmorgen musste die Polizei die Tür aufbrechen; man fand Stefan Dander tot im Badezimmer. Ein Magendurchbruch. Er muss unendliche Schmerzen gehabt haben. Gemeldet hatte er sich bei niemandem mehr.

Ruhig und in sich gekehrt war er immer gewesen, nie fiel er auf, nicht mal ein Foto lässt sich so einfach von ihm finden. Nur einmal, so erinnert man sich, sei er laut geworden und so ungehalten, dass er sich die Hand brach: Er hatte sie gegen eine Stahltür geschlagen, aus Wut über einen Fehlschuss. Was ihn sonst noch zornig werden ließ? Die Erwähnung seines vollständigen Vornamens, er wollte nur Stefan genannt werden.

Seit 1979 war er Mitglied im Verein, ein Schulfreund hatte ihn mitgebracht. Damals lebte sein Vater noch; ein paar Jahre später ging der mit seinem Bauunternehmen in Konkurs und schoss sich eine Kugel in den Kopf. Über den Verlust hat Stefan nie viel gesprochen, aber vielleicht hatte seine zurückhaltende Art ja damit zu tun – wie auch die Wahl seines Sportgerätes, die „freie Pistole“.

Amerikanische Methoden des Schießsports lehnte Stefan ab, dort geht es nicht so sehr um die präzise Perfektion, sondern um schnelles Ballern, bis die Zielscheibe umfällt. Es fehlte nicht viel und er hätte zu den besten Schützen des Vereins gehört. 1995 wurde er aber Sportwart, und da blieb nur noch wenig Zeit fürs Training. Mit größter Zuverlässigkeit kümmerte er sich jetzt um die Turniere jede Woche, Fahrten zu den Meisterschaften, Punktestände, all das eben, worum sich irgendjemand kümmern muss.

Hätte er im Lotto gewonnen, da sind sich die Vereinsfreunde einig, hätte er das Geld nicht für Weltreisen, Frauen oder Autos ausgegeben. Er hätte die Schießanlagen modernisiert und das Vereinsheim ausgebaut; einen Raucherraum hätte er eingerichtet, wie er jetzt vorgeschrieben ist. Stefan rauchte viel.

Einen Tag vor Heiligabend hätte er mit den Freunden im Vereinsheim seinen 47. Geburtstag gefeiert. Dann wäre er zum Weihnachtsfest der Familie seiner Schwester aufgebrochen. Vier Tage vor Heiligabend starb er.

Das Geld, das er hinterlässt, reicht wohl gerade, um die Beerdigung zu bezahlen. Die Lücke, die er im Schützenverein hinterlässt, ist nicht so leicht zu schließen. Mehr als 70 Vereinsmitglieder haben die Todesanzeige in der Zeitung unterzeichnet, eine einfache Vorstandstrauerbekundung hätte niemandem genügt. Was man ihm sagen würde, wenn man ihn noch einmal sprechen könnte? Von Herzen danken würde man ihm, und ungefähr dies hier sagen: „Du hast deine Arbeit hingeschmissen, hast deinen Sport sausen lassen, und uns hier sitzen gelassen. In den Hintern müsste man dich dafür treten.“ Henriette Dushe

Henriette Dushe

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