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Berlin: Gerd Vennemann (Geb. 1947)

Nur er guckte auf den Bildern immer ganz vergnügt. Zufrieden eben.

Gerd war ein Wunschkind, das hat seine Mutter oft gesagt. Der Bruder war im Krieg geboren, ein zweites Kind hatte sie verloren. Gerd kam im Frieden und ohne Komplikationen zur Welt. Gut möglich, dass sich ihr Glücksgefühl direkt auf ihn übertragen hat. Jedenfalls wurde aus dem Wunschkind ein junger Mann zufriedener Natur mit ausgeprägtem Berufswunsch: Werbegrafiker.

Schuld daran war sein Bruder. Der fotografierte gern, und er las „Twen“. Gerd war beeindruckt und ging die Karriere systematisch an: erst die Ausbildung zum Positivretuscheur in Braunschweig, dann das Praktikum in der Werbeagentur. Schritt drei: die Fotoausbildung an der Lette-Schule in Berlin-Schöneberg.

In Berlin revoltierten aber gerade die Studenten. Eine ältere Kommilitonin, Magdalene Kopp, verabschiedete sich bei ihrer Abschlussfeier mit den Worten „Wir werden uns nicht mehr wiedersehen“. Sie verschwand im „revolutionären Kampf“ und erschien wieder auf den RAF-Fahndungsplakaten. Konnte man da doch in die Werbung gehen? Was er stattdessen machen sollte, wusste Gerd allerdings auch nicht so richtig. Er machte erst mal gar nichts. Außer Fotos natürlich. Von Freunden, vom Alltag, von Berlin. Wenn er nach Hause, nach Braunschweig fuhr, stellte er auch dort die Kamera auf und setzte die Familie davor. Im Hintergrund das verklinkerte Einfamilienhaus, davor Mutter, Vater, Bruder, Schwester. Nur Gerd guckt auf den Bildern immer ganz vergnügt. Zufrieden eben.

Natürlich gab es auch Momente, in denen er nicht so gut gelaunt war. Er hatte mit 20 seine Jugendfreundin Hanne geheiratet, die schwanger war. Doch sie verlor das Kind, und die Ehe ging bald in die Brüche. Beim SFB hatte er als Kameraassistent angefangen. Als solcher fuhr er zwar gleich mit zu den Filmfestspielen in Venedig. Aber selber drehen durfte er noch lange nicht.

Doch für alles fand sich eine Lösung. In die Wohnung in der Eisenacher Straße zog Rob, ein niederländischer Politikstudent, ein. Der versuchte, seine Kommilitonin Lotte mit kulinarischen Aldi-Kreationen zu verführen. Lotte interessierte sich trotzdem mehr für Gerd. Weil der im Leben stand, arbeiten ging und nicht so krampfhaft intellektuell daherredete. Bald wohnte sie in der WG, und Rob zog aus.

Lotte störte es manchmal, dass Gerd bei sonntäglichem Sonnenschein – also: guten Lichtverhältnissen – immer zuerst seinen Mauerzyklus weiterfotografieren wollte, statt direkt an den See zu fahren. Und wenn er schon nicht an die Fernsehkamera durfte, drehte er eben eigene Filme: „Bürgerablage“ handelte zum Beispiel von Dauercampern in Tegel.

Bald darauf begann sein Leben als richtiger Kameramann. Er lernte die ganze Welt jetzt durch die Linse kennen, drehte „Reisewege zur Kunst“ und Beiträge fürs Lokalfernsehen, und er fuhr mit Peter Scholl-Latour nach China. Oft war er für den „Berliner Nachtschwärmer“ des SFB unterwegs. Da drehte er an Orten, an denen er sich gut auskannte: in Bars und Clubs wie Metropol und Fischlabor in Schöneberg. Dort setzte er bekannte und noch unbekannte Gestalten der Nacht in Szene: die Geschwister Pfister, Rosenstolz, Die Ärzte, Ideal. Manche Leute sagen, sie hätten seine Bilder im Fernsehen erkannt. „Ich weiß auch nicht, was ein gutes Bild ist“, sagte er, „aber ein schlechtes tut mir weh.“

Mit Lotte kaufte er ein Haus in Damnatz an der Elbe, und da fand er es viel schöner als immer in der weiten Welt. In Damnatz waren sein Fotoarchiv, viele Freunde und eine große Küche.

Die letzten Wochen vor seinem Krebstod verbrachte er in Berlin auf dem Sofa im Wohnzimmer. Die Ernährung im Krankenhaus deprimierte ihn zu sehr. Weil er selber nicht mehr in der Küche stehen konnte, sah er sich Kochshows im Fernsehen an. Lotte wollte, dass er noch die Bilder zusammensuchte, die ihm am meisten am Herzen lagen, aber er hatte nicht das Gefühl, noch irgendetwas dringend tun zu müssen. Auf den letzten Bildern sieht er unbekümmert aus – trotz allem irgendwie zufrieden. Veronika de Haas

Veronika de Haas

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