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Das Excelsior-Hochaus in der Kreuzberger Stresemannstraße

© Thilo Rückeis

Gerichtsreportage: Mord im Himmel über Berlin

Sie lernen sich im Internet kennen, lieben sich aus der Ferne und richten einander wieder auf. Doch er in Wien, sie in Berlin – das wird immer schwieriger. Als sich die Freundin von ihm trennt, fasst Patrick H. einen fatalen Plan.

Wenn es nach Patrick H. ginge, hätten die Messerstiche eigentlich ihm selbst gelten sollen. Doch er brachte das mit sich nicht fertig. Umgebracht hat er stattdessen auf eine Weise Karin F. (Name geändert), die Frau seines Lebens, „meine absolute Traumfrau“, wie er sie nennt. Und wirklich erstochen hat er Ronny K., einen 24-jährigen TU-Studenten aus Blankenburg, der mit Karin F. zusammengekommen war. Dessen Freunde und Verwandte nehmen so zahlreich auf den Besucherbänken des Gerichtssaals 217 im Moabiter Strafgericht Platz, dass sein Tod Monate später ein kaum verarbeiteter Verlust sein muss.

Die Ermittler hat der Fall nicht lange beschäftigt. Nach drei Tagen wurde Patrick H. in Wien gefasst. Woher er stammt. Wohin er sich wieder begab, als das, was er in Berlin angerichtet hatte, schon als „Eifersuchtsmord“ durch die Presse ging. Als Liebesdrama, bei dem einer vor der Wohnungstür seiner Ex-Freundin auf deren neuen Freund losgegangen war. Ihn fertig gemacht hatte, 67 mal auf ihn eingestochen hatte. Was den Rechtsmediziner vor Gericht sagen lassen wird, dass er solche Wunden selten gesehen habe.

Die Staatsanwaltschaft erhebt Mordanklage. Lebenslänglich für eine Tat, die gut ins Bild typischer Eifersuchtsdramen passt. Bei 20 bis 30 Prozent der Tötungsdelikte spielt Eifersucht die entscheidende Rolle. Wobei der anerkannte Forensiker Peter Winckler sagt, dass sie Psychologen vorführen würde, wie wenig sie wüssten. Man komme als Gutachter nicht richtig an sie heran. Ein Gefühl, das viele Menschen kennen würden, sei oft nur Symptom einer tiefer liegenden Störung. „Männer“, schrieb Max Frisch in sein Tagebuch, „die ihrer Kraft und Herrlichkeit sehr sicher sind, wirklich sicher, (...) sieht man selten im Zustand der Eifersucht.“ Ihre Bedeutung für Gewaltexzesse ist berüchtigt.

Aber die Verteidiger haben gute Gründe, die Tat für einen Totschlag zu halten. Im Wesentlichen liegt der Unterschied darin, ob die Messerattacke geschehen musste, weil der Täter sie – durch den Erwerb eines besonders gefährlichen Messers und seine sonstigen Vorkehrungen – vorsätzlich vorbereitet hatte, oder ob er gar nicht wissen konnte, dass ihm sein späteres Opfer begegnen würde.

Zwei junge Männer, eine Frau, allesamt Studenten. Von roher Gewalt war ihr Leben bis zu jenem 2. Juli 2014 verschont geblieben. Wenn es auch, wie sich zeigen wird, eine subtile Ebene der Drangsalierung gab, die aber als Vorzeichen zu deuten, niemandem in den Sinn gekommen wäre. „Wir sind doch“, sagt Karin F. vor Gericht schluchzend, „trotz allem, normale Menschen.“

Bei diesen Worten seiner Ex-Freundin, „Traumfrau“, wie gesagt, blickt Patrick H. sie von der Anklagebank düster und ungerührt an. Er trägt ein weißes Hemd, beigefarbene Chinos und meistens einen dünnen, blauen Pullover. Die Haut ist wächsern und der Schädel bis auf einen kurzen, schattenhaften Haarkranz kahl. Wenn er sich konzentriert, bekommt der 24-Jährige oft etwas überbetont Fokussiertes. Als sei er begriffsstutzig. Was er nicht ist. Seinen Mitmenschen schien er sich als angehender Jurist meist überlegen zu fühlen. Karin F.’s Studium der Sonderpädagogik sei in seinen Augen nichts wert gewesen, sagt die als Zeugin geladene Frau einmal aus. Und da, in dieser Bemerkung, liegt der Ursprung des Missverständnisses begründet, das sich von Idealisierung ernährt hat. Für etwas Besseres bestimmt zu sein, das hatten die beiden sich versprochen. Aber Patrick H. findet offenbar, dass nur er dem Versprechen gerecht wird.

Und sie ist für ihn die Frau im Himmel über Berlin, Stresemannstraße, 14. Stock

Am 2. Juli 2014 wurde in der Kreuzberger Stresemannstraße ein Student getötet
Mord im 14. Stock. Der Jurastudent wollte am 2. Juli 2014 noch einmal mit seiner Freundin sprechen. Das Messer hatte er zwei Tage vorher gekauft.

© Paul Zinken/dpa

Karin F. und Patrick H. lernen sich 2007 übers Internet kennen. Beide hatten die Schule abgebrochen. Patrick war 17, Karin vier Jahre älter, und wenn er sich damals gefragt haben sollte, was ihm im Leben geglückt sei, dann war da bis dahin nicht viel.

Schon vor seiner Geburt gab es Streit um ihn zwischen seiner schwangeren Mutter und deren Mutter. Die drängte zur Abtreibung. Patrick ist sieben und ältestes von vier Kindern, da zieht der Vater, ein Apotheker, aus, um später mit einer neuen Frau weitere Kinder zu haben. Es beginnt für den Jungen eine endlose Zeit wechselnder Bezugspersonen. Er gilt als schwer erziehbar, renitent. Die Mutter kommt nicht mit ihm klar, schickt ihn 1999 auf ein Internat. Dort bleibt er nur wenige Monate, bevor der Vater ihn zu sich holt und die beiden in der Josephstadt leben. Der Kontakt zur Mutter und zu den Geschwistern geht verloren. Die Stiefmutter mag ihn nicht, sagt er. So wird er zu einem, der sich alleine durchschlägt, weil die Erwachsenen zu sehr von ihren eigenen Problemen absorbiert sind.

Mit der Schule tut er sich schwer. Mal über-, mal unterfordert habe er sich eigentlich nur nie richtig Mühe gegeben, wie er dem Gutachter sagt.

Sie gibt offenbar den Ton an

Schließlich gibt er es ganz dran und trifft in einem Internetforum auf Karin F., die ihr Abitur ebenfalls geschmissen hat. Auch sie hat Probleme mit den Eltern, von der Mutter wird sie als „schwierige Person“ beschrieben, die zuweilen verstockt und bockig sei. Doch über die Distanz von mehreren hundert Kilometern hinweg und in der abstrakten Vertraulichkeit von Chatforen schmieden beide ihren Bund. „Wir sind dann auch zusammengekommen“, nennt Karin F. das. Sie ist offenbar diejenige, die den Ton angibt. Sie ist es, die die Losung ausgibt, nach der sie die Hochschulreife gemeinsam nachmachen wollen. Was sie jeweils beherzt angehen.

Es ist stets Patrick H., der nach Berlin reist, um bei seiner Freundin zu sein. Die Beziehung findet in einem luftleeren Raum statt. Sie unternehmen nicht viel, Dritte sehen sie selten, bleiben vornehmlich in ihrer Wohnung. Karin F. will ihren Partner niemandem zumuten, und er hat seine Beziehungen so sehr auf sie konzentriert, dass er kein Interesse an zusätzlichen Kontakten hat. Er ist der Freund, den sie verstecken kann, sobald er weg ist, räumt sie seine Sachen beiseite. Und sie ist für ihn die Frau im Himmel über Berlin, Stresemannstraße, 14. Stock.

Er ist Karin F. zunehmend peinlich

Karins Kommilitoninnen sagen aus, dass sie nie mal eine liebevolle Geste bei dem Paar gesehen hätten, keinerlei Zärtlichkeiten. Sein Verhalten ist Karin F. zunehmend peinlich. Er habe nie gegrüßt, sei „einfach unhöflich“. Es nervt sie, ihn morgens lange im Bett liegen zu sehen, seine Sachen verstreut in ihrer kleinen Wohnung. Als sie ihm die Bettdecke wegzieht, weil sie die Unordnung nicht mehr ertragen kann, da tritt er nach ihr. Er habe ihr auch mal den Arm verdreht, berichtet Karin F., „da haben wir uns beide nichts genommen.“ Mit der Zeit seien „gewisse Hemmschwellen“ in der Beziehung gefallen.

H’s Eifersucht wird immer bizarrer. Er schleicht sich in ihren Email-Verkehr ein. Wenn er bei Anrufen Partygeräusche hört, ruft er immer wieder an und steht am nächsten Tag vor der Tür, obwohl er sich die Flüge kaum leisten kann. Er macht ihr Geschenke, die seine Mittel übersteigen.

„Wenn man nur Texte wahrnimmt“, sagt der hinzugezogene Gutachter Hans-Ludwig Kröber über die Anatomie dieser Liebesbeziehung, „kann man vom anderen ein Fantasiebild bauen, das selbst von der realen Begegnung nicht korrigiert wird. Eigene Wünsche werden jeweils auf den Partner projiziert.“ Das Beziehungskonzept einer gemeinsamen Niederlagenbewältigung, wie sie von H. und F. angestrengt worden ist, darf nicht in einer erneuten Niederlage münden. Als seine Freundin von Trennung spricht, droht Patrick H., er werde alles hinschmeißen, er werde sich anzünden. Sie spielt auf Zeit.

Patrick H. betritt das Haus, die Baseballkappe tief ins Gesicht gezogen

Mitte Mai 2014 kommt sie mit Ronny K. zusammen, einem Studienkollegen. Sie erzählt ihm nichts von ihrem eifersüchtigen Freund. Wie sie umgekehrt Patrick H. nie erklärt, dass es einen Neuen gebe. Auch nicht am 18. Juni, als sie sich am Telefon von ihm trennt.

Patrick H. hat für den 2. Juli einen frühen Flug von Wien nach Berlin gebucht. Ein Zimmer im Ibis-Hotel ist auf seinen Namen reserviert. Von dem Hotel aus hat er einen Blick auf das Excelsior-Hochhaus, in dem er seine Freundin so oft besucht hat. Der mächtige Bau vis à vis der Ruine des Anhalter Bahnhofs gehört zum Immobilienimperium von Nicolas Berggruen. Man hat die Fassade durch stilisierte Wolkenbilder ansehnlicher gestaltet. Aber im Inneren ist es der lichtlose, anonyme Wohnkomplex geblieben, in dessen Gängen sich zuweilen Drogensüchtige herumtreiben. Die Appartements sind klein, an warmen Sommertagen stehen die Fenster offen. Bei Wind pfeift der Luftzug durch die Fensterritzen. Viele wohnen hier allein, für sich, man kennt einander kaum.

Als Patrick H. das Haus betritt, halten ihn die Leute mit seiner tief ins Gesicht gezogenen Baseballkappe und der Sonnenbrille, für einen Boten. Bei sich trägt er das Kampfmesser, das er sich zwei Tage zuvor aus einer großen Anzahl ähnlicher Klingen in einem Wiener Waffengeschäft ausgesucht hat. 16 Zentimeter lang, fester Stahl, mit Zacken. Er hat Karin F. eine SMS geschickt: „Fühl’ dich mal in mich hinein.“ Ihre Antwort war, dass er sie „in Ruhe lassen“ solle.

Er bittet, fleht - vergeblich

Er hatte schon einmal am 20. Juni alles auf eine Karte gesetzt, war mit seinen Klamotten nach Berlin gereist, doch Karin F. hatte ihn abgewiesen. Er stand vor der Tür, die sich nicht für ihn öffnete. Für jede Minute, die er mit ihr spreche, würde er ihr hundert Euro geben, habe er gesagt. Er solle verschwinden, rief sie. Am 20. Juni war das. Für ihn brach die Welt zusammen. Er trug sich mit Selbstmordgedanken, führte sie aber nicht aus.

„Dass du jetzt keine Gefühle für mich hast“, schrieb Patrick H. anschließend, „liegt daran, dass ich ein schlechter Freund war.“ Das habe er eingesehen. Sie dachte: Er hat es begriffen. Der Familie sagte sie: Das mit Patrick ist geklärt.

Nun nähert der sich um 9.30 Uhr der Wohnung, hört Stimmen hinter der Tür. „Ich wollte sie überrumpeln, in die Wohnung drängen, sie mit dem Messer zwingen, mir zuzuhören“, erklärt Patrick H. vor Gericht. Als sich die Tür später öffnet, sieht er seine große Liebe mit einem jungen Mann, nicht viel älter als er selbst, der ein Fahrrad zum Fahrstuhl schiebt. Sie hatten die Nacht miteinander verbracht, sie waren glücklich. Am Fahrstuhl geben sie sich einen Kuss. Karin F. denkt: "Wie schön das jetzt alles ist." Patrick H. sieht vom Treppenhaus aus zu.

Als sie zu ihrer Wohnung zurückkehrt, hört sie Schritte hinter sich. Sie läuft los, die Gestalt hinter ihr auch. Sie rennt auf Socken, erreicht die Tür, schlüpft hindurch, reißt sie zu. Der vermeintlich Fremde, den sie durch den Türspion sehen kann, steht bedrohlich davor, schnaufend. „Wer sind Sie?“, will sie gerufen haben. Und dass sie die Polizei rufe.

Sie wählt die Notrufnummer. Doch gleich darauf ruft sie Ronny K. an. Ob er noch mal hochkommen könne. – Ja. – Danke.

Ronny ist auf dem Weg zu einem Job bei der Lebenshilfe, den er neben seinem Studium angenommen hatte. Ein verbindlicher, fröhlicher Typ. Den Studienplatz hatte er sich erklagt, er wollte ihn unbedingt. Nachdem er als Tourist durch Nordkorea gefahren war, gründete er eine eigene Reiseagentur für Trips in das Land, was seinen Bruder nicht überraschte. Einer wie Ronny probierte solche Sachen einfach aus. Er konnte mit Menschen, die es schwerer im Leben hatten als er, prima umgehen.

Ronny liegt zitternd am Boden, sterbend

Vor der verschlossenen Tür auf- und abgehend, versucht Patrick H., sich zu überwinden, das Messer in sich hineinzurammen. Aber es gehört sehr viel mehr dazu als Aggressivität und Zorn, um das zu schaffen. Man muss sich für sein eigenes Versagen vehement bestrafen wollen. So weit geht H’s Kontrollverlust nicht.

„Hey, was willst du von meiner Freundin?“ Mit diesem Satz erscheint Ronny K. wieder auf der Bildfläche.

Patrick H. stürmt auf ihn los. Der Angriff sei dermaßen wild erfolgt, sagen Zeugen, dass er erst vorbei ist, als der Täter sich abreagiert hat. Dann tapst er eigenartig beschwingt davon.

Karin F. bleibt in der Wohnung. „Ich habe nur dagestanden.“ Sie hört Ronny um Hilfe schreien. Als sie doch nachsieht, liegt er zitternd am Boden, sterbend. Überall Blut. Einer Nachbarin ruft sie zu, dass sie den Täter kenne, dass sie schuld sei, dass es ein Psychopath sei.

Patrick postet auf Facebook: „Shit“.

Vor Gericht sitzt mit Karin F. eine zutiefst traumatisierte Frau mit schmalen, eingedrückten Schultern, von tränenlosen Weinkrämpfen geplagt. Jede psychologische Betreuung hat sie abgelehnt und sich mit Inbrunst der Kirche zugewandt. Sie räume nun als Einser-Abiturientin Regale in einem Discounter ein, beklagt ihre Mutter. Und eine frühere Freundin meint unter Tränen: „Die Karin, die ich kenne, ist an diesem Tag gestorben.“

Patrick H. wird wegen Mordes verurteilt

Beinahe hysterisch empört sich die 29-Jährige, dass sie missverstanden worden sei, als es um die Frage geht, warum alle ihren Ex-Freund sofort für den Täter hielten, bloß sie nicht. Könnte sie die Tat vielleicht bewusst heraufbeschworen haben? Das Gericht jedenfalls wird es in seiner Urteilsbegründung sogar für wahrscheinlich halten, dass sie ihren neuen Freund zurückgerufen haben könnte, um die Situation mit ihrem alten einfürallemal zu klären. Oder: klären zu lassen?

Was immer dran ist an dieser Option, es ist im Chaos der Gefühle untergegangen. Bedroht gefühlt hatte sie sich nie.

Das ist für Verteidiger Jan Philipp Book in seinem Schlussplädoyer der Haken, an dem er ansetzt. Einen mörderischen Vorsatz habe es nicht gegeben. In seinem Wunsch, die frühere Freundin zurück zu gewinnen, ein Gespräch zu erzwingen, habe H. zu drastischen Mitteln wie der martialischen Klinge gegriffen. Die „zentrale Wendung“ des Falls sei jedoch eingetreten mit Ronny K.'s Rückkehr, von der H. nicht hatte ausgehen können. In einer für H. hochgradig affektiven Situation verliert er die Kontrolle über sich.

Der Richter sagt: Es war eine Scheinwelt

Dieser Sicht schließt sich das Gericht nicht an. H. wird wegen Mordes verurteilt. Der Vorsitzende Matthias Schertz sagt, dass H’s Vorgehen eine Abstrafaktion gewesen sei. „Jeder, der mal eine Beziehung hatte“, sagt Richter Schertz, müsse damit rechnen, dass sich der Partner nach der Trennung jemand anderem zuwenden könne. H’s Wut habe sich von seiner Freundin auf das Opfer verlagert „als jemanden, der die aufgebaute Scheinwelt – mehr war es ja nicht – zerstörte“.

Mehr war es nicht? Hatte Patrick H. jahrelang Liebesbotschaften mit einer Frau ausgetauscht, die nur in seinen Träumen existierte? Er war fixiert auf Karin F., mit der er die erste feste Beziehung erlebte und die entscheidende Wende in seinem Leben verband. Nach der Tat wollte er mit ihr sprechen. Als er sie am Telefon erreichte, sagte er: „Karin, ich war’s, ich war’s.“

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