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Gescheiterte Koalitionsgespräche: Spiel um einen Satz und niemand siegt

Statt in die Koalitionsverhandlungen zu starten, wollten die Grünen schon wieder über die A 100 diskutieren. Da reichte es den Berliner Sozialdemokraten. "Die Stadt ist verwirrt genug", sagte einer. Und Klaus Wowereit sagte lange Zeit nichts

Von
  • Sabine Beikler
  • Ulrich Zawatka-Gerlach

Sie passten schon nicht mehr in einen Aufzug. Als die grüne Verhandlungsgruppe um kurz vor elf Uhr im zentralen Lift des Roten Rathauses zu den Gesprächen mit der SPD-Verhandlungskommission fuhr, stoppt der Aufzug im ersten Stock. Draußen stehen Klaus Wowereit und die SPD-Unterhändler. Beide Seiten lächeln sich freundlich an. Dann fahren die Grünen allein weiter und betreten kurz vor den Sozialdemokraten pünktlich um elf Uhr den Louise-Schroeder-Saal, in dem die rot-grünen Koalitionsgespräche beginnen sollen.

So weit kommt es allerdings nicht.

Auf den langen Tischen stehen Plätzchen, Kaffee und kalte Getränke. Die Politiker schütteln sich die Hände. An der Stirnseite haben Klaus Wowereit, sein Planungsreferent Björn Böhning, SPD-Parteichef Michael Müller, die Grünen-Landesvorsitzenden Bettina Jarasch, Daniel Wesener und Fraktionschefin Ramona Pop Platz genommen. Auch die anderen Teilnehmer der Verhandlungskommissionen begrüßen sich mit einem Händedruck. Freundliche Gesichter, die Herren alle ohne Krawatte. Es sieht so aus, als habe man sich auf ein längeres Gespräch eingestellt. „Schauen wir mal, ob die Kuh schnell vom Eis fliegt“, raunt eine grüne Politikern, bevor sich die Tür zum Sitzungssaal schließt.

SPD-Chef Michael Müller begrüßt die etwa 20 Unterhändler und ruft den ersten Tagesordnungspunkt auf. Es ist der umstrittene Weiterbau der Stadtautobahn A 100. Seit eineinhalb Wochen diskutierten SPD und Grüne über einen Kompromiss zwischen bauen oder nicht, und verständigten sich in einer dritten Sondierungsrunde am Dienstag auf einen Satz, über den noch am selben Abend die Verhandlungskommission der Grünen diskutierte: „Sollte sich eine Umwidmung der Bundesmittel auch nach Bewertung durch eine neue Bundesregierung nicht erreichen lassen, wird mit der Verlängerung der BAB 100 am Autobahndreieck Neukölln (qualifizierter Abschluss) begonnen.“ Einig sind sich SPD und Grüne über die Zeitschiene. Kein Bau bis zum Frühjahr 2014, dann soll mit einer möglichst neuen Bundesregierung über eine Umschichtung der Gelder verhandelt werden.

Michael Müller will den Satz zum Weiterbau der A 100 vorlesen, fängt an – und wird nach Darstellung von Teilnehmern harsch von Wowereit unterbrochen. Das sei nicht „unser Vorschlag“, sagt der. Der Regierende Bürgermeister ist misstrauisch. Nachdem die SPD- und Grünen-Sondierer am Dienstagmittag auseinander gegangen waren, herrschte bis Mittwochvormittag Funkstille. Die Grünen seien telefonisch nicht erreichbar gewesen, berichten SPD-Leute übereinstimmend. Wowereit habe jedoch vor Beginn der Koalitionsrunde eine vertrauliche Vorabsprache gewollt. Als das nicht klappte, habe er zunächst angekündigt, er werde an den Verhandlungen nicht teilnehmen.

"Das war vorhersehbar." Lesen Sie auf der nächsten Seite, an welchem Punkt die Parteien nicht mehr weiterkamen.

Er kommt dann aber doch. Unterbricht Müller. Daraufhin wollen die Grünen-Verhandlungsführer Daniel Wesener und Volker Ratzmann über die Interpretation des Satzes sprechen. Sie bringen dafür eine bereits schriftlich ausformulierte Protokollnotiz für den künftigen Koalitionsvertrag mit. Und wieder gibt es unterschiedliche Lesarten eines Satzes, der Kompromiss für Koalitionsverhandlungen hätte sein können. Die Grünen wollen den „qualifizierten Abschluss“ des Autobahnbaus an der Neuköllner Sonnenallee so verstanden wissen, dass dies das endgültige Ende des Autobahnbaus sei. Statt des Baus des 3,2 Kilometer langen Teilstücks ist für sie bei 900 Metern Schluss. Da geht auch bei den SPD-Linken in der Verhandlungskommission die Klappe herunter. „Auf weitere Interpretationsspielchen konnten wir uns nicht mehr einlassen“, berichtet später der SPD-Landesvize und Sprecher der Parteilinken, Mark Rackles, ein glühender Befürworter von Rot-Grün. „Die Stadt ist verwirrt genug.“

Um 11 Uhr 35 beantragt die SPD eine Auszeit. Nach einer halben Stunde kommt die Verhandlungskommission wieder in den Saal. Wowereit schweigt, Müller spricht. „Wir sehen keine Basis für Verhandlungen“, wird er zitiert. Dass der Autobahnbau nicht vollständig weitergeführt werden soll, sei „kein tragfähiger Kompromiss“ für Koalitionsverhandlungen. Wowereit schweigt weiter. Betretene Gesichter. Die Teilnehmer der Runde erheben sich von ihren Plätzen. Das war’s.

„Das war vorhersehbar“, sagt Michael Arndt. Der 60-jährige Volkswirt führt seit knapp zehn Jahren den SPD-Kreisverband in Steglitz-Zehlendorf. Das ist jener Bezirk, der seit fünf Jahren schwarz-grün verwaltet wird, da haben die Sozialdemokraten nicht viel zu lachen. Trotzdem – Arndt ist ein altgedienter Linker und findet es tragisch, dass Rot-Grün in Berlin schon wieder nicht funktioniert. „Aber ein Koalitionspartner, der sich gegenüber den Piraten resozialisieren und gegen die SPD emanzipieren will, das geht einfach nicht!“ Eine solche Hampelei sei der Stadt nicht zumutbar.

SPD und Grüne in Berlin, das ist Stoff für eine Tragödie. Oder ist es eher eine Komödie?

„Rot-Grün ist eine sehr schöne Konstellation“, sagte der frühere SPD-Landeschef Peter Strieder vor der Abgeordnetenhauswahl im Oktober 2001, nachdem beide Parteien einige Monate mit Unterstützung der PDS gemeinsam regiert hatten. Der Zweck der Übung: Vorbereitung von Neuwahlen und Aufarbeitung des Berliner Bankenskandals. Doch bei der Wahl schwächelten die Grünen, eine Mehrheit mit der SPD war nicht die Sicht. Und so wurde versucht, mit der FDP eine Ampel-Koalition zu bilden. Doch nach quälenden Gesprächen, in denen man über Getränke- und Motorbootsteuern stritt, stand der FDP-Landeschef Günther Rexrodt am 3. Dezember 2001, 20 Minuten nach Mitternacht auf und sagte beim Herausgehen: „Sie haben ja meine Telefonnummer, Herr Wowereit.“ Man verabschiedete sich mit einem Händedruck – und die Sozialdemokraten wandten sich den Linken zu. Fünf Jahre später, am 17. September 2006, nach 18 Uhr im E-Werk, dem stadtbekannten Technoclub. Die Genossen jubelten bei Krustenbraten und Bier nicht nur dem Wahlsieger Wowereit zu, sondern auch der rot-grünen Perspektive. Aber wieder wurde nichts daraus, weil die Öko-Partei voreilig Senatorenposten forderte. Allen voran die damalige Fraktionschefin Franziska Eichstädt-Bohlig. „Es werden Personen gehandelt und Ansprüche erhoben, die Grünen sollten sich besser auf die Inhalte konzentrieren“, beklagte sich der Regierende Bürgermeister, der mit der PDS und den Grünen parallel sondierte. Und der SPD-Landes- und Fraktionschef Michael Müller hoffte, „dass es so nicht jeden Tag weitergeht mit den Grünen“.

Auf der nächsten Seite: Die Neuauflage von Rot-Rot.

So ging es dann auch nicht weiter. Wowereit und Müller entschieden sich, mit dem Segen der SPD-Linken, für eine Neuauflage von Rot-Rot. Nochmal fünf Jahre später, am 5. Oktober 2011, nehmen die Berliner Sozialdemokraten wieder Abschied von rot-grünen Träumen. Und es ist ausgerechnet der ausgewiesene SPD-Linke Rackles, der sagt: „Die Grenze des Erträglichen ist erreicht. Wir brauchen doch angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse für SPD und Grüne im Parlament ein Mindestmaß an Klarheit und Verlässlichkeit.“ Dazu seien die Berliner Grünen, „so wie sie strukturiert sind“, offenbar nicht in der Lage. Jetzt habe es der Genosse Müller geschafft, klagen die Verschwörungstheoretiker im SPD-Landesverband, die nicht nur im ganz linken Spandauer Lager sitzen. Er habe Rot-Grün von Anfang an nicht gewollt, weil die Wiederwahl Wowereits zum Regierungschef mit nur einer Stimme über der absoluten Mehrheit aus Müllers Sicht gefährdet sei. Die Opponenten, die namentlich nicht in Erscheinung treten wollen, drohen nun mit „erheblichen innerparteilichen Verwerfungen“. Und ein Bündnis mit der CDU werde auf keinen Fall vernünftig funktionieren, dafür seien die politischen Schnittmengen viel zu klein. Auch die Jungsozialisten stoßen mit ihrer Forderung nach einem Sonderparteitag auf wenig Widerhall. Nicht ganz so dramatisch, aber trotzdem kritisch sieht der Reinickendorfer SPD-Kreischef Jörg Stroedter die neue Lage. Er gehört zur pragmatischen Parteirechten. „Für die Bundestagswahl 2013 und die nächste Berliner Wahl 2016 ist Rot-Schwarz keine gute Voraussetzung“, sagt er. Der neue Senat werde einer rein linken Opposition gegenüberstehen, mit Grünen, Linken und Piraten. „Große Koalitionen, das war nie gut für die SPD.“ Andere Genossen aus dem rechten Lager sehen die Dinge gelassener. Die CDU werde auch kein einfacher Partner sein, aber Rot-Schwarz sei durchaus „eine interessante Versuchsanordnung“.

Bei den Grünen ist jetzt Wunden lecken angesagt. Sie sind enttäuscht, suchen die Schuld bei der SPD. Parteichef Wesener wirft Wowereit vor, er wisse nicht, was Augenhöhe bedeute, er ärgert sich über die „Blutgrätsche“, die die SPD mit dem schnellen Besetzungsverfahren für den Posten des Berliner Polizeipräsidenten betrieben habe. Die SPD hätte wegen der knappen Mehrheit im Parlament nicht an den Grünen zweifeln müssen, sagt Volker Ratzmann. „Sie soll jetzt Angst in den eigenen Reihen haben, dass die Zuverlässigkeit nicht mehr da ist.“

Am Mittwochabend trifft sich der SPD-Landesvorstand. Auch dort herrscht Enttäuschung – aber es gibt keinen Streit. Nach zwei Stunden tritt Parteichef Müller vor die Mikrofone, an seiner Seite die Mitverhandler und SPD-Linken Rackles und Dilek Kolat. Sie verkünden einstimmige Beschlüsse: Mit den Grünen gibt es keine Grundlage mehr für weitere Verhandlungen. Stattdessen werden die Christdemokraten eingeladen. Hat er mit dem CDU-Landeschef Frank Henkel schon telefoniert? Müller grinst. „Ach, ist doch egal.“

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