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Bitte nicht füttern: drei norwegische Trollfiguren

© Imagp

Geschichte einer Brieffreundschaft: Mein Troll, der Wedding und ich

Immer wieder schreiben Leser per Email ihre Meinung. Ein Leser aber schreibt immer wieder seine Meinung. Immer wieder. Immer. Wieder. Was aber passiert, wenn man antwortet? Nun, dann wird's irgendwann persönlich.

Es begann recht einfach, wie komplizierte Dinge es manchmal tun. Eine kurze Email. Zwei knappe Sätze nur: Er habe das Video gesehen, teilte mir der Verfasser mit. Und er halte es „ganz überwiegend für üble Schönfärberei angesichts der realen Gewalt- und Kriminalitätsrate.“

Gemeint war der kurze Clip „Unterwegs im Wedding“, erst wenige Stunden online, ein Intro für unseren Wedding-Blog. Im Video kommen Passanten zu Wort, sie sagen, was ihnen an ihrem Stadtteil gefällt und was nicht. Eine Frau berichtet, dass ihr Mann nachts zusammengeschlagen wurde. Eine andere, wie sie in ihrer eigenen Straße bepöbelt wird.

Die Zuschrift kam von einem Mann mit deutschem Allerweltsnamen. Nennen wir ihn Herrn Hof.

Ich antwortete ihm. Ein Fehler, natürlich.

„Don't feed the trolls“, die eherne Weisheit für alle Forenbetreiber, füttere bloß die Trolle nicht. Nach den kleinen, haarigen Fabelwesen hat die Internet-Gemeinde ihre penetrantesten User benannt. Diejenigen, die sehr viel kommentieren, zu allem eine Meinung haben und es immer besser wissen, sie also sollte man keinesfalls mit dem füttern, wonach sie am meisten lechzen: Aufmerksamkeit.

Die Grundregel, ich missachtete sie grob.

Ich dankte freundlich für die Nachricht und erklärte, dass meiner Meinung nach die Gewalt-Problematik des Stadtteils in dem Video durchaus zur Sprache gekommen sei. Außerdem, so versicherte ich Herrn Hof, läge meinen Kollegen und mir nichts ferner, als Aussagen nachträglich zu zensieren. „Bleiben Sie uns gewogen“, schloss ich, um Versöhnung bemüht.

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Er danke mir ebenfalls für meine Email, schrieb Herr Hof, rücke aber nicht vom „Vorwurf der Schönfärberei“ ab, dies passe ja auch „weithin zur Linie des Tagesspiegels“, wie er leicht verschwörerisch hinzufügte, das lasse sich schließlich „mit genügend Beispielen belegen“. Beispiele folgten keine.

Herr Hof konkretisierte stattdessen seinen Zensurvorwurf: „Ich arbeite selber lange genug als Journalist, um zu wissen, dass Sie es in der Hand haben, was Sie in einem Video oder Text präsentieren.“

"Zu Ihrer werten Kenntnisnahme"

„Schönfärberei bleibe ich auch nicht gewogen“, erteilte er meinem Angebot alsdann eine brüske Absage: „Gewiss werde ich aber immer mal wieder neugierig in Ihren Blog hineinschauen um zu sehen, was Sie künftig über den Wedding oder auch Gesundbrunnen schreiben werden. Falls Sie darin das Thema Kriminalität und Gewaltkriminalität wider Erwarten künftig angemessen berücksichtigen sollten, können Sie auch mit einem Lob von mir rechnen. Aber auch nur dann.“

Harte Worte, denen ich nichts entgegenzusetzen wusste. Eine Antwort blieb ich schuldig. Doch nur einen Tag später kam erneut Post von meinem neuen Brieffreund, der lapidare Betreff lautete „z.K.“ für „zur Kenntnis“, darin ein Link zu einem Youtube-Video mit einer Aktion gegen Gewalt.

Hofs Zuschriften suchten meine Inbox bald in rascher Folge heim, hinter vermeintlich fröhlichen Betreffzeilen („Zu Ihrer werten Kenntnisnahme“, „Aus dem schönen Wedding“ oder „kleine Ergänzung“) verbargen sich meist Verweise auf Nachrichten, bei denen es um Überfälle und andere Straftaten ging, seltener auch schickte er Polizeistatistiken in PDF-Form.

Zwischenzeitlich versuchte ich herauszufinden, mit wem ich es zu tun hatte. Als ich seinen Namen googelte, fand ich neben zahlreichen Kommentaren auf anderen Newsportalen, etwa zur doppelten Staatsbürgerschaft (klar dagegen) und der überbordenden Migrantenkriminalität (auch klar dagegen: „ohne Sicherheit keine Integration“) auch einen von ihm verfassten politischen Artikel in der „Preußischen Allgemeinen Zeitung“ („Das Ostpreußenblatt. Kritisch. Konstruktiv. Klartext für Deutschland.“). Das mit dem Journalisten schien also zu stimmen. Auch via Twitter hatte Herr Hof schon kommuniziert, unter anderem mit der CDU Biblis und Peter Altmaier.

Mein ausdauerndes Schweigen schien Herrn Hofs Sendefreudigkeit nicht im Geringsten zu beeinträchtigen. Ich beschloss daher, die Strategie zu ändern und dazu erneut wider besseren Wissens obige Grundregel zu missachten. Irgendetwas musste ja passieren.

Als Antwort auf eine seiner Emails mit dem blumigen Betreff „Grüße von Omar A. und seinen zwei Kumpanen aus dem schönen Gesundbrunnen“ kompilierte ich ihm meinerseits ein paar Meldungen aus dem Polizei-Ticker, „aus dem edlen Bezirk Charlottenburg“ und „dem grünen Familienparadies Pankow“, wie ich frech hinzufügte. Sicher hätte ich mir den renitenten Ton verkneifen sollen, vielleicht die ganze Reaktion an sich, die doch nur der untaugliche Versuch sein konnte, dieser leidigen Debatte irgendwie Herr zu werden.

Dann ging es plötzlich um mich

Nur vier Minuten später rauschte Hofs Antwort in mein Postfach. Zeit für eine Anrede blieb diesmal nicht, nach einem knappen „Danke“ ging es gleich flott in medias res: Ja, sicher, schrieb er, Verbrechen gebe es auch auf dem platten Land, aber eben doch besonders häufig „in Wedding/Gesundbrunnen oder Neukölln“, und deshalb, so schloss er, „muss das auch in Berichten über diese Gegenden entsprechend vorkommen. Von Ihnen lese ich bist jetzt im Wesentlichen nur Schönfärberei.“

Im Übrigen, so meldete er sich in einer weiteren Mail nur drei Minuten später, handele es sich bei den von mir vorgebrachten Fällen doch eher um Beziehungstaten ohne größere Relevanz für die allgemeine Öffentlichkeit, die daher „in der PKS gesondert aufgeführt“ würden.

Die Abkürzung PKS war mir nicht geläufig, ich fühlte mich überdies schlagartig ziemlich müde. Ich hätte meinem unermüdlichen Korrespondenten erläutern können, dass wir mit dem Wedding-Blog eine Berichterstattung abseits der Klischees und der Polizei-Ticker versuchten, dass es – neben der zweifelsohne bedauernswerten und möglicherweise überdurchschnittlich hohen Kriminalitätsrate – auch viele andere Ereignisse gebe, die die Menschen in und um den Wedding umtrieben. Aber es war mir unmöglich, die nötige Energie dafür aufzubringen. Mein Kopf fühlte sich an wie mit Blei gefüllt. Und so wurde aus dem Dialog in den Folgewochen wieder ein Monolog.

Fun ist ein Stahlbart! Unser Autor Johannes Ehrmann hätte seinen Gesichtspelz gerne wieder exklusiv.
Fun ist ein Stahlbart! Unser Autor Johannes Ehrmann hätte seinen Gesichtspelz gerne wieder exklusiv.

© Kai-Uwe Heinrich

„Badstraße gestern Abend“, „Wir nehmen neue Opfer in Kauf“, „90-Jähriger überfallen“, „So schön ist es im Wedding“ oder auch nur „Grüße aus Gesundbrunnen“, es verging kaum eine Woche, in der ich nicht aufs Neue von Herrn Hof hörte. Immer, wenn ich seinen Namen neben dem kleinen pixeligen Umschlagsymbol sah, machte mein Herz bereits einen kleinen Hüpfer. Seine Nachrichten öffnete ich jedoch selten. Ich wusste ja schon, was drin stand.

Mitte November war es, ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen, als unsere Beziehung eine neue, vorher ungekannte Höhe erklomm.

Vier Tage lang währte damals bereits sein Schweigen, unüblich lange. Da tauchte plötzlich wieder der wohlbekannte Name neben dem kleinen süßen Umschlägelchen auf.

Diesmal aber ging es nicht um den Wedding. Diesmal ging es um mich.

Ich hatte mich, kurz zuvor in einem halb-ernsten Meinungsstück über den inflationären Anstieg an Vollbärten im Stadtbild mokiert, der mich als langjährigen Bartträger unfreiwillig zum Teil des Mainstreams machte. Neben den Artikel hatten die Kollegen ein Porträtfoto von mir gestellt.

„Bin selber (Rot-)Bartträger“, leitete Herr Hof seine Email am gleichen Tag ein, auf eine lästige Anrede erneut verzichtend, schließlich schlug er ja zum ersten Mal eine wahrhaft persönliche Brücke zu mir.

"Wenn ich Ihnen einen Tipp geben darf..."

Was war davon zu halten? Würde er mir nun sein Herz ausschütten, mir aus eigener Erfahrung darlegen, wie übermäßiger Bartwuchs sich auf das menschliche Sozialverhalten auswirken kann? Würde er mich gar um Verzeihung bitten für seine Verbissenheit, mir anbieten, eigenhändig meinen Posteingang von redundanten Nachrichten zu säubern? Oder mir ein Treffen bei Kaffee und Kuchen vorschlagen, vielleicht im Eiscafé im Gesundbrunnen-Center an der schönen Badstraße, um mit mir in aller Ruhe die zeitlose Schönheit des Wedding zu erörtern?

Nein, nein, oh nein. Was folgte, riss mich vielmehr aus all meinen Träumen.

„Wenn ich Ihnen einen Tipp geben darf“, schrieb Herr Hof, und ich fürchtete bereits Schlimmes, aber dann kam das:

„Ich empfehle Ihnen, den Hals zu rasieren. Es sieht so für mich einfach unsauber aus. Aber bitte sehr, jeder muss wissen, wie er herumläuft.“

Nein, geantwortet habe ich ihm dann nicht mehr. Nicht auf die Beauty-Empfehlung, und auch nicht auf die anderen Mails, die ich weiterhin verlässlich vorfand. Ich habe ihm gar nicht mehr geschrieben. Bis heute. Es ist ruhig um uns geworden. Die letzte Nachricht in meinem Posteingang datiert vom 22. November. Mag sein, dass ich – in vorweihnachtlicher Besinnlichkeit – ein paar spätere Schreiben unbesehen gelöscht habe. Mag sein, dass ich anderes zu tun hatte.Dieser Text soll anstelle einer Antwort stehen. Ich gehe davon aus, recht bald wieder von Herrn Hof zu hören.

Dieser Artikel erscheint im Wedding-Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegel.

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