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Geschichte eines Autozündlers: "Die Reichen sollten sich auch mal ärgern"

Als die Flammen aus dem Auto schlugen, war er bereits hunderte Meter entfernt. Ihn würde die Polizei nicht kriegen, sagte er sich. Und er behielt Recht. Ein anderer Brandstifter wurde gefasst vor einem Jahr. Seither werden kaum noch Autos angezündet. War’s das?

Das Bild des Unbekannten – unscharf und schräg von oben – geht sofort an alle Dienststellen. Der Druck auf den Berliner Senat, Justiz und Polizei ist zu dieser Zeit im vergangenen Sommer enorm. Es werden in Berlin fast jede Nacht zwei, drei, manchmal 15 Autos abgefackelt. Als in einer Augustnacht nicht in der Innenstadt, sondern am Stadtrand fünf Wagen brennen, sichern Polizisten die Überwachungsvideos aus dem einzigen U-Bahnhof der Gegend. Sie entdecken einen Mann, der kurz vor dem ersten Brand den Bahnhof verlässt und nach dem letzten Brand zurückkehrt. Beamte erkennen Tage später diesen Mann wohl zufällig auf der Straße: André H. wird observiert, sein Umfeld durchleuchtet, seine Handydaten ausgewertet. Die Indizien reichen nicht, aber er wird vorgeladen – und gesteht.

Zu sieben Jahren Haft wird H. verurteilt. Der heute 28 Jahre alte Lackierer hat mehr als hundert Autos in Brand gesetzt, nachts, allein mit ein paar Grillanzündern. Als er mit dem Feuerlegen beginnt, hat er Schulden, lebt mit seiner behinderten Schwester und seiner krebskranken Mutter in einer kleinen Wohnung und sucht einen Job. Er hat Wut auf diejenigen, denen es besser geht. Sieben Jahre für jemanden, der ohne Geständnis nicht verurteilt worden wäre, der zuvor nie strafrechtlich aufgefallen ist, der sich in seiner Kirche engagierte. Einige Justizbeamte haben Mitleid.

Rick erzeugt kein Mitleid. Er ist die Sorte cooler Junge, dem Mädchen auf dem Schulhof verstohlen hinterherschauen, der als Sitznachbar aber nicht infrage käme, weil sie befürchteten, er würde bei Klassenarbeiten ohne zu fragen abschreiben. Rick hat ein durchschnittliches Abitur gemacht, sehr gut war er in Kunst. Er könne sich nur schwer mit Dingen aufhalten, sagt er, die ihm keinen Spaß machen.

„Sieben Jahre könnte ich nicht durchstehen“, sagt Rick, der eigentlich anders heißt. Er hat blaue Augen, blonde Strähnen fallen in die Stirn. Seine Haut ist so glatt, dass er Werbung für Clearasil machen könnte. „Zum Glück war ich damals nicht mehr unterwegs“, sagt Rick, während er in einer Bar in Friedrichshain an einem Alster nippt. Es hört sich so an, als sei er erleichtert. Vor mehr als zwei Jahren, damals 21 und gerade ausgebildeter Grafiker, hat auch er Wagen angesteckt, nachts, allein. Sein Glück war vielleicht, einer früheren Generation von Autozündlern anzugehören.

Rick ist fasziniert, aber auch erschrocken, mit wie viel Akribie die Polizei bei der Jagd nach Brandstiftern vorging. Er fürchtet sich ein wenig, da er nun an seine nächtlichen Aktionen zurückdenkt. Damals habe er kaum Angst gehabt, erwischt zu werden. „Aber ich hätte auch nie gedacht, dass sie einen unauffälligen Menschen in einer Drei-Millionen-Stadt kriegen“, sagt er.

Rick kommt aus Weißensee. Seine Mutter, Laborantin, und sein Vater, Beamter, wissen nicht, was Rick eigentlich zu erzählen hat. Dem Treffen in der Friedrichshainer Bar hat er nur zugestimmt, weil „die Autos, die ich gemacht habe“, schon lange zurückliegen. Seine Freundin Marie sitzt neben ihm. Mit ihren kurzen Haaren und großen Augen sieht sie wie die junge Winona Ryder aus. Wenn Rick spricht, schaut er sie an, als wolle er ihren Segen.

Für ihn war es ein Abenteuer

„Es waren richtig große Wagen“, sagt er und schmunzelt. Die kosteten jeweils rund 100.000 Euro, stand später in den Zeitungen. Dort waren auch die Straßennamen zu lesen. Doch Rick kennt – anders als vielleicht ein Hochstapler – die genauen Hausnummern, vor denen die Autos geparkt waren. Detailliert erzählt er, wo er zugeschlagen hat, und dass er beim ersten Mal noch überrascht war, wie schnell Polizeiwagen in den Nahfahndungsbereich strömten, wie Beamte mit Taschenlampen kamen. „Nach zwei Minuten schlich ein Sixpack nach dem anderen die Straßen lang“, sagt Rick. Sixpacks, das ist sein Ausdruck für die VW-Busse der Polizei, der Nahfahndungsbereich kann zwei Kilometer um einen Tatort umfassen.

In Berlin wurde jahrelang auffallend oft gezündelt. Zunächst traf es Wagen der Bundeswehr oder die von Neonazis, linksradikale Gruppen bekannten sich dazu, interessiert haben die Anschläge nur die Polizei und ein paar Innenpolitiker. Doch vor drei Jahren verselbstständigte sich das mit dem Feuerlegen. Dass es so einfach war, man nicht mehr als handelsübliche Grillanzünder benötigte, führte dazu, dass sich jeder zum Autobrandstifter aufschwingen konnte. Die Zeitungen berichteten detailliert. In Berlin traf es 2011 mehr als 700 Fahrzeuge – und nicht nur von Porsche, Mercedes, BMW, sondern auch Kleinwagen.

Aus einer Boulevardzeitung hatte auch Rick erfahren, wie es geht. Grillanzünder auf den Autoreifen legen, anzünden, weglaufen, fünf Minuten später brennt der Reifen, nach zehn Minuten ist das Auto ein Wrack. Er habe die kleinen, weißen Stücke auf den Vorderreifen am Bürgersteig gelegt, dann sei er zügig, aber ohne zu rennen, losgelaufen. „An den Fenstern hängen immer irgendwelche Rentner, da fällt Rennen auf“, erklärt Rick. Nachdem der brennende Grillanzünder abgelegt sei, rase der Puls.

Auf den ersten 200, 300 Metern habe ihm bei jeder Taube, bei jedem Scheinwerferlicht der Atem gestockt. Wo er sich verstecken konnte, wusste Rick vorher. In jenem Kiez seiner Anschläge kennt er sich aus, er weiß, wo Türen und Höfe offen sind. „Beim ersten Mal habe ich in einem Treppenhaus gewartet, im Dunkeln, fast zwei Stunden.“ Beim zweiten Mal ist er durch einen Hof und das Hinterhaus und noch einen Hof auf eine Parallelstraße gelaufen, eine Kneipenpromenade: „Ein komisches Gefühl zwischen all den ahnungslosen Touristen.“ Das Schmunzeln ist wieder da. Rick kann sie jetzt nicht unterdrücken, die Freude über den gelungenen Coup damals, das Abenteuer. Er wohnte in einer WG, beim Nachhausekommen habe er sich nichts anmerken lassen. Während er nach dem ersten Mal noch wach dagelegen habe, sei er beim zweiten Mal sofort eingeschlafen.

Aber worum ging es ihm dabei? Dass er die Autos angezündet hat, will Rick als Signal verstehen, als unbestimmten Protest. „Ich dachte, jetzt kriegen auch mal die was ab, die sonst alles in den Arsch geschoben bekommen“, sagt er.

Als Linken bezeichnet er sich nicht. Er kennt Linke aus der Schule, die hätten über „dieses Patriarchat“ gesprochen. „Ich hing lieber mit anderen Leuten auf Partys rum“, sagt Rick. Konkrete politische Vorstellungen hat er nicht. Klar, die Mieten dürften nicht steigen. „Was dagegen genau getan werden muss, weiß ich jetzt aber auch nicht.“

Der Staat, sagt der Ex-Brandstifter, solle die Schwachen schützen.

Der Staat machte Jagd auf ihn. Rick sagt, er kenne niemanden, der „es“ sonst noch gemacht habe. Ob er sich dennoch als Teil einer Bewegung sehe? Vielleicht wie in „Fight Club“. In dem Kultfilm versammelt ein konsummüder Versicherungsagent andere Männer zum gemeinsamen Prügeln. Wobei Rick anders als der Versicherungsagent und André H. mit sich zufrieden ist, immer war. Wenn er die Kellnerin heranwinkt, weil sie in der vollen Kneipe den Überblick verloren hat, wirkt das weder herrisch noch ungeduldig, sondern als tue er ihr einen Gefallen. Und wenn er einen Zehn-Euro-Schein aus dem Portemonnaie zieht und auf den Tisch neben die Rechnung fallen lässt, geschieht das so lässig, als kenne er sämtliche Regeln, die einen in einer Bar besser aussehen lassen. Rick arbeitet bei einer Marketingagentur. Im Umgang mit Formen und Farben ist er geübt. Immer wieder packte er früher Sprühdosen in einen Rucksack, legte sich nachts an Gleisen und Brücken auf die Lauer. Er hat so viel Graffiti an Berliner Wänden hinterlassen, dass einige davon noch heute zu sehen sind, was seinem Ego sicher guttut.

Die Brände wurden zum Politikum

Man dürfe das mit den brennenden Autos nicht dramatisieren, sagt Rick. „Erstens, kriegen die Besitzer von ihren Versicherungen das Geld zurück“, erklärt er, als spräche er von Kosten, die man von der Steuer absetzen könne. „Und zweitens, brennen ja keine Häuser, es ist eher symbolischer Protest.“

Da schüttelt Marie, seine Freundin, den Kopf. „Die meisten Leute finden Feuer lebensgefährlich, ob im Treppenhaus oder auf der Straße“, sagt sie. „Du kannst nicht erwarten, dass man zwischen guten und schlechten Bränden unterscheidet.“

Aber Rick nimmt die Sorgen anderer um die Autobrände nicht ernst, und hat auch keine Lust, es zu versuchen. Maries Blick wird streng.

Ob er sich jemals gefragt habe, was sich die Besitzer der Wagen dachten?

„Ja, klar. Die kommen morgens aus dem Haus, sehen das Wrack und denken: Scheiße, da ist jemand sehr wütend auf mich.“ Dass sich auch mal Reiche ärgern, ist der Witz an der Sache. Hat es auch Folgen? Senken Hauseigentümer, wenn es denn welche getroffen hat, die Mieten, weil ihr Auto angezündet worden ist?

Rick weiß, dass den Bränden keine Debatte um niedrigere Mieten folgte, sondern um härtere Strafen. Nach einer Weile sagt er: „Insofern ist das Abfackeln sinnlos.“ Maries strenger Blick hellt sich auf.

Vielleicht hat Rick es deshalb bei zwei Autos belassen, weil es für das Gefühl reichte, „etwas gemacht“ zu haben. Sinnvoller als Autos anzuzünden, sagt er, sei ohnehin der Aufstand der Jugendlichen in England gewesen. „Da brannte es an allen Ecken, da ist jetzt allen klar, dass etwas schiefläuft“, sagt Rick. Er weiß, dass sein Leben nicht mit dem der britischen Unterschicht vergleichbar ist, Parallelen zu ziehen, ist aber zu verlockend. Im vergangenen August hatten britische Jugendliche brennende Barrikaden errichtet und Läden geplündert. Auslöser waren die tödlichen Schüsse eines Polizisten auf einen jungen Familienvater.

Dass nicht Rick, sondern André H. erwischt worden ist, liegt nicht nur daran, dass Letzterer mehr als 100 Autos abgebrannt hat, sondern weil die Brände zum Politikum geworden waren, als H. unterwegs war. Nachts kreisten zwei Polizeihubschrauber über der Stadt, 500 Beamte waren auf Brandstreife. Die Polizei hatte 5000 Euro für Hinweise ausgesetzt – mehr gibt es selbst in Mordfällen oft nicht. Ein SPD-Innenpolitiker verglich das Zündeln mit den frühen Taten der RAF. Und die Bundeskanzlerin sprach mit Blick auf Berlin von „großer Sorge“.

Die Brände spielten vor der Berliner Abgeordnetenhauswahl denjenigen in die Hände, die schon immer mehr Druck auf die linke Szene forderten. Dabei fragten sich nicht nur Ermittler, sondern auch Linksradikale, wer hinter all den Bränden steckte; 70 Prozent wurden nicht aufgeklärt. „Wir hatten früh die Idee“, sagt ein Justizbeamter, „dass es sich um Einzeltäter handelt, die mit einer Mischung aus Wut und Abenteuerlust losziehen. Nur gibt es davon in Berlin eine ganze Menge.“ Männer wie Rick oder André H.

Inzwischen brennen nur selten Autos. Ist das Feuerlegen uninteressant geworden? So wie Graffiti? „Ich würde mich beides nicht mehr trauen“, sagt Rick.

Marie schaut ihn an. Sie sieht so aus, als sei sie ein bisschen stolz auf ihn.

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