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Berlin: Gesetz der Serie

Gerd Hasse revolutionierte die Kripo-Ermittlungen Nun hört der Kommissar auf / Von Pieke Biermann

Das erste Gehalt beträgt 391 DM, monatlich und im voraus. Gerd Hasse, gerade siebzehn und waschechter Spandauer, will Beamter werden. Ferien- und andere Knochenjobs hat er genug gehabt, Bezahlung hinterher. Dies ist das erste regelmäßige Einkommen, und es muss auch für sämtliche Lehrmittel reichen. „Am 1. April 1963 bin ich bei der BePo in Schulzendorf eingerückt.“ Die Bereitschaftspolizei war damals ein soldatisches Unternehmen inklusive Stahlhelm, Schrankordnung und Fassonschnitt. Dass Hasse stattdessen eine „Fusselbirne“ mitbringt, trägt ihm den ersten Spitznamen ein: Fussel. „Ich war immer schon eine Schluse, man sieht’s ja noch an meinem Schreibtisch.“

Dieser Schreibtisch, den er gestern verlassen hat, steht in der Keithstraße beim LKA 1, „Delikte am Menschen“. Hasse leitet seit Mai 2000 das Kommissariat für Operative Fall-Analyse. Aber der Reihe nach. Schon kurz nach dem Einrücken bei den Uniformierten hat er eine Begegnung der dritten Art. Die Kripo kreuzt in Schulzendorf auf und durchsucht die Stube. Einer der Jung-BePos hat Autoteile geklaut. Womöglich weckt das untergründig sein Interesse für die Kripo. Bei der BePo alt werden will er jedenfalls nicht. In wollener „Galauniform“ im Juni den Kennedy-Besuch begleiten, als uniformierte Masse bei Schutzpolizeieinsätzen rumstehen, das ist nichts auf Dauer. Und schießen schon gar nicht, wenn man, sobald man den Finger am Abzug hat, die Augen zuklappt.

1969 beginnt Hasses allmähliche Entwicklung zum Kripomann. Abi nachmachen, wieder in die Praxis. Mordkommissar will er werden. „Mordermittlung ist nun mal die Krone der Ermittlungsarbeit.“1973 kommt er zur 3. Mordkommission, 1976 zur Fachhochschule und dann gibt es erst mal keine Planstelle. Also kümmert er sich bei der Kripo einer Polizeidirektion um „Delikte am Menschen“ und Raub. 1987 holt man ihn zurück in die Keithstraße, als Chef der fünften von damals sieben Mordkommissionen. Gut zwölf Jahre bleibt er das. Irgendwann kriegt er den Spitznamen Herrmann, keiner weiß wieso. Er ist der Typ Mordkommissar, der in der Wirklichkeit viel öfter vorkommt als in der Fiktion. Hager, knorrig, die Haare kurz, das Gesicht wettergegerbt, die Augen hellwach, Sprache und Gestik extrem sparsam. Der Mann, der „immer schon eine Schluse war“, ist gleichzeitig durch und durch Systematiker. Und ein herzlicher Mensch. Einer, der weinen kann, wenn er einer Mutter sagen muss, das ihr Kind ermordet wurde, und ihr grauenhafte Fotos zur Identifikation vorlegen muss. Er verzieht zwar keine Miene, wenn er so etwas beschreibt, aber die Stimme wird leicht kratzig. „Am Anfang“, sagt er, „ist jede Ermittlung eine sportliche Herausforderung. Das muss geklärt werden! À la det ,lässte dir nich jefallen!‘ Gilt fürs ganze Team. Dafür schlägt man sich die Nächte um die Ohren.“ Emotionalität kommt erst später. „Dafür muss man schon abgeklärter sein.“ Und wahrscheinlich geht sie doch aufs Herz, selbst wenn man „eigentlich gut abschalten kann.“

Mitte der 90er Jahre verschwinden in Berlin junge Frauen. Von manchen werden Leichenteile an Autobahnraststätten gefunden. Und Hasse fängt an, sich für eine neue Methode aus den USA zu interessieren: die datenbankgestützte Analyse bestimmter Sexual- und Tötungsdelikte zur Erkennung von Serien. Gemeinsam mit zwei Kollegen aus München und Wiesbaden macht er sich auf den langen Marsch durch Polizei und Politik. „Etwas völlig Neues in der Behörde durchzusetzen, das ist schon gut“, resümiert er knapp, aber stolz.

Operative Fall- Analyse (OFA) ist knochentrockene Teamarbeit nach Aktenlage, der subjektive Faktor praktisch ausgeschaltet. Alle Details werden nach demselben Schlüssel in die Datenbank eingegeben. Alle im Team kennen den Vorgang, übernehmen jeweils einen Spezialbereich und bereiten dazu Hypothesen vor. Dann kommt die eigentliche Analyse durch menschliche Hirne, die kein Rechner ersetzen kann. Bei komplizierten Fällen kann allein diese Phase eine Woche dauern.

OFA-Beamte sind vernetzt und hospitieren gegenseitig. „Immer wieder über den eigenen Tellerrand gucken“, ist die Devise. Glamourös wie im Fernsehen ist das nicht. Und auch nicht in 30 Minuten plus Werbepausen gelöst. „OFA ist ein Scheck auf die Zukunft“, hat Hasse 2000 erklärt. Er hat diesen Scheck mitentworfen und ausgefüllt. Seine Zukunft liegt ab jetzt woanders. „Ach was“, wischt er die Frage weg, ob da nicht Wehmut aufkommt. „Ich bin nicht unersetzbar, und ich hatte immer auch ein privates Leben.“ Als Erstes will er den Garten so umbauen, dass er weniger Arbeit macht. „Ich kann nämlich sehr gut faulenzen!“

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