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Gesetzesänderung: Kinder dürfen Krach machen

Senat und Parlament wollen gesetzlich verankern, dass Krach beim Spielen toleriert werden muss. Dafür gibt es eine ganz große Koalition. Findige Anwälte schreckt die Gesetzesänderung aber womöglich nicht davon ab, gegen Kinderlärm vorzugehen.

Von Sabine Beikler

Kinder lachen, toben, weinen, schreien, streiten, knallen Türen, spielen Ball. Die einen freuen sich über die aufgeweckten Kleinen, andere reagieren aggressiv auf den Kinderlärm, der ihnen den letzten Nerv raubt. Rechtlich können sie dagegen aber künftig kaum noch vorgehen: Berlin soll familien- und kinderfreundlicher werden. Für dieses Ziel gibt es eine ganz große Koalition von allen Fraktionen und dem Senat. Kinderlärm muss als „sozial adäquate Lebensäußerung“ toleriert werden, sagte Regina Kneiding, Sprecherin der Senatsumweltverwaltung. Im September will der Senat die Vorschriften im Landesimmissionsschutzgesetz (Limschg) ändern. Die Senatsverwaltung hat deshalb am 17. September alle bezirklichen Umweltverwaltungen geladen.

Vorschriften kann der Senat ohne Einbeziehung des Parlamentes beschließen. Parallel dazu aber will die Koalition im Parlament mit Unterstützung der Oppositionsfraktionen das LimschG ändern und nach der Sommerpause dazu einen Antrag ins Abgeordnetenhaus einbringen. „Wir weiten das Angebot für Kinder in Kitas aus, bieten Ganztagsschulen an. Es darf nicht sein, dass der erzeugte Kinderlärm zum Problem wird“, sagte die SPD-Jugendpolitikerin Sandra Scheeres. „Lärm ist unverzichtbar für die Entwicklung eines Kindes. Er muss in wohnortnahen Bereichen zugelassen werden“, sagte SPD-Rechtsexperte Holger Thärichen. Die SPD-Fraktion hat einen entsprechenden Gesetzentwurf verabschiedet, in dem die Änderung der Landesimmissionsschutzverordnung gefordert wird. Lärm von spielenden Kindern müsse als „sozial adäquate Lebensäußerung“ grundsätzlich toleriert werden. Die Linksfraktion teile dieses Anliegen, sagte Sprecherin Kati Seefeld. Nach der Sommerpause will die Fraktion darüber abstimmen.

Kinderlärm wird somit nicht mehr mit Industrielärm gleichgesetzt. Welche Auswirkungen das auf Klagen haben wird, wird die Praxis zeigen. „Es ist vorstellbar, dass die Gesetzesänderung bei einer Abwägung im Einzelfall berücksichtigt wird“, sagte Ulrich Wimmer, Sprecher des Kammergerichts. Derzeit liegen bei der Umweltverwaltung aber keine Klagen vor, sagte Sprecherin Kneiding.

„Kinderlärm ist Zukunftsmusik“, sagte CDU-Fraktionschef Frank Henkel und wies darauf hin, dass die Union in den Vorjahren bereits mehrere Anträge gestellt hatte, Gesetze zu verändern. Jetzt sei auch die Koalition „aufgewacht“. FDP-Jugendpolitiker Sebastian Czaja begrüßte die Gesetzesänderung und forderte mehr Freizeitmöglichkeiten für Kinder. „Kinder- oder Jugendspielplätze dürfen zugunsten von Wohnbebauung nicht verdrängt werden“, forderte Grünen-Familienpolitikerin Elfi Jantzen.

Auch das Deutsche Kinderhilfswerk begrüßt die Gesetzesinitiative. „Das ist ein wichtiger Fortschritt“, sagte Referent Holger Hofmann. Er hatte durch seine öffentliche Kritik im Tagesspiegel an einer Nachbarschaftsklage gegen die Friedenauer „Kita Milchzahn“ die Debatte über den „Störfaktor Sprösslinge“ in Berlin erst angestoßen. Die neue Regelung im Landesimmissionsschutzgesetz, nach der Lärm von spielenden Kindern grundsätzlich als sozial adäquat hinzunehmen sei, werde Kinderrechte stärken, so Hofmann. Eine Einzelfallbetrachtung sei dann sinnvoll, „wenn Kinder beispielsweise immer mit Inlineskates durch die Wohnung rollen“. Der Experte des Deutschen Kinderhilfswerks verwies aber darauf, dass „findige Anwälte“ stets Wege finden, gegen Kinderlärm vorzugehen. „Dann klagen sie eben auf andere Dinge, etwa wegen der Baunutzungverordnung oder Regelungen im Flächennutzungsplan“. Das werde ausgeschaltet, wenn das Recht auf Kinderspiel letztlich Eingang fände ins Grundgesetz, sagte Hofmann.

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