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GESTERN, HEUTE: Die zwei Gesichter des Altbezirkes: Nostalgie und High-Tech

ZEITREISEMan entkommt ihm nicht, nicht hier in der Altstadt. Schon vor dem Rathaus stößt man leicht auf Eltern, die ihren Kindern die Geschichte des Hauptmanns von Köpenick erzählen.

ZEITREISE



Man entkommt ihm nicht, nicht hier in der Altstadt. Schon vor dem Rathaus stößt man leicht auf Eltern, die ihren Kindern die Geschichte des Hauptmanns von Köpenick erzählen. Am Eingang steht er dann sogar persönlich in Bronze, seit elf Jahren schon. Eine Berliner Gedenktafel, drei Jahre vor der Wende im Westen erdacht, hängt gleichfalls da. Leider hat man sich hier für historisierende Straßenschilder entschieden, eine blecherne Nostalgie. Aber manch einer findet dergleichen ja hübsch, zumal vor sanierten Altbaufassaden, und von denen gibt es hier mehr als genug. Nicht überall aber war die Hinwendung zur Vergangenheit so erfolgreich. An der Ecke Rosen-/Jägerstraße etwa, wo 1986 noch einige ramponierte Alt-Berliner Häuser standen, wurde alles platt gemacht, zugunsten eines pfützenreichen, von einem schäbigen Wohnwagen bewachten Parkplatzes. Immerhin verheißt ein Schild über kurz oder lang Änderung: „Dies ist ein vielversprechendes Baugrundstück“. Der Hauptmann ist hier gleich zweimal präsent. Als Pappkamerad bewacht er einen Antiktrödelladen, schräg gegenüber wirbt er für eine Polsterei.

DER RUHESITZ

In keinem anderen Ost-Altbezirk gibt es prozentual mehr über 60-Jährige als dort. 31,5 Prozent der Einwohner sind im besten Rentenalter. Ende 2004 wies das Statistische Landesamt 117 414 Einwohner aus. Da war der Anteil an über 65-Jährigen innerhalb von neun Jahren um 10 000 gestiegen. Der Anteil der Kinder unter sechs Jahren hatte im gleichen Zeitraum um rund 2000 zugenommen. Von 1991 bis 2006 kamen exakt 8268 Einwohner hinzu. Köpenick der am dünnsten besiedelte Teil Berlins. Der Ausländeranteil ist niedrig: Nur 3 089 leben in Köpenick.

DAS ALTE ZENTRUM

Kleinod mit Makel: Bis heute fehlt für Alt-Köpenick ein Verkehrskonzept, das das Durchfahren verhindert, aber Besucher und Touristen trotz der Einbahnstraßen nicht abschreckt. Derzeit läuft ein Modellversuch mit ausfahrbaren Pollern. Der historische Kern mit Ufer-Zugang soll Anziehungspunkt für Fußgänger sein. Der Luisenhain mit seiner Anlegestelle für Ausflugsdampfer gegenüber dem Rathaus wird zur Promenade, das sanierte Schloss ist längst Kunstgewerbemuseum. Derzeit wichtigstes Bauvorhaben: die Mittelpunktsbibliothek am Alten Markt – saniertes Schulgebäude plus Neubau mit 1900 Quadratmetern für 80 000 Bücher und Medien.

BELEBTE BRACHE

Oberschöneweide und das Gelände an der Wilhelminenhofstraße standen lange Zeit stellvertretend für den Niedergang der Industrie nach der Wende in Berlin. Weder im Kabelwerk Oberspree noch im früheren Werk für Fernsehelektronik, das von Samsung übernommen wurde, wird noch produziert. Dann kam Silicon Sensor. Rund zehn Millionen Euro investiert das Hochtechnologie-Unternehmen in ein neues Werk für optische Sensoren, 100 Mitarbeiter sind vorgesehen. Wo die AEG vor über 100 Jahren die industrielle Entwicklung Berlins prägte, befindet sich das Technologie- und Gründerzentrum Spreeknie, ein High-Tech-Campus für junge technologieorientierte Unternehmen. Keine Erfolgsstory, sondern ein Fall für die Justiz: das DDR-Funkgelände Nalepastraße. Das denkmalgeschützte Kernstück wurde für 3,5 Millionen von Spekulanten versteigert. Ein ausländischer Geschäftsmann versucht es derzeit zu entwickeln.

LITERATUR

Um eine optische Vorstellung vom Berlin der Kaiserzeit zu bekommen, ist Käutners Film „Der Hauptmann von Köpenick“ mit Heinz Rühmann kaum geeignet: 1956 entstanden, wurde er nicht in Ost-Berlin, sondern in Hamburg gedreht. Dann lieber gleich zum Original greifen, zu Carl Zuckmayers Drama von 1931 (Fischer Taschenbuch). Oder zur Autobiografie „Wie ich Hauptmann von Köpenick wurde“ von Wilhelm Voigt, wiederveröffentlicht im Berliner Verbrecher Verlag. Ein dunkles Kapitel der Bezirksgeschichte schildert André König in „Köpenick unterm Hakenkreuz“, in dem er besonders auf den NSTerror während der „Blutwoche“ im Juni 1933 eingeht (Mein Verlag, Mahlow). Auch einzelne Gebäude sind Gegenstand von Monografien, so der Komplex des DDR-Rundfunks in der Nalepastraße in dem Fotoband „Die Rote Burg“ von Andreas Göx und Hannes Wanderer (Vice Versa) oder der Prestel Museumsführer über das Kunstgewerbemuseum im Schloss Köpenick. ac/lei

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